Globale Sicherheit

INF-Vertrag: SPD warnt vor völligem Zusammenbruch der internationalen Rüstungskontrolle

Rolf Mützenich04. Februar 2019
Vergeblicher Appell: Bundesaußenminister Heiko Maas (l.) appellierte am 18.01.2019 in Moskau an seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, den INF-Vertrag zu respektieren. Lawrow zeigte kein Entgegenkommen.
Vergeblicher Appell: Bundesaußenminister Heiko Maas (l.) appellierte am 18.01.2019 in Moskau an seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, den INF-Vertrag zu respektieren. Lawrow zeigte kein Entgegenkommen.
Es spricht einiges dafür, dass sowohl die USA als auch Russland kein Interesse mehr am INF-Vertrag haben. Die Geister sind zurück, die einen Atomkrieg für gewinnbar halten. Jetzt muss Europa einem neuen nuklearen Wettrüsten entschieden entgegentreten.

Am 2. Februar endete die Frist von 60 Tagen, die der amerikanische Außenminister Pompeo der russischen Regierung ge­setzt hatte, um den INF-Vertrag durch Beweise ihrer Vertragstreue zu retten. Noch am selben Tag kündigte Präsident Trump an, den Vertrag auszusetzen. Die russische Reaktion folgte prompt. Am 3. Februar erklärte Präsident Putin ebenfalls die offizielle Kündigung des Vertrages.

Herber Rückschlag für Rüstungskontrolle

Der Abrüstungsvertrag von 1987, der Washington und Moskau den Besitz und die Stationierung landgestützter Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern verbietet, gilt zu Recht als Meilenstein und als wesentliches Kernelement kooperativer Sicherheit in Europa. Mit ihm wurde erstmals eine ganze Kategorie gefährlicher Raketensysteme komplett beseitigt. Sein drohendes Ende bedeutet einen herben Rückschlag für die vertragsbasierte Rüstungskontrolle.

Zusammen mit der bereits erfolgten Kündigung des Iran-Abkommens und der im Jahr 2021 womöglich ausbleibenden Verlängerung des noch wichtigeren sogenannten New START-Abkommens, das die Anzahl der strategischen Atomwaffen begrenzt, droht ein völliger Zusammenbruch der internationalen Rüstungskontrollarchitektur mit unabsehbaren Folgen für die globale Sicherheit. Sollte New START tatsächlich nicht verlängert werden, gäbe es zum ersten Mal seit 1972 keine rechtlich bindenden und überprüfbaren Begrenzungen der amerikanischen und russischen Nukleararsenale mehr. Es droht ein nukleares Wettrüsten in Europa und Ostasien. Damit geriete auch der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) unter Druck, da die dort vereinbarten Abrüstungsverpflichtungen der Atommächte sich endgültig als das erweisen würden, was sie bislang waren: leere Versprechen.

Maas warb in Washington und Moskau

Außenminister Heiko Maas hat sich bei seinen Gesprächen in Moskau und Washington bis zuletzt dafür eingesetzt, den INF-Vertrag zu erhalten. Und selbst die offizielle Kündigung bedeutet noch nicht zwangsläufig das Ende des Vertrages. Es bleibt noch ein hal­bes Jahr Zeit, um für ei­ne Lö­sung. Erst ab dem 2. August 2019 wären die Vereinigten Staaten nicht mehr an den INF-Ver­trag ge­bun­den.

Diese Zeit sollten die Europäer dazu nutzen, um die Vorwürfe aufzuklären und die Vertragspartner vom Sinn des Abkommens zu überzeugen. Voraussetzung bleibt, dass beide Seiten die Vorwürfe der Vertragsverletzung glaubhaft widerlegen bzw. rückgängig machen. Dies kann nur funktionieren, wenn man auch die russischen Besorgnisse wegen der US-amerikanischen Raketenabwehrsysteme in Rumänien und Polen ernst nimmt und Moskau eine gesichtswahrende Lösung anbietet. So muss Russland die Standorte seiner vermuteten INF-vertragsverletzenden Systeme offen legen und für Inspektionen öffnen. Im Gegenzug müssten auch die USA belegen, dass ihre derzeit in Rumänien stationierte und für Polen geplante Raketenabwehrbasis nicht offensiv genutzt werden kann.

Multilateraler Nachfolgevertrag nötig

Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Vereinigten Staaten und Russland das gemeinsame Ziel haben, sich aus den Fesseln des INF-Vertrages zu befreien. Denn mittlerweile entwickeln immer mehr Länder ballistische Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper, von denen viele Atomwaffen tragen können. Die rasante technologische Entwicklung immer neuer Waffensysteme (wie Hyperschallraketen), für die es noch keinerlei Regelwerke gibt, und das Verschwimmen der Grenzen zwischen konventionellen und nuklearen Bedrohungen stellen uns vor vollkommen neue rüstungskontrollpolitische Herausforderungen. Hier könnte ein modifizierter INF-Vertrags oder ein multilateraler Nachfolgevertrag ansetzen, erweitert um die zehn Staaten, die mittlerweile über entsprechende Mittelstreckenraketen verfügen.

Die Bedrohung der internationalen Rüstungskontrollregime und der regelbasierten internationalen Ordnung ist real. Die Geister sind wieder zurück, die glauben, ein atomarer Krieg sei führ- und gewinnbar. Sowohl Putin als auch Trump prahlen mit den Fähigkeiten ihrer Streitkräfte und versuchen, nukleare Drohungen in politisches Kapital umzumünzen. Allein für die Modernisierung des amerikanischen Atomwaffenarsenals sind für die nächsten 30 Jahre unglaubliche 1,7 Billionen US-Dollar vorgesehen. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 2019/2020 seinen Sitz dazu nutzen wird, eine Diskussion über die Stärkung der nuklearen Rüstungskontrolle und Abrüstung anzustoßen. Bereits im März dieses Jahres wird das Auswärtige Amt zu einer großen internationalen Abrüstungskonferenz nach Berlin einladen.

Europa muss Widerstand leisten

Europa muss der Gefahr eines neuen nuklearen Wettrüstens entschieden entgegentreten. Sonst droht die Rückkehr einer Aufrüstungs- und Stationierungsdebatte, wie wir sie aus den Hochzeiten des Kalten Krieges kennen. Deutschland und Europa dürfen niemals wieder zum Austragungsort atomarer Kriegsspiele werden.

weiterführender Artikel

Kommentare

Dumm nur, dass Außenminister Maas

sich klar gegen Russland positioniert hat, indem er ihnen eine einseitige Verletzung des INF-Vertrages vorgeworfen hat. Es wäre ein leichtes gewesen, die gegenseitigen Vorwürfe der USA und Russland ohne Kommentar gegenüber zu stellen. Das macht jetzt nicht nur die kohärente Haltung gegenüber allen Seiten schwierig, sondern hat ihn und damit Deutschland als Vermittler und neutralen Sachwalter von europäischen Friedensinteressen beseitigt.

Ich finde es einigermaßen erschreckend, wie wenig unsere Bundesregierung (die Genossen Minister inklusive) in solchen Fragen strategisch vorausdenkt. Oder wahlweise, wie doppelzüngig agiert wird. Ich befürchte leider, dass das Zweite der Fall ist: Im Großen wird lupenrein das transatlantische Blame-Game gegen Russland gespielt. Im Kleinen erfolgt durch Artikel und Auftritte das Appeasement gegenüber der eigenen Basis, um diese noch irgendwie bei Laune zu halten.

Kann es sein, dass dieses Spiel die vielgepriesene "Erneuerung der SPD" darstellt? Oder soll das geändert werden?

Aus der Geschichte nichts gelernt, wie es scheint

"Theatre Europe" sollte ein Begriff sein.
Das ist eine nette Idee aus der Feder unserer "Verbündeten" die besagt, das man mit seinem Atomspielgefährten UdssR nur in Europa spielt und keine eigenen Ländereien nuklear sterilisiert.
Bei etwas größeren Spielen ist natürlich der Fallout der Spielverderber, der sich genausowenig an Landesgrenzen hält wie Feinstaub an Verkehrsschilder.

Bei dem ganzen Rüstungswahnsinn war bisher oft zu beobachten, das selbst nach Erreichen einer Vernichtungskapazität, die ausreicht um die gesamte Biosphäre der Erde mehrfach zu zerstören, trotzdem weitergerüstet wurde.

Darf man ernsthaft der Meinung sein das Akteure, die die Erde bereits jetzt mehrfach (!) vernichten können und trotzdem noch weiter rüsten sich an Verträge halten bzw. das Verträge diese Form des Irrsinns tatsächlich regulieren oder solche Vernichtungskapazitäten reduzieren können ?

Ein Einfluß der Politik hierzulande kann wenn überhaupt nur durch Stationierungsverbote oder im Idealfall der Erklärung der BRD zur atomwaffenfreien Zone stattfinden. Oder hat irgendwer den Eindruck, das Rußland und/oder die USA auf irgendwen hören ?

Günter Verheugen (SPD) hat recht !!!

Günter Verheugen in der hörenswerten Diskussion im DLF:
Günter Verheugen: „Aber ebenso müssen wir uns fragen, ob wir gut beraten waren, die Ukraine, dieses große und wichtige, wichtige Land in unser Camp zu ziehen, ohne mit Russland überhaupt zu sprechen. (...) Ich finde, die Lage, die wir jetzt haben, das könnte die Stunde der Europäer sein. Wir könnten jetzt und wir müssten jetzt darauf bestehen, dass unabhängig von den Vertragsbestimmungen (…) die beiden Kontrahenten das Verifizierungsregime wieder aufnehmen.“

Link zur Diskussion: https://www.deutschlandfunk.de/russland-und-der-inf-vertrag-geopolitik-e...

Da hat Trump oder besser

Da hat Trump oder besser gesagt, seine Mächte im Hintergrund, die Europäer in eine verdammt schwierige Lage gebracht. Im Falle eines Falles würden die EU-Staaten garantiert zerstört werden, unabhängig davon, ob die USA innerhalb Europas atamar aufrüsten oder nicht bzw. wer einen Krieg anfängt
Bleibt nur die Möglichkeit, die USA aus Europa hinauszuwerfen oder der Aufrüstung zuzustimmen. Letzteres bedeutet aber auch, dass die EU von den USA total unterjocht und mit der Forderung nach immer höheren Militärausgaben matt gesetzt wird.
Die USA haben schon immer nach der Devise gehandelt, Staaten nicht gänzlich zu zerstören sondern einzuzäunen und dann für sich arbeiten zu lassen. Jetzt sind wohl auch die Vasallen dran. Soviel zum Schachspiel auf der politischen Bühne.

Solange unsere SPD krampfhaft

Solange unsere SPD krampfhaft an der "Atomaren Teilhabe" festhält und somit für Atomwaffen und mögliche Aktionen von deutschem Boden eintritt,
haben wir ganz schlechte Karten. Wir (Deutschland) ist damit das Manövergebiet bei atomaren Auseinadersetzungen - USA-Rußland.
Für die USA ist es natürlich zweckmäßig den möglichen eigen Kriegsschauplatz möglichst weit vom eigenen Territorium zu haben.
Habe nie begriffen, wie die Atomwaffen in Deutschland und vor einem Atomkrieg schützen sollten. Deutschland wird immer das mögliche Kriegsgebiet sein und am Ende nicht mehr auffindbar sein.
Wie sagte noch Brecht zu den punischen Kriegen - nach dem Dritten wird man keine Spuren mehr finden.

Ausradiert

Deutschland, Mitteleuropa, ganz Europa ist ausradiert sollte es zu einem "Atomaren Konflikt" kommen. Schon 100 Atombomben könnten einen nuklearen Winter verursachen, der in noch größerem Umfang die Menschheit schädigt.
Politikern, denen das Wohlwollen Washingtons wichtiger ist als die Lebensbedürfnisse der Menschen, denen sie ihr Amt verdanken, verstoßen gegen ihren Amtseid.

Verstoß gegen Netiquette

Der Kommentar wurde gelöscht, da er gegen Punkt 4 unserer Netiquette verstieß.

Punkt 4 lautet: Nicht

Punkt 4 lautet: Nicht prüfbare Unterstellungen und Verdächtigungen, die durch keine glaubwürdigen Argumente oder Quellen gestützt sind, werden gelöscht.

Ich habe die Motivation der Kündigung mit Blick auf die nicht zu leugnende, also auch nicht beweisabhängige Tatsache der entsprechend gerüsteten Nichtvertragsparteien (China, Nordkorea) thematisiert. Natürlich bin ich nicht Trump, muss also spekulieren. Und ebensowenig, wie die NATO den Vertragsbruch Russlands beweisen kann, kann ich den Beweis des Gegenteils antreten.

Dass Überlegungen zu der der Kündigung zugrundeliegenden Motivation auch bei naheliegenden Gedanken unter die Zensur fällt, führt im Ergebnis zu einer Verkürzung der Debatte.

Sehr gerne jubel ich den Genossen zu, daran soll es nicht scheitern, und auch meine Stimme will ich der Partei auch zukünftig nicht versagen, aber wir müssen doch in solchen Fragen offen debattieren können.

Wenn es um Strategie (der USA) geht,

spielen Fakten keine Rolle - und Partner auch nicht. Die dürfen bestenfalls eine zeitlang diskutieren, müssen aber rechtzeitig vor der Entscheidung der USA ihrem Freund beipflichten: Russland verletzt den INF-Vertrag - was atomare Nachrüstung impliziert. Das weiß die Nato, das weiß SPD-Maas; und für Frau Merkel ist dieses Wissen alternativlos. Dabei könnte die behauptete Vertragsverletzung leicht überprüft werden, wie CDU-Elmar Brok anregt. „Die USA müssten Moskau anbieten, ihre Raketenabwehr-Systeme in Rumänien für Inspektionen zu öffnen. 'Dann hätte die russische Regierung kein glaubwürdiges Argument mehr, Inspektionen der SSC-8 abzulehnen'“. Zeit-online berichtete gar, dass die Russen solche Inspektionen - vergeblich - angeboten haben. Aber es geht ja um Strategie, und darum spielt auch der kleine Wurmfortsatz der eurasischen Landmasse keine sonderliche Rolle.

!?Was wollen wir?!

Es ist offensichtlich,

dass sowohl die USA als auch Russland ihre Truppen mit landgestützten atomaren Mittelstreckenraketen aufrüsten wollen; sie sehen sich wechselseitig, vor allem aber durch China (, Indien, Nordkorea, Iran ...) atomar bedroht. Aber statt sich gegen China, das sich die Welt gerade kauft und seine militärische Potenz zielstrebig ausbaut, zusammenzutun, dabei nutzend, dass Russland gar nicht in der Lage ist, einen großen Rüstungswettlauf zu finanzieren, gleichzeitig aber um Verhandlungen auf Augenhöhe mit den USA geradezu bettelt, wird die USA der Nato demnächst mitteilen, zum Schutze ihrer Nato-Soldaten die US-Truppen mit atomaren Mittelstrecken-Raketen auszurüsten. Sollten die Europäer keine Atomraketen auf ihrem Territorium zulassen, werden die USA ihre Truppen aus Europa zurückziehen. Was machen Frau Merkel und Herr Maas dann?

!?Was wollen wir?!

Sie sagen es,

die USA wollen rüstungstechnisch gleichziehen mit den Nichtvertragsstaaten (China usw.) und müssen schon um insgesamt den Anschein von Vertragstreue zu wahren, den Vertrag mit Russland kündigen.

Um Russland geht es nicht, es geht um das Interesse der USA, solche Waffen aufzustellen. daher kann Russland Kontrollen usw anbieten, sie stoßen auf kein Interesse, gerade weil sie offenbaren würden, dass Russland hier nur als Vehikel für die Aufrüstungsinteressen der USA herhalten muss.

Recht haben Sie

ich habe mehrfach versucht, zu erklären, warum, komme damit aber nicht durch, deswegen nur in dieser Kurzform.

Ganz meine Meinung

Wandel durch Annäherung ? Aber nicht so !!!

Anscheinend haben die westlichen Bündnisse nach der Auflösung des eisernen Vorhangs das Motto "Wandel durch Annäherung" komplettf falsch interpretiert !
Die Annäherung an einstige Sowjetrepubliken fand statt durch militärische territoriale und aggressive wirtschaftspolitische Expansion nach neoliberalem Muster,.mit dem Ziele den östlichen "Widerpart" in die Ecke zu drängen oder gar zu zerstören.
Die erste Katastrophe fand bereits in den 90ern im Ex-Jugoslawien statt, als nach dessen Auflösung das Steuerungs-Vvakuum zu einem der größten Genozide nach den Verbrechen de Nazi-Zeit führte ! Anscheinend nichts gelernt !!
Wenn EU und NATO ihre unsägliche Strategie nicht ändern und mit einem neuen Selbstverständnis insbesondere an das deutsch-russische Verhältnis herangehen, kann das allen geschlossenen Verträgen zum Trotz unmittelbar in einer weit Katastrophe unbescheibl..Ausmasses enden. Ähnlich wie nach dem Versailler Vertrag, als in Deutschland die ersten Halme der Demokratie sprossen, die alsbald zertrampelt wurden weil ein ehemals stolzer Staat wirtschaftlich in die Ecke gedraängt und gedemütigt wurde, kann ein solches in "die Ecke" drängen Russlands zur Katastrophe führen !!!

Verstoß gegen Netiquette

Der Kommentar wurde gelöscht, da er gegen Punkt 4 unserer Netiquette verstieß.