
Es sind die bekannten Entscheidungsträger*innen, die am Montagmittag per Videokonferenz zusammenkommen – und es sind die bekannten Gesichter, die am Abend die Ergebnisse der Beratungen verkünden. Nur diesmal sind es keine Veränderungen des Corona-Lockdowns, die von der Bundeskanzlerin, dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz sowie seinem Stellvertreter verkündet werden. Angela Merkel, Michael Müller und Markus Söder sprechen stattdessen über Perspektiven für die Impfkampagne in Deutschland und Europa – und ob es Möglichkeiten gibt, diese zu beschleunigen.
Denn „100.000 Impfdosen mehr oder weniger, das ist nichts Abstraktes“, erklärt Müller am Montagabend. „Das ist ein Gesundheitsschutz für 50.000 Menschen.“ Deswegen sei es wichtig gewesen, am Montag zusammenzukommen. Der Impfgipfel sie eine gute Sache gewesen. „Es war gut, dass wir die Initiative ergriffen haben“, so Berlins Regierender Bürgermeister, der in den vergangenen Tagen gemeinsam mit vielen anderen SPD-Politiker*innen den Impfgipfel gefordert hatte.
Voraussagen sollen Planungen verbessern
Vereinbart wurde bei den mehrstündigen Beratungen unter anderem, dass auf Bundesebene anhand der Lieferversprechen und Erwartungen genauer modelliert werden soll, mit wieviel Impfdosen in Deutschland zu rechnen ist, um möglichst genau auf Länderebene planen zu können. „Ich denke, die Botschaft ist in aller Klarheit angekommen“, so Müller über die Notwendigkeit der besseren Informationspolitik zwischen Unternehmen, Bund und Ländern. Aus seiner Sicht ärgerten sich die Menschen nicht darüber, wenn sie eine Hotline mehrmals anrufen müssten, um einen Impf-Termin zu bekommen. „Das nervt. Aber wichtig ist, dass der Termin für die Impfung wirklich steht.“
Klar sei außerdem geworden – das betonten sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Müller und Söder, dass die Ursache des Impfstoff-Engpasses im ersten Quartal vor allem fehlende Produktionskapazitäten seien und es bisher nur wenige zugelassene Impfstoffe gibt. Über die Komplexität der Lieferketten und die Zertifizierung hatten die Unternehmen bei dem Impfgipfel informiert. Dieser direkte Austausch war richtig – das betonen im Anschluss unter anderem auch Stephan Weil und Malu Dreyer, Ministerpräsident*innen in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz.
Manuela Schwesig (SPD) zeigte sich indes nicht überzeugt von den Aussagen der EU-Kommission. Auch nach dem Impfgipfel zeigte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Unverständnis darüber, warum nicht von Anfang an mehr Impfstoff bestellt wurde von der Europäischen Union. Aufgrund der aktuellen Lieferengpässe zeigte sich wiederrum Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) skeptisch, ob wirklich bis zum 21. September allen ein Impfangebot gemacht werden könne. Merkel hatte dieses Versprechen zuvor noch einmal bekräftigt.
Dass es in der EU keine Notfallzulassung bei den Impfstoffen gab, verteidigt Merkel hingegen mit den Haftungsrisiken. Eine reguläre Zulassung gebe zudem möglichst viel Vertrauen in die Sicherheit der Impfstoffe. Mehr Geld für die Lieferungen hätte nach Darstellung der Bundeskanzlerin bei den Verhandlungen mit den Unternehmen auch nichts geändert. Bei der Pressekonferenz verweist sie auf Aussagen der Vertreter*innen von Biontech beim Impfgipfel, zu dem auch die zuständige EU-Kommisarin Stella Kyriakides zugeschaltet war. „Es ging immer um Produktions- und Lieferkapazitäten in Europa“, betont Merkel. Und die gebe es derzeit einfach nicht – auch weil es sich bei den bisher verfügbaren Impfstoffen um etwas handle, das bisher nicht in diesem Umfang produziert worden sei.
Weitere Engpässe vermeiden
In den kommenden Quartalen würden sich die gelieferten Mengen des Impfstoffs allerdings erhöhen, versucht das Trio am Montag Zuversicht zu verbreiten. „Marburg macht den Unterschied“, so die Bundeskanzlerin über den zusätzlichen Produktionsstandort von Biontech, den sie als „Glücksfall“ bezeichnete. Damit es dann in den kommenden Wochen und Monaten reibungsloser mit den Impfstoff-Lieferungen läuft, soll eine Internet-Plattform entwickelt werden, auf der auch Materialien wie Spritzen und Verpackungsmaterial in die Planung einbezogen werden, um auch dort Engpässe zu vermeiden.
Vor allem die SPD-Ministerpräsident*innen hatten zuvor auf verlässliche, planbare, Lieferzusagen gepocht – und dafür in erster Linie Gesundheitsminister Jens Spahn in die Verantwortung genommen, in dessen Zuständigkeit die Bestellung und Verteilung der Vakzine fällt. Denn weil es auf EU- und Bundesebene mit der Lieferung hakt, warten die fertig aufgebauten Impfzentren in den Ländern auf die Impfstoffe.
Eine Überarbeitung der Impfstrategie, die jetzt um einen nationalen Impfplan erweitert werden soll, war ohnehin nötig geworden. Denn die Ständige Impfkommission (StiKo) hatte für das am Freitag zugelassene Mittel von AstraZeneca nur eine Zulassung für Menschen bis 65 Jahren empfohlen, da verlässliche Daten zur Wirksamkeit des Impfstoffs bei älteren Menschen bisher fehlen.