
Was soll sich an der Grundsicherung ändern?
Aus der als „Hartz IV“ bekannten Grundsicherung soll ein „Soziales Bürgergeld“ werden. Das ist allerdings weit mehr als nur ein neuer Titel, es geht Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) um eine Abkehr von dem Stigma der Erwerbslosigkeit. Wer vorübergehend seinen Arbeitsplatz verliert, solle sich weder schämen noch sein ganzes Vermögen angeben müssen, bis er oder sie Anrecht auf das Existenzminimum erhält. Der Antrag soll gleichzeitig für beide Seiten einfacher und unbürokratischer werden, erklärt Heil im Interview mit dem "Spiegel".
Im Übrigen knüpft die Reform an die Sozialschutz-Pakete an, die während der Corona-Pandemie beschlossen wurden. Derzeit werden Anträge auf Grundsicherung vereinfacht geprüft, das soll nach aktuellem Stand noch bis Ende März so bleiben. Ein Verfahren, das sich laut Heil bewährt hat und „verstetigt werden soll“.
Warum erst jetzt, über ein Jahrzehnt nach den Agenda 2010?
Der aktuelle Ursprung des Bürgergelds ist eigentlich das Sozialstaatskonzept der SPD, das auf dem Bundesparteitag im Dezember 2019 beschlossen wurde. Das ist also noch gar nicht so lange her. Allerdings stimmt es, dass um die Reform schon lange gerungen wird – auch innerhalb der SPD. Es gibt also offensichtlich viel Klärungsbedarf, der aber auch weit über die eigene Partei hinausreicht. Beispielsweise ist eine Vermögensprüfung von Bedürftigen schon bei der Grundrente ein ewiges Streitthema zwischen CDU/CSU und Sozialdemokrat*innen gewesen – nämlich bei der Grundrente.
Wie sind die Reaktionen auf Heils Entwurf?
Beim Koalitionspartner verhalten. Die Union sei gesprächsbereit, hieß es etwa vom CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Weiß, Sprecher der AG Arbeit und Soziales in der Fraktion. Weiß bezieht sich aber nur auf die krisenbedingten Lockerungen bei den Anträgen, die über den März hinaus verlängert werden könnten – eine komplette Entfristung der aktuellen Regeln lehnt der Christdemokrat ab. „Eine schleichende Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist mit der CDU nicht möglich“, sagte Weiß als erste Reaktion. Ähnliches ist aus den Reihen der FDP zu hören.
Positiv aufgenommen wurde der Entwurf hingegen von Linken und Grünen. Ersteren reicht der Ansatz aber nicht aus, und die Grünen fordern in ihrem eigenen Konzept eine „Garantiesicherung“ ganz ohne Sanktionen, dafür mit mehr Möglichkeiten zum Aufstocken als bisher. Damit würden Mini- und Nebenjobs attraktiver werden. Grundsätzlich positiv äußert sich der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann – er bezeichnete den Entwurf als "sozialpolitischen Meilenstein“.
Ist das Soziale Bürgergeld ein Grundeinkommen „durch die Hintertür“, wie manche behaupten?
Nein, das sind völlig unterschiedliche Konzepte. Der Arbeitsminister hat sich stets gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, stattdessen den Wert von Arbeit immer wieder betont. „Arbeit ist mehr als nur Broterwerb“ gehört zu Heils Lieblingssätzen, wenn es darum geht, die gesellschaftliche Wertschätzung eines Berufs zu betonen und alles was damit zusammenhängt. Eine Wertschätzung, so befürchtet es Heil, die mit einem Grundeinkommen verloren gehen könnte.
Weniger Kontrolle, weniger Prüfungen – wird damit nicht dem Betrug Tür und Tor geöffnet?
Nein. Die geplante Reform schließt Kontrollen und Prüfungen nicht grundsätzlich aus – sondern nur während der Karenzzeit von zwei Jahren. Aber es ist eine Abkehr von einem Generalverdacht und einer „Stigmatisierung“, die mit dem Arbeitslosengeld II immer wieder verbunden wird. Arbeitslosigkeit ist oft unverschuldet und in den allermeisten Fällen wollen die Menschen wieder arbeiten. Das ist auch das Mantra von Hubertus Heil. Nach Ansicht des Sozialdemokraten soll das wieder in den Vordergrund rücken: Der Staat soll wieder mehr als Unterstützer und Förderer auftreten, der den Menschen vertraut.
Das schließt Sanktionen nicht aus, die aber seien laut Heil nur das letzte Mittel, „für die ganz harten Fälle“. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil auch klargemacht, dass die Sanktionen nicht dazu führen dürften, dass Menschen unter das Existenzminimum rutschten. Damit gehören komplette Kürzungen der Grundsicherung der Vergangenheit an.
Davon finden die Menschen aber auch nicht schneller Arbeit.
Nein, jedenfalls nicht direkt. Aber es soll im Jobcenter noch mehr um Qualifikation und Weiterbildung, statt um kurzfristige Arbeitsvermittlung gehen. Weiterbildung soll zusätzlich gefördert werden, anstatt Menschen in unpassende oder unwürdige Arbeitsverhältnisse zu zwingen. „Unsere sozialen Sicherungssysteme schützen, ermöglichen indes zu selten sozialen Aufstieg“, interpretiert Hubertus Heil aus dem aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, den sein Ministerium in Kürze veröffentlichen will.
Und wie geht’s weiter?
Der erste Entwurf befindet sich derzeit in der Koordinierung mit dem Kanzleramt. Das heißt, von einem gemeinsam abgestimmten Gesetzesentwurf ist die große Koalition noch weit entfernt – vor einer ersten Lesung im Bundestag, der dann die Koordination in den Ausschüssen folgt, ganz zu schweigen. Bis dahin ist es also noch ein langer Weg.