Arbeitsschutzkontrollgesetz

Warum Hubertus Heil den Lobbyisten der Fleischindustrie den Kampf ansagt

Vera Rosigkeit09. November 2020
Ausbeutung in der Fleischindustrie lässt sich auch nicht mit Auftragssitzen und billigen Produkten rechtfertigen.
Eigentlich war es schon beschlossen: Mit dem Arbeitsschutzgesetz sollten die ausbeuterischen und gesundheitsgefährdenen Arbeitsdedingungen in der Fleischindustrie ein Ende gesetzt werden. Doch jetzt will die Union dem Druck der Lobbyisten nachgeben.

Im Sommer war die Empörung groß: Politik und Öffentlichkeit waren sich einig, die Missstände in der Fleischindustrie, die unter anderem zu hunderten von Corona-Infektionen geführt hatten, zu beenden. Um Beschäftigte besser zu schützen, einigte sich die Koalition daraufhin auf ein von SPD-Minister Hubertus Heil vorgelegtes Arbeitsschutzkontrollgesetz. Werkverträge und Leiharbeit sollten verboten, Standards für Massenunterkünfte und eine digitale Zeiterfassung durchgesetzt werden. Die Maßnahmen sollten bereits zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten, doch derzeit wird der Entwurf von der Union blockiert.

Heil: Brauchen öffentlichen Druck

„Doch momentan versuchen Lobbyisten Sand ins Getriebe zu bringen“, kritisiert Heil am Montag in Berlin. Trotz aller Notwendigkeit der Zusammenarbeit im Krisenmanagement und bereits getroffener Vereinbarungen versuche der Koalitionspartner zurzeit das Gesetz auszubremsen. Dabei gehe es um Arbeitsverhältnisse, „die schon vor Corona nicht in Ordnung waren, weil vor allem Menschen aus Ost- und Mitteleuropa ausgebeutet worden sind“, betont der Bundesarbeitsminister. Unter den Bedingungen der Pandemie seien diese Arbeitsverhältnisse zu einem allgemeinen Gesundheitsrisiko geworden.

„Als im Sommer die Empörung in der Öffentlichkeit riesengroß war, hatten sich alle in die Hand geschworen, dass wir damit aufhören wollen“, erinnert Heil. Nun, wo der Gesetzentwurf vorliege und sich die Öffentlichkeit anderen Dingen zuwende, versuchten „Lobbyisten uns ins Geschirr zu fahren“. Gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) will der SPD-Politiker aber weiter Druck machen. Heil: „Wir sind entschlossen, ein Arbeitsschutzkontrollgesetz durchzusetzen.“ Nicht nur in der Fleischindustrie, sondern in der gesamten Wirtschaft würden damit Kontrollen für den Arbeitsschutz in den Landesbehörden verstetigt. Denn Kontrolle sei notwendig, so Heil. Arbeitsschutzgesetze seien das eine, wenn man aber nicht vernünftig kontrolliere, würden Arbeitnehmer*innenrechte mit Füßen getreten.

SPD-Chef: Union verrät Prinzip der sozialen Marktwirtschaft

Auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans zeigt sich empört: „Wenn ich höre, dass CDU und CSU an einem ausbeuterischen System festhalten wollen, weil sonst zu wenig günstiges Grillfleisch im Angebot ist, bleibt mir die Luft weg“, kritisierte er am Wochenende im Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Hier wird nicht einmal mehr der Versuch unternommen, eine seröse Begründung zu finden“, so der SPD-Politiker. „CDU und CSU verraten das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, um die Interessen der Fleischlobby zu verteidigen.“

Auch für NGG-Chef Guido Zeitler ist das Argument der Fleischindustrie, Leiharbeit sei nötig, um Auftragsspitzen zu bewältigen, vorgeschoben: Ein zusätzlicher Bedarf, etwa in der Grillsaison, lässt sich auch durch andere Instrumente, zum Beispiel Arbeitszeitkonten, stemmen“, betont er. In der gesamten Ernährungsbranche seien solche Modelle seit langem erfolgreich. Dass Fleischunternehmen nun Sturm gegen das Leiharbeitsverbot liefen, sei nur mit dem Wunsch der Branche zu erklären, weiter maximale Gewinne einzufahren.

weiterführender Artikel

Kommentare

Was fehlt

"Unter den Bedingungen der Pandemie seien diese Arbeitsverhältnisse zu einem allgemeinen Gesundheitsrisiko geworden."
Das kann doch nicht die Begründung sein ! Solche Arbeits- und Lebensbedingungen, denen die Fleischarbeiter - und nicht nur die - unterworfen sind, sind auch ihne Pandemie eine Schweinerei und müssen weg. Genauso wie die Anfang der 2000er Jahre beschlossenen Gesetze, die sowas ermöglichen. Leider fehlt in dem ganzen Artikel der Verweiß auf das 49 Beschäftigten Limit, das ja schon als Einknicken gewertet werden kann.
Aber gerade an diesem Beispiel kann die SPD ja mal beweisen ob ihr die Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen eher am Herzen liegen als die Interessen des Kapitals.

er sollte sich

allen Lobbyist zuwenden. Wo bleibt das Lobbyregister? Warum geht Gutenberg da immer noch ein und aus, und ich bekomme keinen Termin bei der Kanzlerin?

Kampfansage ? Fehlanzeige.

Leiharbeit kann tatsächlich eine Möglichkeit sein, Auftragsspitzen abzufangen. Allerdings soltle Herr Heil sich mal bei zum Beispiel ZAG erkundigen, was deren "Pro Job" Verträge bedeuten, nämlich das nicht vorhandene "unternehmerische Risiko" violl auf die Ausgebeuteten abwälzen die für die Dauer eines Entleihverhältnisses beim Verleiher eingestellt sind und automatisch bei Ende der Entleihung verzögerungsfrei auf der Straße stehen. Unappetitlichkeiten wie die um einen Monat verzögerten Lohnzahlungen, die typisch für diese Branche sind, sowie das faktische Abschaffen und Unterlaufen der gesetzlichen Urlaubsregelungen kommen hinzu.
Das ist weder neu noch nur auf die Fleischfabriken begrenzt.

Die unsäglichen Zustände der Arbeitsssklaven aus Osteuropa in den Fleischfabriken sind aber nur zum Teil dem Werkvertragsunwesen oder den Auswüchsen bei den Leiharbeitsunternehmen geschuldet, es kommen noch Mietwucher und andere Verbrechen hinzu.

Regeln müssen stringent durchgesetzt werden und schon ab 1 Arbeitnehmer gelten. Und die dumme Ausrede "ich würde gern aber die böse CDU mag nicht" ist inakzeptabel. GG Art. 1-20, es wird Zeit das Politiker das mal lesen und beachten !

Recht hast Du

Man sollte diese Zustände als Verbrechen bezeichnen und entsprechend verfolgen - Gesetze dazu gibt es genug, und dann brauchen wir nur noch Staatsanwälte und Richter; Leider gibt es in D keine vom Kaliber des Spaniers Baltasar Garzon.

Leiharbeit und Werkverträge

Die überfällige Durchsetzung des Verbots von Leiharbeit und Werkverträgen in abhängigen Arbeitsverhältnissen sowie die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sind Gegenstand des Koalitionsvertrages und ist daher - unabhängig von Corona - endlich und ohne den Einbau von Hintertüren seitens der Lobbyisten in Regierung und Unionsfraktion schnellstmöglich in Kraft zu setzen.

Dabei sollte sich die SPD nicht scheuen, auch die Koalitionsfrage bei weiterer Blockade durch Altmaier & Co. zu stellen!

Diese Maßnahmen sind weitaus wichtiger, dienen der Menschlichkeit und dem Frieden als die angebliche "Verantwortung in der Welt" durch Aufrüstung und ähnlichen Unsinn!