Arbeitswelt-Bericht 2021

Hubertus Heil: „Deutschland muss Weiterbildungsrepublik werden“

Vera Rosigkeit18. Mai 2021
Bildungszeiten sollen in Deutschland so selbstverständlich werden wie die Elternzeit, sagt Arbeitsminister Hubertus Heil.
In Berlin stellt am Dienstag der Rat der Arbeitswelt seinen ersten Bericht vor, geprägt von den Auswirkungen der Pandemie. Im Mittelpunkt: Weiterbildung, berufliche Pflege, gesunde Arbeit und soziale Absicherung.

Mehr Weiterbildung, mehr soziale Sicherheit für Soloselbstständige, Tariflöhne in der Pflege und weniger Minijobs – in Berlin stellt der vom Bundesarbeitsministerium im Jahr 2020 berufene Rat der Arbeitswelt seinen ersten Bericht vor. Darin beschränkt sich das aus neun Mitgliedern bestehende Gremium nicht auf die Analyse der Arbeit im Wandel, sondern gibt auch Handlungsempfehlungen. Er begrüße sehr, dass der Rat in seinem Bericht Perspektiven aufgezeigt hat, wie es nach der Corona-Pandemie in der Arbeitswelt weitergeht, erklärt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am Dienstag in der Bundespressekonferenz und hebt drei Handlungsfelder hervor, die für ihn in die Zukunft weisen.

Weiterbildungsrepublik Deutschland

Das wichtigste Thema für ihn in einer sich verändernden Arbeitsgesellschaft: „Deutschland muss zu einer Weiterbildungsrepublik werden.“ Heil fordert staatlich geförderte Bildungszeiten, um berufliche Neuanfänge und Branchenwechsel zu ermöglichen. Diese Bildungszeiten, die Heil auch Zukunftszeiten nennt, sollen so selbstverständlich werden wie die Elternzeit, sagt Heil und prognostiziert „für die 20er Jahre einen unglaublichen Umbruch auf dem deutschen Arbeitsmarkt“. Um Arbeitslosigkeit zu verhindern bevor sie entsteht, will Heil die Bundesagentur für Arbeit in eine Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung weiterentwickeln. Denn der Bericht zeige ebenso wie Studien der OECD, dass Deutschland in der Weiterbildung schneller werden müsse, so Heil.

Soloselbstständige sozial absichern

Ein weiteres wichtiges Thema, das im Bericht eine Rolle spielt, ist laut Heil der Zusammenhang von Arbeit und sozialer Sicherheit. Die rund 30 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten seien, auch dank des Instruments der Kurzarbeit, einigermaßen gut durch die Krise gekommen. Im Gegensatz zu vielen Soloselbstständigen, die keine Kurzarbeit beantragen konnten und vielen Minijobber*innen, deren Jobs bereits im ersten Lockdown weggebrochen sind. In beiden Bereichen müssen nach der Pandemie „grundlegende Konsequenzen“ gezogen werden, ist Heil überzeugt.

Für Soloselbstständige schwebt ihm ein neues Sicherungsgeld unter dem Dach der Arbeitsagentur vor, vergleichbar mit der Arbeitslosenversicherung. Bei den Minijobs sieht Heil einen „grundlegenden Änderungsbedarf“. Da sei der Vorschlag des Rates „relativ radikal“, so Heil: „Wir tasten den Bestand nicht an, lassen das Modell aber auslaufen.“

Tarifvertrag in der Pflege jetzt durchsetzen

Als dritten und letzten Bereich aus diesem Bericht, der auch Themen wie mobiles Arbeiten, betriebliches Miteinander und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz umfasst, greift Heil die Arbeit in der Pflege auf, auch weil sie derzeit  „tagesaktuell“ diskutiert werde. Grundsätzlich müsse es zwar in allen sozialen Dienstleistungsberufen grundlegende Verbesserungen der Arbeits- und Lohnbedingungen geben, betont Heil. Besonders gelte dies aber in der Altenpflege. Dafür habe er in dieser Legislaturperiode einiges unternommen, vom Anheben der Mindestlöhne über den Versuch, einen flächendeckenden Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären, was am Veto der Caritas gescheitert sei.

Aktuell sei ein Tariftreuegesetz geplant, wonach Leistungen der Pflegeversicherung nur an Einrichtungen gezahlt werden sollen, die Tariflohn zahlen. „Darüber verhandeln wir gerade mit dem Bundesgesundheitsminister. Doch es kommt auf eine gute Lösung an“, sagt Heil. Es gehe um richtige Tariflöhne und nicht um irgendeinen Haustarif, fügt er hinzu. Auch dürfe die Finanzierung nicht zu Lasten der Pfleggebedürftigen gehen. „Die Zeit ist knapp, wir haben noch drei Sitzungswochen des Deutschen Bundestages.“ Die Entscheidung könnte bereits morgen fallen, sagt Heil.

Präsenz im Betrieb weiterhin erwünscht

Der erste Arbeitswelt-Bericht 2021 ist geprägt durch die Auswirkungen der Pandemie. Das „vielzitierter Corona-Brennglas“ habe strukturelle Schwächen und Chancen gezeigt, sagt Stephan Schwarz, Geschäftsführender Gesellschafter des Familienunternehmens Gebäudereinigung GRG Services Berlin. Für ihn sei die Zusammensetzung des Rates aus Vertreter*innen der Wissenschaft sowie betrieblichen Akteur*innen deshalb interessant, weil sie unterschiedliche Perspektiven auf die Transformation der Arbeitswelt ermögliche, erklärt der ehemalige Präsident der Handwerkskammer Berlin. Isabel Rothe betont, dass die Krise die Betriebe sehr unterschiedlich getroffen habe. Manche hatten eine Arbeitslast wie nie zuvor, beispielsweise das Gesundheitswesen, so die Präsidentin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Andere konnten ihre Geschäftsmodell nur mit Mühe aufrecht erhalten.

Vieles habe man aus der Krise gelernt, z.B. dass Klein- und Kleinstunternehmen mittels regionaler Betreuung Unterstützung brauchen, fährt sie fort. Auch wolle man nach der Pandemie weiter in Hygenieausstattung- und Kompetenzen investieren, insbesondere im Gesundheitswesen. Das Homeoffice habe besser geklappt, als zunächst erwartet, obwohl es unter schwierigen Voraussetzungen stattfinde. Auch aus diesen Erfahrungen heraus, fordert der Rat gesundheitsgerechte Arbeitszeiten, angemessene ergonomische Ausstattungen und einen klaren Beschäftigtendatenschutz, betont Rothe. Gleichzeitig sei für sie ein vollumfängliches Homeoffice nicht die Arbeitswelt der Zukunft. Rothe: „Der Rat der Arbeitswelt ist überzeugt, dass wir Präsenz im Betrieb wollen“.

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Kommentare

Deutschland war Weiterbildungsrepublik

Arbeitnehmer [in Arbeit, in Arbeit und arbeitssuchend, in Arbeit und Arbeitslosigkeit befürchtend, arbeitslos] hatten bis 1998 gemäss Arbeitsförderungsgesetz [AFG] einen einklagbaren Rechtsanspruch auf eine auskömmliche Förderung der beruflichen Weiterbildung [Fachlehrgänge], der beruflichen Umschulung oder ggfs. der beruflichen Erstausbildung sowie der beruflichen Aufstiegsqualifikation [Meister- oder Technikerlehrgänge, staatl. geprüfte Betriebswirte ...]. Die Regierung Kohl schaffte dies 1998 ab. Die Regierung Schröder stellte nun diese Rechtsansprüche nicht nur nicht wieder her, sondern verschlimmerte die Lage für Arbeitnehmer noch mehr [Agenda 2010]. Die nach Kassenlage und Willkür vergebenen 'Bildungsgutscheine' waren und sind nur ein billiges Plastiksurrogat für die einstige Förderung.

die Abschaffung dieser

so genannten Bildungsförderung ist auch heute noch richtig. Denn hier wurde, oft gegen vorab unterschriftlich bestätigte Beteiligung Beitragsgeld in die Taschen sich selbst so nennender Bildungsinstitute geschaufelt, ohne das hier irgendwas praxistaugliches hervorgegangen wäre. Geld wegschmeissen kann man auch anders, dazu bedurfte es dieser Bildungsansprüche nicht

Hubertus Heil

Er entfaltet seit Kurzem größtmögliche Aktivitäten. Wie sieht es aus mit der Respektrente ? Was hapert am Lieferkettengesetz? Wo bleibt der aktuelle Lagebericht aus der Fleischbranche ? Warum gibt es immer noch keinen ausreichenden Schutz für landwirtschaftliche Saisonarbeitskräfte ? Und nun die Fortbildung .... .
Ach ja, die CDSU ist Schuld -das ist mir zuuuu einfach.

Lieferkette

Nun habe ich gerade aus der Presse erfahren, daß das Lieferkettengesetz für diese Legislatur gescheitert ist. Die Initiative von Gerd Müller und Hubertus Heil habe ich begrüßt - es gab, gerade hier, viel Vorschußlorbeeren für Hubertus Heil, aber das war wohl nichts. Solche Niederlasgen müssen analysiert werden, daraus muss auch die SPD lernen können. Kirchliche Organisationen wie Misereor oder Brot für die Welt unterstützten die Initiative; warum ist es nicht gelungen ein breites Bündnis zu organisieren und soviel Öffentlichkeit herzustellen, daß auch mal die "Wirtschaftsverbände" und ihre politischen Handlanger sich nicht mehr dagegen stemmen können ?