
Bei der Vorstellung des „Weißbuchs Multilateralismus“ der Bundesregierung durch Außenminister Heiko Maas fangen die Schwierigkeiten schon bei dem Begriff an. Denn zwei Drittel der Deutschen, so eine aktuelle Umfrage, können mit dem Wort Multilateralismus überhaupt nichts anfangen. Dabei ist er ein Schlüsselbegriff für die deutsche Außenpolitik. „Multilateralismus – das hört sich an wie ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel“, scherzt Außenminister Heiko Maas am Montag bei der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“. „Aber im Grund genommen ist es ja auch so etwas: Es soll einem, wenn man es eingenommen hat, danach besser gehen.“
Das ist zumindest die Hoffnung der rund 60 Staaten, die sich weltweit der „Allianz für den Multilateralismus“ angeschlossen haben. Die Initiative ging 2019 von Außenminister Heiko Maas und seinem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian aus. Beide initiierten ein Netzwerk für internationale Zusammenarbeit und setzten damit ganz bewusst ein Zeichen: gegen den neuen Nationalismus und gegen das „America first“ des damaligen US-Präsidenten Donald Trump.
US-Präsident Joe Biden: „Diplomacy is back“
Der ist nicht mehr im Amt und aus Washington weht unter Präsident Joe Biden ein neuer und anderer Wind. „Diplomacy is back“, verkündete Biden die Abkehr der USA vom Unilateralismus seines Amtsvorgängers. Das sei „außerordentlich wichtig“ für den Multilateralismus und darüber sei er „sehr froh“, sagt Heiko Maas.
Das Weißbuch zeigt nun, aus deutscher Sicht, wie es um den Multilateralismus bestellt ist. Zugleich diene es der Bundesregierung auch als „Leitschnur“ und „verlässlicher Kompass“ für die Auswärtige Politik, betont Heiko Maas – ganz unabhängig davon, wer diese nach den Bundestagswahlen im September 2021 gestalte.
Heiko Maas: „Anhaltende Völkerrechtsbrüche durch Russland“
Das Weißbuch spreche auch ganz offen Probleme und Gefahren an. Die Außenpolitik der Regierung Trump habe nicht nur die internationale Zusammenarbeit in die Krise, sondern auch internationale Organisationen stark unter Druck gebracht. „Das hat uns außerordentlich große Probleme bereitet“, bilanziert Maas die Ära Trump. „Gleichzeitig haben wir gesehen, dass es anhaltende Völkerrechtsbrüche durch Russland gegeben hat.“ Ebenso habe man in den letzten Jahren „ein aufstrebendes China“ erlebt, das „die internationale Ordnung nach seinen Vorstellungen gestalten will und dabei auch immer mehr robust vorgeht.“
Aus all dem zieht Maas für die Europäer eine wichtige Schlussfolgerung: „Wir müssen ein Mindestmaß an Souveränität haben, um in dieser Großmächtekonkurrenz nicht zum Spielball zu werden.“ Es gebe selbstverständlich „keine Äquidistanz“ zu den großen Mächten. Wenn man etwa in China etwas für die Menschenrechte erreichen wolle, „dann müssen wir das natürlich zusammen mit den Vereinigten Staaten machen und nicht wie in der Vergangenheit unabhängig voneinander oder sogar gegeneinander“. Da werde „die Rolle Europas eine außerordentlich wichtige sein“, ist Maas überzeugt. Die EU müsse sich hier ihrer Verantwortung, aber auch ihrer Möglichkeiten bewusst sein. „Die haben wir beileibe noch nicht ausgeschöpft“, so der Außenminister. Wichtig sei, dass die Europäer beieinander blieben und sich nicht aus der europäischen Geschlossenheit „mal von China, mal von Russland, herauskaufen lassen“.
Populist*innen bedrohen kooperative Außenpolitik
Für Heiko Maas ist auch die Innenpolitik ein wichtiger Schlüssel für die Außenpolitik. Nur wenn die auswärtige Politik im Inland mehrheitsfähig sei, könne sie auch international erfolgreich sein. Deshalb sei es wichtig, die Menschen zu überzeugen und die falschen Behauptungen der Populisten zu widerlegen. „Wir wollen dafür werben, wir müssen Menschen überzeugen, es soll keine Expertendebatte sein, es soll eine Debatte sein, an der sich viele Bürgerinnen und Bürger beteiligen können.“ Wenn man vernünftig erkläre, dass Multilateralismus und internationale Zusammenarbeit im deutschen nationalen Interesse seien, „dann trocknet man den Nährboden aus für Populisten und Extremisten“.