vorwärts.de: Herr, Dethlefsen, zwei Wochen nach Beginn der israelischen Militäroffensive - wie ist die Situation in Gaza?
Knut Dethlefsen: Die Situation ist dramatisch. Die israelische Armee setzt die Angriffe mit großer Stärke fort. In der Nacht (zu Freitag) gab es heftige Kämpfe in der Umgebung von
Gaza-Stadt. Dabei gab es auch erneut viele Tote und Verletze. Auch am Freitag gab es wieder Luftangriffe.
Die UN hat der israelischen Armee vorgeworfen, ein Haus beschossen zu haben, daswelches die UN Zivilisten zum Schutz angeboten hatte. Können sie diese Berichte bewerten?
Dieser Vorfall ist neu. Es gab einen unbestrittenen Vorfall am 6. Januar, bei dem eine UN-Schule von der israelischen Armee beschossen wurde. Dabei gab es 40 Tote, bis auf zwei waren alle
Zivilisten. Die israelische Armee hat behauptet, dass sie von der Schule aus beschossen wurde. Die UN hat dies zurückgewiesen. Das Militär hat dem wiederum nicht widersprochen. Der Vorfall wird
nun untersucht.
Der Vorfall, den Sie angesprochen haben, liegt schon eine Woche zurück. Ich weiß darüber nur, was die UN
berichtet. Die israelische Armee soll demnach am 4. Januar in einer Ortschafts names Zeitun, die etwas südlich von Gaza-Stadt liegt, 110 Zivilisten, die Hälfte davon Kinder, aufgefordert haben,
sich in ein Haus zu begeben. Dieses Haus soll dann laut Augenzeugen von der Armee 24 Stunden später beschossen worden sein. Dabei gab es circa 30 Tote.
Sicher ist, dass das Rote Kreuz massiv daran gehindert wurde, zu dem Haus zu gelangen und die Verletzten zu versorgen. Wie das genau abgelaufen ist, wissen wir nicht. Dafür bedarf es einer
unabhängigen Untersuchung.
Das Problem ist, dass die Informationen aus Gaza sehr unzureichend sind. Internationale Journalisten dürfen wegen der Sperre der israelischen Armee nicht dorthin.
Ziel der israelischen Offensive ist es ja, den Raketenbeschuss durch die Hamas zu stoppen. Bisher ist das nicht gelungen. Wie realistisch ist das Ziel überhaupt ?
Grundsätzlich ist das Ziel legitim, die Mittel aber ungeeignet. In einem so dicht besiedelten Gebiet wie dem Gaza-Streifen ist es unmöglich, chirurgische Schläge durchzuführen. Es kommen
unverhältnismäßig viele Zivilisten ums Leben oder werden verletzt. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel, die Israel anwendet, ist anzuzweifeln.
Außerdem ist es nicht möglich, die Hamas militärisch zu besiegen. Das geht nur am Verhandlungstisch und nicht auf dem Schlachtfeld.
Wie ist die innenpolitische Situation in Israel. Die Offensive dauert nun schon zwei Wochen. Steht die Bevölkerung trotzdem weiter mehrheitlich hinter der Regierung?
Wir haben keine aktuellen Umfragen. Mein Eindruck ist, dass die Bevölkerung in großen Teilen weiter hinter der Offensive steht. Ausgenommen natürlich die palästinensische Bevölkerung in
Israel, das sind ja immerhin 20 Prozent. Es gab von Anfang an auch einen kleinen Teil, ungefähr 20 Prozent der Israelis, der eine politische Lösung befürwortet.
Es gibt auch eine große Anzahl von Intellektuellen, die sich kritisch in den großen Zeitungen äußern, zum Beispiel was die Verhältnismäßigkeit der Mittel angeht. Sie stellen auch die Frage, ob
Israel mit diesem Einsatz langfristig seinen Interessen dient.
Der UN-Sicherheitsrat hat in einer Resolution eine sofortige Waffenruhe gefordert, auch die USA stehen hinter diese Resolution. Am Freitag war zu lesen, dass Barack Obama vorsichtige
Kontakte zur Hamas knüpfen will. Ist das ein Schwenk in der US-Politik im Nahen Osten?
Das kann man noch nicht beurteilen. Wenn Obama wirklich Kontakt mit der Hamas aufnehmen würde, würde das tatsächlich eine ganz neue US-Politik im Nahen Osten bedeuten. Ich halte es aber
für relativ unwahrscheinlich, dass er das am Anfang seiner Präsidentschaft tut.
Bei der Abstimmung im Sicherheitsrat haben sich die USA ja enthalten, aber signalisiert, dass sie die Resolution unterstützen. Die Resolution ist nicht sehr klar in den Details. Sie fordert
vor allem einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand von allen Parteien. Allerdings wurde sie mit den Konfliktparteien nicht verhandelt.
Entscheidend ist im Moment, dass es eine internationale Vermittlung gibt. Hier ist besonders Ägypten aktiv. Wir würden uns aber wünschen, dass die EU eine sehr viel aktivere Rolle spielt
als bisher.
Welche Rolle könnte Deutschland spielen ? Sollte sich die Bundeswehr beispielsweise an einer möglichen UN-Friedenstruppe beteiligen?
Die Diskussion um eine Friedenstruppe ist verfrüht. Es kommt jetzt erst Mal drauf an, eine Waffenruhe herzustellen, dann kann man über Mechanismen sprechen, um die Waffenruhe zu sichern.
Man sollte jetzt nicht schon über Truppenkontingente diskutieren. Es wir ja ohnehin eher um eine Beobachtermission gehen.
Deutschland könnte aber mit den anderen EU-Staaten vermitteln. Deshalb sind Stellungnahmen, wie von Bundeskanzlerin Merkel, die sich mit einer Seite, nämlich Israel, solidarisiert hat,
nicht hilfreich. Dadurch wird der Handlungsspielraum unnötig eingeschränkt.
Von Palästinenserpräsident Machmud Abbas war zuletzt wenig zu hören. Welche Rolle spielt er noch?
Er ist nach wie vor Vorsitzender der PLO und damit der offizielle Verhandlungsführer der Palästinenser bei eventuellen Friedensgesprächen. Aber durch die Offensive wird natürlich die Hamas
insgesamt gestärkt und die moderaten Kräfte in Palästina und den arabischen Staaten geraten unter Druck. Deswegen ist die Offensive politisch auch sehr gefährlich.
Interview: Karsten Wiedemann
Weitere Infos sowie Newsletter zum Nahost-Konflikt unter
www.fespal.org