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„Wer gute Arbeit fördern will, muss ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern“

Kai Doering16. Oktober 2019
Philip Kovce: Wer das Grundeinkommen wirklich verstehen will, der sollte seine wechselvolle Geschichte kennen.
Philip Kovce: Wer das Grundeinkommen wirklich verstehen will, der sollte seine wechselvolle Geschichte kennen.
Philip Kovce setzt sich seit Jahren für das bedingungslose Grundeinkommen ein. Mit dem Grundeinkommensgegner Birger P. Priddat hat er nun ein Buch mit Grundlagentexten herausgegeben. Ein Interview über den Sinn von Arbeit und Parallelen zwischen Grundeinkommen und Frauenwahlrecht.

Seit einigen Jahren wird in Deutschland über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert. Die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern scheinen manchmal sehr verhärtet, Kompromisse kaum möglich zu sein. Warum polarisiert das Thema so sehr?

Das bedingungslose Grundeinkommen polarisiert, weil es ebenso simpel wie radikal ist. Simpel ist es, weil es sich die aufreibenden Anspruchs- und Bedarfsprüfungen des heutigen Sozialstaats erspart. Radikal ist es, weil es sich nicht als Sozialleistung, sondern als Grundrecht versteht. Beides wird dem Grundeinkommen immer wieder vorgeworfen: Die einen meinen, es sei viel zu einfach und lenke von unzähligen komplexen Problemen bloß ab. Die anderen meinen, es ginge viel zu weit und käme anstatt einer wohlüberlegten Reform des Sozialstaats einer brandgefährlichen Faulenzer-Revolution gleich.

Im Vorwort Ihres neuen Sammelbandes zum Grundeinkommen schreiben Sie, dass das Provozierende nicht das Grundeinkommen selbst sei, sondern seine Bedingungslosigkeit. Wie meinen Sie das genau?

Unser Sozialstaat ist ja längst dafür da, das Grundeinkommen von Bedürftigen zu sichern. Allerdings knüpft er daran oftmals widersinnige bis unwürdige Bedingungen. Auf diese Bedingungen ganz zu verzichten, wäre ein sozialpolitischer Kulturbruch – und ein grundrechtlicher Meilenstein! Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens befreit die Existenzsicherung aus dem Würgegriff des ökonomisch überforderten und moralisch übergriffigen Sozialstaats. Und nicht nur das: Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens sorgt außerdem dafür, dass sich der Einzelne auf dem Arbeitsmarkt nicht länger ausbeuten lassen muss. Anstatt Bedürftigen zu misstrauen, vertraut das bedingungslose Grundeinkommen allen Bürgern und ermöglicht ihnen, aus freien Stücken füreinander tätig zu werden.

Cover Grundeinkommen

Sie setzen sich seit Jahren für das bedingungslose Grundeinkommen ein. Ihr Co-Herausgeber Birger P. Priddat lehnt es ab. Wie kommt es, dass Sie nun gemeinsam ein Buch mit Grundlagentexten zum Grundeinkommen herausgegeben haben?

Egal, ob man nun dafür oder dagegen ist: Wer das Grundeinkommen wirklich verstehen will, der sollte seine wechselvolle Geschichte kennen. Nur so lassen sich gegenwärtige Positionen einordnen und künftige Perspektiven abschätzen. Dieses Erkenntnisinteresse hat uns zusammengeführt und politische Meinungsverschiedenheiten überbrückt.

Hat dieser Prozess bei einem von Ihnen dazu geführt, dass er seine Position geändert hat?

Ich würde sagen, dass die Arbeit an diesem Buch dazu geführt hat, dass ich das Grundeinkommen entschiedener befürworte und Birger P. Priddat es weniger entschieden ablehnt. Wir haben uns genau genommen also nicht angenähert, aber in die gleiche Richtung bewegt: nämlich auf das Grundeinkommen zu. Dass dies auch für Birger P. Priddat gilt, lässt sich in seiner jüngsten Monografie „Arbeit und Muße“ nachlesen, die kritisch, aber interessiert, das Grundeinkommen diskutiert.

Die Textauswahl Ihres Sammelbandes spiegelt wider, wie geistesgeschichtlich über Jahrhunderte auf soziale Fragen geantwortet wurde. Gibt es aus Ihrer Sicht einen Grundvater oder eine Grundmutter des Grundeinkommens?

Nicht ohne Grund steht ein Auszug aus Thomas Morus’ Roman „Utopia“ am Anfang unseres Buches. Morus schlägt bereits 1516 vor, Mundraub nicht länger mit dem Tod zu bestrafen, sondern mit einem Mindesteinkommen vorzubeugen. Wer hungrig stiehlt, der sei meistens nicht böse, so Morus. Er werde ganz im Gegenteil von der angeblich guten Gesellschaft oftmals im Stich gelassen und schuldlos zur Räuberei gezwungen. Anstatt drakonischer Strafen fordert Morus deshalb präventive Maßnahmen – ein ebenso pragmatisches wie humanistisches Ansinnen. Damit erweist sich Morus als einer der geistigen Väter des Grundeinkommens, dem bis heute viele Generationen nachfolgen, die die Idee weiter voranbringen.

Sie vergleichen die Debatte von heute über das Grundeinkommen gern mit der Debatte über das Frauenwahlrecht vor 100 Jahren. Wo sehen Sie Parallelen?

Die Einführung des Frauenwahlrechts entsprach der längst überfälligen Realisierung eines Grundrechts, das einem Großteil der Bevölkerung mit scheinheiligen bis zynischen Argumenten lange Zeit vorenthalten wurde. Ähnlich verhält es sich mit dem Grundeinkommen: Wir kennen längst das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschwürdigen Existenzminimums. Wenn wir diese Gewährleistung jedoch an Bedürftigkeit und Wohlverhalten knüpfen, wie dies derzeit im Hartz-IV-Regime der Fall ist, dann verkehrt sich ein fundamentales Freiheitsrecht kurzerhand in ein staatliches Instrument moralischer Züchtigung. Anders gesagt: Solange wir ein Grundeinkommen nicht bedingungslos gewähren, bleiben wir im Grunde genommen hinter unseren eigenen Ansprüchen als freie Gesellschaft und moderner Rechtsstaat zurück.

Die SPD hat in den vergangenen Monaten intensiv über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert. Generalsekretär Lars Klingbeil hat u.a. ein Grundeinkommensjahr vorgeschlagen. Wie bewerten Sie das?

Die SPD begeht in meinen Augen den großen Fehler, ausgerechnet das, was nichts mit einem bedingungslosen Grundeinkommen zu tun hat, als Grundeinkommen verkaufen zu wollen. Wenn Lars Klingbeil ein staatlich bezuschusstes Sabbatical wohlklingend Grundeinkommensjahr nennt oder Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller von einem solidarischen Grundeinkommen spricht, wo es de facto um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geht, dann ist das Augenwischerei und kommt ganz und gar nicht gut an. Vor allem diskreditiert es die ernsthaften Bemühungen zahlreicher Mitglieder, Kreisverbände und auch Teile der Jusos, vom Grundeinkommen nicht nur begrifflich zu profitieren, sondern die SPD mit einem eigenen Grundeinkommensmodell aus dem 19. Jahrhundert der Industrialisierung ins 21. Jahrhundert der Digitalisierung zu führen.

In ihrem Sozialstaatskonzept hat sich die SPD allerdings klar gegen ein Grundeinkommen ausgesprochen. Sie sieht stattdessen ein Recht auf Arbeit als die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung. Schließen sich ein Recht auf Arbeit und ein bedingungsloses Grundeinkommen aus Ihrer Sicht aus?

Wenn die SPD vom Recht auf Arbeit spricht, aber vom herrschenden Arbeitszwang nicht lassen will, dann offenbart sich ihr tragischer Selbstwiderspruch. Ein Recht auf Arbeit würde ja erst dann wirklich bestehen, wenn die faktische Arbeitspflicht der Allermeisten endlich aufgehoben wäre. Was Pflicht ist, kann kein Recht sein. Ganz abgesehen davon, geht es beim Recht auf Arbeit vor allem um ein Recht auf fremdbestimmte Erwerbsarbeit. Warum sollte es ausgerechnet auf diese dekadente Form der Beschäftigung ein Recht geben? Für ein Recht auf Arbeit als selbstbestimmte Tätigkeit wäre heutzutage vielmehr ein Recht auf Einkommen notwendige Voraussetzung. Kurzum: Wer gute Arbeit freier Menschen fördern will, der kommt letztlich nicht umhin, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fordern.

Philip Kovce, Birger P. Priddat (Hg.) Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundlagentexte, Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 514 Seiten, 26 Euro

Philip Kovce

32, ist Ökonom und Philosoph und forscht an den Universitäten Witten/Herdecke sowie Freiburg im Breisgau zum bedingungslosen Grundeinkommen. Er gehört dem Think Tank 30 des Club of Rome an und veröffentlichte gemeinsam mit dem Schweizer Unternehmer Daniel Häni die Bücher "Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Manifest zum Grundeinkommen" (2017) sowie "Was fehlt, wenn alles da ist? Warum das bedingungslose Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt" (2015)

Grundeinkommen – Utopie oder Zukunftskonzept?

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Kommentare

Arbeitsteilung konsequent zuende denken

Zwei Zitate zeigen auf, dass ein Grundauskommen die konsequent weitergedachte gesellschaftliche Organisation in Arbeitsteilung ist:

1: Gustav von Schmoller "Hauptsächlich aber muss, wenn irgendwo volle Arbeitsteilung stattfinden soll, durch gesellschaftliche Einrichtungen für den Unterhalt, für die Ernährung, Bekleidung und Behausung derer gesorgt werden, welche ihre ganze Arbeitskraft andern widmen."

2: Johann Karl Rodbertus "Die Theilung der Arbeit könnte eben so gut Theilung des Erarbeiteten heissen, denn dieser Begriff ist erst die nothwendige Ergänzung des ersteren."

Wir überlassen Unternehmen die Festlegung der Höhe der Teilhabeberechtigung (Geld). Wie sollen die aus betriebswirtschaftlicher Perspektive die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen? Die Gewerkschaften können nur bedingt moderieren.