Nachruf

Günter Grass, Nobelpreisträger und Sozialdemokrat, ist gestorben

Jörg Hafkemeyer13. April 2015
Günter Grass hat seine Jugend im NS-Regime immer als Last für sich und seine Generation gesehen.
Günter Grass hat seine Jugend im NS-Regime immer als Last für sich und seine Generation gesehen, aber das Sich-Selbst-Finden danach als wertvolle Erfahrung, die Jüngeren so fehlt.
Günter Grass konnte sehr humorvoll und ein großartiger Gastgeber sein. Mit wachen Augen zuhörend, gescheit und eindeutig reagierend. Am heutigen Montag ist er gestorben. Was für ein Leben? Was für ein Mann?

Günter Grass konnte ziemlich heftig austeilen und war leicht zu verletzen. Er hat zauberhafte Bücher geschrieben wie „Die Blechtrommel“, seinen Welterfolg, aber auch „Das Treffen von Teltge“, jenen kleinen Band über die Versammlung der deutschen Barockdichter in Teltge bei Münster 1647, wo zur gleichen Zeit um den Westfälischen Frieden geschachert wurde.

Die NS-Zeit, die Last seiner Generation

Ich erinnere ein langes Gespräch in seinem Atelier in Behlendorf bei Lübeck an einem hellen Novembertag. Pfeife rauchend schaut er hoch, blickt sehr nachdenklich: „Ich möchte mal etwas über diese Generation sagen, die da morgen oder übermorgen weg sein wird. Das merkt man erst hinterher, dass das, was auch Last war, also geprägt und verformt durch die Zeit des Nationalsozialismus, der eine mehr, der andere weniger; die Schwierigkeit des Kriegsendes, der Nachkriegszeit, des Sich-Selbst-Findens nach einer bedingungslosen Kapitulation, die im Nachhinein als Befreiung deklariert, aber doch erstmal als Niederlage empfunden wurde. Jedenfalls innerhalb meiner Generation. Dann einen Weg zu suchen, sich zu orientieren, frei von Zwängen und Ideologie. Das hat, bei allen Schwierigkeiten, eine Erfahrung anwachsen lassen, die der nachfolgenden Generation in dem Maße nicht zuteil wurde.“

Im Jahr 2006 erscheint eine Art Autobiographie, „Beim Häuten der Zwiebel“. Durch sie wird bekannt: Günter Grass war zur Waffen-SS eingezogen worden. Als 17-jähriger. „Ich gehörte zu den gebrannten Kindern. Aber ich habe meine Lektionen verstanden, habe daraus die Konsequenzen gezogen.“ Er war ein Einzelgänger, jemand, der sich nicht anpassen wollte, in den letzen Jahrzehnten zurückgezogen lebte. Jemand, der immer wieder seine Stimme erhob. Beim Wiedervereinigungsprozess, den er so nicht bezeichnen wollte. Mit seiner Kritik an der israelischen Regierung, was deren Iran- und Palästina-Politik betraf.

Der engagierte Sozialdemokrat Grass

Von 1953 bis 1956 studiert er in Berlin an der Hochschule der Künste, der späteren UdK, Bildhauerei bei Karl Hartung. Geht danach drei Jahre nach Paris und zieht 1959 wieder nach Berlin, in den Stadtteil Friedenau. Sein Nachbar ist Uwe Johnson. Anfang dieses Jahrtausends besuchte er seine alte Hochschule auf Einladung ihres damaligen Präsidenten Lothar Romain. Sichtlich gerührt lässt sich Grass von ihm begrüßen, nimmt am alljährlichen Sommerfest teil mit all den Jugendlichen aus dem In- und Ausland: „Dieser jungen Generation ist die Zukunft teilweise vernagelt. Das ist eine ganz neue Erfahrung.“

Der Kritiker des kapitalistischen Systems

Grass blickte auf ein Wirtschaftssystem, das verrottete, auf eine Demokratie, die in Gefahr war: „Es ist nicht zwangsläufig. Es liegt daran, dass dieses System nicht reformfähig ist oder sich nicht als reformfähig erweist. Wir haben Warnungen genug bekommen. Es wurde auch gesagt, woran es liegt: Die Banken müssten in ihrer Macht kontrolliert werden. Aber es ist bislang nichts geschehen, was dieses verrückt spielende Finanzsystem unter Kontrolle bringt.“

Die Systemfrage hat ihn bis an sein Lebensende beschäftigt. „Denn wenn das zusammenkracht, wird dieses Vakuum von rechts ausgefüllt. Das hat nichts mit dem herkömmlichen Faschismus oder Nationalismus zu tun, sondern mit rechten Glaubenssätzen in allen möglichen zeitgenössischen Spielarten.“

Sigmar Gabriel zum Tod von Günter Grass

Die deutsche Sozialdemokratie verliert einen Wegbegleiter, engen Freund und Ratgeber. Die SPD verdankt Günter Grass viel: Der Literaturnobelpreisträger war jahrzehntelang, seit seiner legendären Freundschaft mit Willy Brandt, ein Ratgeber und Wahlkämpfer der Sozialdemokratie. Seit den 1960er Jahren hat sich Günter Grass in zahllosen Bundes- und Landeswahlkämpfen engagiert, Menschen bewegt und das bisweilen scharfe Wort geführt.

Sein literarisches Schaffen hat Weltrang. Damit hat er unser Land verändert, im besten Sinne aufgeklärt. Seine oft streitbaren Einwürfe und Interventionen in verschiedenen Initiativen haben die politische Kultur in Deutschland bunter und reicher gemacht und das Verhältnis von Politik und Kultur gewandelt. Die SPD verneigt sich vor Günter Grass.

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Kommentare

Ruhe in Frieden, Günter

Ruhe in Frieden, Günter. Einer der Großen ist von uns gegangen. Auch wenn er ziemlich polarisiert hat, so hat er nie ein Blatt vor den Mund genommen. Das habe ich immer an ihm bewundert. Lena

Zum Tode von Günter Grass

Wenn oben erwähnt wird, dass Günter Grass 1982 in die SPD eingetreten ist, sollte redlicherweise auch erwähnt werden, dass er 1992 wieder ausgetreten ist. Gleichwohl blieb er der SPD kritisch solidarisch verbunden.
Gegenüber der Kritik verschiedener Blätter, er habe sich in seinem Gedicht antisemitisch geäußert, muss angenommen werden, dass diese Kritiker sein Gedicht wohl nie gelesen hatten. Denn eine berechtigte Kritik an der Kriegsführung von Israel, die im Gedicht zum Ausdruck kam, darf nicht mit Antisemitismus gleichgesetzt werden. Aber die sogenannten Qualitätsjournalisten halten es nicht so genau mit der Wahrheit wie wir es in jüngerer Zeit immer wieder, so am Beispiel Griechenland, erleben müssen.