
2016 war mit der Volksabstimmung in der Schweiz und vielen Initiativen weltweit eine Art Jahr des Grundeinkommens. Wie geht es 2017 weiter?
Für das Grundeinkommen kann man mit Blick auf die Schweiz eine alte Fußballweisheit umdichten: Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Wer etwas bewegen will, der braucht einen langen Atem. Und da das Thema jetzt auf dem Tisch ist, sich jedoch noch nicht erschöpft hat, werden die Eidgenossen gewiss früher oder später wieder darüber abstimmen. Aber nicht nur in der Schweiz, auch weltweit tut sich gerade einiges in Sachen Grundeinkommen: Es gibt Feldexperimente in den Niederlanden, Finnland, den USA und Kenia, der sozialistische Kandidat Benoît Hamon ist bei der französischen Präsidentschaftswahl mit der Forderung eines Grundeinkommens angetreten und auch in Deutschland spielt das Thema bei der kommenden Bundestagswahl eine Rolle.
Inwiefern?
Mit dem „Bündnis Grundeinkommen“ gründet sich gerade eine Ein-Themen-Partei, die im Wahlkampf 60 Millionen Flyer zum Grundeinkommen verteilen will. Außerdem wird das Grundeinkommen längst in allen etablierten Parteien diskutiert. Es ist derzeit eine parteiübergreifende Minderheitenposition, die sich nicht parteipolitisch vereinnahmen und ganz unterschiedlich ausgestalten lässt.
Birgt das nicht die Gefahr von Beliebigkeit?
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist nicht beliebig. Aber das heißt nicht, dass nicht viele Wege zum Ziel führen. Wenn wir uns fragen, wer wir in Zukunft sein, wie wir in Zukunft arbeiten wollen, dann verspricht uns das Grundeinkommen die Möglichkeit, diese Fragen wirklich zuzulassen. Es fehlen uns weder die materiellen noch die finanziellen Voraussetzungen eines Grundeinkommens, sondern der Mut zu existenziellen Fragen.
Auch die SPD tut sich schwer mit der Idee des Grundeinkommens. Sollte sie umdenken und das Grundeinkommen vielleicht sogar zu einem Thema im Bundestagswahlkampf machen?
Wenn die SPD kein Museum der Arbeiterbewegung, sondern eine Vordenkerin guter Arbeit sein will, dann täte sie gut daran, das Grundeinkommen nicht zu verteufeln. Das Grundeinkommen befreit die Arbeit. Wir werden mit einem Grundeinkommen so frei und so gut arbeiten können wie noch nie zuvor. Wie man dem Grundeinkommen immer wieder unterstellen kann, es würde die Arbeit entwerten und die Gesellschaft spalten, kann ich nicht nachvollziehen. Das Gegenteil ist der Fall: Das Grundeinkommen stärkt jede Form der Arbeit – außer Zwangsarbeit. Das ist ein verbindendes, kein spaltendes Moment.
In Ihrem gerade gemeinsam mit Daniel Häni veröffentlichten „Manifest zum Grundeinkommen“ schreiben Sie: „Wie das bedingungslose Grundeinkommen kommt, ist entscheidend dafür, was es bewirkt.“ Was meinen Sie damit?
Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen in einem autokratischen System eingeführt, hätte es nicht die Kraft, die es entwickelt, wenn sich eine offene Gesellschaft in einem öffentlichen Diskurs dafür entscheidet. Genau auf diesen Diskurs kommt es beim bedingungslosen Grundeinkommen an. Seine Bedingungslosigkeit setzt voraus, dass wir uns offen und ehrlich darüber austauschen, ob wir es wirklich wollen. Ein Grundeinkommen, das ohne gesellschaftliche Debatte eingeführt oder bloß als Notlösung durchgedrückt wird, existiert im luftleeren Raum. Wenn man bedenkt, welche Vertiefung der öffentliche Diskurs dank direkter Demokratie erfährt – Beispiel Schweiz –, dann sollte das Grundeinkommen eigentlich nicht von einem Parlament beschlossen, sondern grundsätzlich mittels einer Volksabstimmung angenommen werden.
Philip Kovce ist Ökonom und Philosoph. Er forscht am Basler Philosophicum und gehört dem Think Tank 30 des Club of Rome an. Er veröffentlichte gemeinsam mit Daniel Häni das Manifest „Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?“ und edierte den Sammelband „Soziale Zukunft. Das bedingungslose Grundeinkommen. Die Debatte“.Zur Person