Sicherheit vs. Datenschutz

Große Koalition stimmt für Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung

Christian Rath16. Oktober 2015
Telefon- und Internet-Unternehmen müssen künftig die Verbindungsdaten aller Kunden anlasslos zehn Wochen lang speichern
Telefon- und Internet-Unternehmen müssen künftig die Verbindungsdaten aller Kunden anlasslos zehn Wochen lang speichern
Der Bundestag hat am Freitag die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland beschlossen. 404 Abgeordnete von CDU/CSU und SPD stimmten dafür, es gab 148 Gegenstimmen sowie sieben Enthaltungen. Auch das Votum der SPD-Fraktion fiel nicht einheitlich aus.

Telefon- und Internet-Unternehmen müssen künftig die Verbindungsdaten aller Kunden anlasslos zehn Wochen lang speichern - für den Fall, dass die Polizei sie brauchen könnte. Standortdaten von Handys sollen nur vier Wochen gespeichert werden.

Justizminister Heiko Maas (SPD) erklärte: „Im Vergleich zur früheren Vorratsdatenspeicherung werden weniger Daten sehr viel kürzer gespeichert.“ Im ersten Gesetz, das das Bundesverfassungsgericht 2010 gestoppt hatte, war noch eine Speicherung von sechs Monaten vorgesehen. Ausgenommen sind bei der Neuauflage des Gesetzes die E-Mail-Verbindungsdaten. Und der Katalog der Straftaten, zu deren Aufklärung die Polizei die gespeicherten Daten abfragen darf, wurde „halbiert“, so Maas.

Inhalte werden nicht gespeichert, oder?

Redner der Koalition betonten, dass nach wie vor nicht die Inhalte der Kommunikation gespeichert werden, auch nicht die im Internet angesehenen Webseiten. Zwar hatte die Süddeutsche Zeitung am Freitagmorgen enthüllt, dass bei SMS aus technischen Gründen auch der Inhalt gespeichert werde, doch das wurde in der Debatte mit keinem Wort erwähnt, auch nicht von der Opposition.

Für die Grünen kündigte Konstantin von Notz eine Verfassungsklage an. „Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist ein rechtsdogmatischer Dammbruch par excellence.“ Volker Ulrich (CDU) entgegnete, dass das Bundesverfassungsgericht 2010 die Vorratsdatenspeicherung „nicht per se“ abgelehnt habe. Renate Künast (Grüne) ging davon aus, dass wohl eher der Europäische Gerichtshof das Gesetz zum Scheitern bringe.

Halina Wawzyniak (Linke) kritisierte, dass es nach wie vor keinen Beleg für Sinn und Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung gebe. Dagegen versprach Elisabeth Winkelmeier Becker (CDU): „Mit einer verbindlichen Speicherung können deutlich mehr Straftaten aufgeklärt werden.“ Dies werde auch die Evaluation ergeben, die drei Jahre nach Start der Vorratsdatenspeicherung stattfinden soll.

Viele Provider speicherten Verbindungsdaten bereits vorher

Die Vertreter der Koalition argumentierten, dass Verbindungsdaten zumindest „Ermittlungsansätze“ für weitere Ermittlungen brächten, mit ihnen könnten „Netzwerke und Strukturen“ erkannt werden, bei Taten im Netz seien die Verbindungsdaten oft der einzige Anhaltspunkt. Johannes Fechner (SPD) betonte, dass Handy-Standortdaten auch zur Entlastung eines Verdächtigen dienen können, wenn er so beweisen kann, dass er gar nicht am Tatort war.

Die Verbindungsdaten sind auch heute bei den Providern meist schon vorhanden, zu Abrechnungs- oder Wartungszwecken. Wawzyniak kritisierte die Zwangsspeicherung dennoch: „Datenschutzfreundliche Unternehmen könnten nun nicht einmal darauf verzichten.“ Die Union betonte, es dürfe nicht vom Zufall abhängen, ob die Polizei Zugriff auf die Verbindungsdaten bekomme oder nicht.

Flisek: Gesetz trägt „sozialdemokratische Handschrift“

Christian Flisek verteidigte das Hin und Her der SPD bei der Vorratsdatenspeicherung. „Die intensive Debatte ist keine Schwäche, sondern eine Stärke der Sozialdemokratie.“ Das Gesetz zeichne sich durch eine „ruhige, abwägende Tonlage“ aus, es trage eine „sozialdemokratische Handschrift“.

Davon waren allem Anschein nach aber längst nicht alle Mitglieder der SPD-Fraktion im Bundestag überzeugt. Von den 179 anwesenden Abgeordneten stimmten 129 für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, 43 dagegen, 14 weitere enthielten sich. Im Internet machten einige Gegner der Vorratsdatenspeicherung bereits kurz vor oder nach der Abstimmung ihre Position deutlich:

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Kommentare

Einschränkung von Bürgerrechten (Teil 1)

Die SPD hat mit ihrer mehrheitlichen Zustimmung zu diesem Gesetz erneut gezeigt, dass sie nicht in der Lage ist, für das Grundgesetz einzustehen - ob aus Anbiederung an die Wünsche der konservativen Koalitionspartner oder aus anderen Gründen:

Mit diesem Beschluss wird willfährig dem Verlangen sogenannter "Sicherheitsbehörden" nachgegeben, bei dem augenscheinlich die eigene Machterweiterung Vorrang vor dem Bewahren einer freiheitlichen Grundordnung genießt.

Zu dem vorgebrachten Argument, Handy-Standortdaten könnten unschuldig Verdächtige entlasten, kann man sagen, dass in Deutschland die Unschuldsvermutung gilt - können keine absolut schlüssigen Beweise vorgebracht werden, gilt der Verdächtigte als unschuldig; eine Entlastung unbescholtener Bürger sollte also eigentlich gar nicht notwendig sein.
(Außerdem sei gesagt, dass hier ein vom Tatort abweichender Standort wenig Beweiskraft für einen Freispruch hätte, wäre es doch einfach das Mobiltelefon für den Zeitraum einer Straftat andernorts zu platzieren.)

Einschränkung von Bürgerrechten (Teil 2)

Auch die Behauptung, dass ohnehin schon einzelne Daten zu Abrechnungszwecken gespeichert werden müssen, hilft den Befürwortern des Gesetzes nicht weiter. Das Speichern der Daten gewinnt nicht nur durch den trozdem deutlich zunehmenden Umfang, sondern auch durch den Zugang für die Behörden eine neue Qualität.
Was das vorgebrachte Argument tatsächlich zur logischen Konsequenz hat, ist, dass die Speicherung der Daten bei Telekommunikationsanbietern wirklich auf ein für die Abrechnung notwendiges Maß eingeschränckt wird, welches sich eigentlich auf die bis zum entsprechenden Zeitpunkt angefallenen Kosten reduzieren ließe.

Diese anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten und -inhalten(!) aller Bürger und die Verfügbarmachung dieser für Behörden hat aber erhebliche Auswirkungen auf unsere Freiheit und unseren Rechtsstaat.
Denn wer sich überwacht fühlt - ja, überwacht weiß - wird zu Konformität getrieben:
Wer nun politisch agiert, d.h. etwa (anonym) publiziert, sich informiert oder demonstriert, muss sich fragen, ob das bei allen Teilen der Exekutive auf Gegenliebe stößt - oder eben nicht.

Einschränkung von Bürgerrechten (Teil 3)

Denn jeder Besuch von Websites wird nachvollziehbar - ob man nun Blogs liest, die politisch inopportune Inhalte publizieren, oder einen kritischen Kommentar auf einer Nachrichtenseite hinterlässt.

Durch die Speicherung des Handystandortes, welche de facto die Verfolgbarkeit des Handelns des Bundesbürgers sicherstellt, wird auch der Besuch von Demonstrationen nachvollziehbar.

Es werden also gerade die Partizipationsmöglichkeiten, die für die Pluralität unserer Gesellschaft wichtig sind, und bei denen eben durch die Diversität der Meinungen der gesellschaftlich Fortschritt vorangetrieben wird, untergraben.

Dass die Überwachung und Drangsalierung von Bürgern, die andere Meinungen vertreten als manche Behördenmitarbeiter, leider auch in der modernen Bundesrepublik Deutschland kein Hirngespinst ist, zeigt der Fall des Berliner Soziologen Andrej Holm.
Wer sich, wie jener, mit gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzt, kann ins Fadenkreuz der Ermittler geraten.

Einschränkung von Bürgerrechten (Teil 4)

Eine Vorratsdatenspeicherung kann in dieser Hinsicht eine breitere Masse treffen, die ihre Meinung bisher online anonym publiziert hat - und nun identifizierbar wird. Einzelnen droht im schlimmsten Fall die eine ähnliche Verfolgung, mögen ihre Ansinnen noch so dem Grundgesetz verschrieben sein. Viele werden sich in Zukunft aus diffuser Furcht mit dem Kundtun ihrer Meinung zurückhalten.
Wer dieses Problem herunterspielt, weil er es für unwahrscheinlich hält, selbst betroffen zu sein, weil ohnehin konform, handelt unsolidarisch und vergisst einen Wert, auf den unsere Gesellschaft und deren Entwicklung wesentlich aufbaut - freie Meinung.

Vorratsdatenspeicherung

Ich habe Achtung vor den 43 SPD-Abgeordneten, die gegen das Gesetz gestimmt haben.

Vor allem hoffe ich, dass das Mitgliederbegehren zustande kommt, das nicht einfach ignoriert werden kann, auch wenn der Parteivorsitzende anderer Meinung ist.

Vorratsdatenspeicherung

Wenn auch viele Provider bereits vorher gespeichert haben oder Google, kaum dass das Gesetz beschlossen wurde, aber noch nicht in Kraft ist, alle möglichen Daten der Nutzer bis hin zu Kreditkartennummern abfragt, ist dies noch lange kein Argument für die VDS, sondern sollte eher den Gesetzgeber auffordern, etwas dagegen zu tun.