Pandemie

Griechenland und Corona: Die Krise nach der Krise

Ulrich Storck06. April 2020
Die Corona-Pandemie sorgt auch in Athen für leere Straßen
Die Corona-Krise trifft Griechenland in einem schlechten Moment: Nach schwerer wirtschaftlichen Krise, verzeichnete das Land gerade einen leichten Aufschwung. Ungewiss auch: das Schicksal von 120.000 Geflüchteten.

Griech*innen sind ein geselliges Volk, man versammelt sich gerne draußen, mit der Familie, Ostern verbringt man in den Heimatdörfern im Kreise der auch älteren Verwandten. Deswegen sorgt sich die Regierung gerade jetzt um die Einhaltung der verordneten sozialen Distanz.

Öffentliches Leben lahmgelegt

Seither scheint sie alles richtig gemacht zu haben: lediglich 1.400 Infizierte sind bis heute (Stand: 3. April 2020) bekannt, 50 Todesfälle sind zu beklagen. Die konservative Regierung nimmt für sich in Anspruch, dass ihre sehr frühen und einschneidenden Beschränkungen der Bewegungsfreiheit diese vergleichsweise niedrige Ausbreitung bewirken.

Tatsächlich wurde bereits wenige Tage nach Feststellung der ersten Fälle Anfang März sukzessive das öffentlich Leben lahmgelegt: Absage aller größeren Veranstaltungen, Schließung von Schulen, Unis, alle Orte der öffentlichen Freizeit wie Restaurants, Cafés, Theater, Parks, aller Geschäfte außer essenziell zur Grundversorgung notwendigen.

Flüge nach Deutschland eingestellt

Anfangs vertrauten die Behörden noch auf die Einsicht der Bürger*innen, nach zehn Tagen wurde schließlich mit Verweis auf die notorische Missachtung der Anweisungen zur Insolation die Ausgangssperre verhängt, gerade wurde sie um zwei Wochen verlängert. Das Verlassen der Wohnung ist nur in zwingenden Gründen und nach vorheriger Autorisierung per SMS sowie mit Passierschein möglich – Sport im Freien gehört erfreulicherweise (noch) dazu. Zudem schottet sich das Land komplett ab: die Landesgrenzen sind dicht, die Fährverbindungen gekappt, Auslandsflüge bis auf Ausnahmen abgesagt. Flüge nach Deutschland sind zunächst bis Mitte April eingestellt.

Eine angesichts der sonst üblichen aufgekratzten Gepflogenheiten des politischen Diskurses erstaunlich sachliche und ruhige Kommunikationspolitik zeichnet das griechische Handling der Krise aus – vielleicht ist dies eine Lektion aus Jahren der Dauerkrise zuvor. Stets werden die einschneidenden Eingriffe in das Leben der Bürger*innen transparent und fundiert kommuniziert, für wichtige Meldungen tritt Premier Mitsotakis persönlich vor die Kameras.

Gesundheitssystem: Es fehlt an allem

Abendlich bewerten sortiert und umsichtig wirkende Gesundheitsexperten die Lage im Fernsehen. Die Bevölkerung bringt der Regierung für ihr Krisenmanagement großes Vertrauen entgegen, die Umfragewerte der Regierungspartei steigen, der Konsens über die verordneten Maßnahmen reicht über Parteigrenzen hinweg.

Politischer Führung und Bürger*innen ist gleichermaßen bewusst, dass es beim Kampf gegen die Virenverbreitung ums Ganze geht: das Gesundheitssystem, seit jeher ein Hort von Verschwendung, Missmanagement und Korruption, wurde unter den Auflagen der „Rettungsschirme“ im letzten Jahrzehnt weiter kaputtgespart.

Es fehlt an moderner Ausrüstung und vor allem an Personal: 20.000 Pfleger*innen zu wenig, Ärzt*innen suchten scharenweise ihr Glück im Ausland. Ganze 215 zur Corona-Behandlung geeignete Krankenhausbetten stehen landesweit zur Verfügung, davon sind über 70 bereits belegt. Es ist offensichtlich, welche fatalen Folgen ein Anstieg an Schwererkrankungen hätte.

120.000 Geflüchtete ohne Schutz

Eine besondere Zeitbombe stellt die Lage der fast 120.000 Geflüchtete und Migrant*innen dar, in Lagern zusammengepfercht, in denen soziale Distanz nicht funktionieren kann und wo die Hygiene schon ohne Vireninfektion verheerend ist. 42.000 von ihnen harren auf den Türkei-nahen Inseln aus, insbesondere das völlig überfüllte Camp Moria auf Lesbos hat traurige Berühmtheit erlangt.

Internationale Hilfsorganisationen fordern seine Evakuierung, im Falle eines Corona-Ausbruchs gäbe es keinerlei Vorkehrungen. Premier Mitsotakis mahnt derweil europäische Hilfe insbesondere bei der Verteilung der Geflüchteten an, Griechenland fühlt sich einmal mehr von seinen europäischen Partnern mit dem Problem allein gelassen.

Wirtschaft: Rückfall in die Krise

Wirtschaftlich trifft die Corona-Krise Griechenland in einem denkbar schlechten Moment: nachdem es sich erst vor gut einem Jahr den Austeritätsauflagen der Gläubiger entledigte, verzeichnete das Land einen noch sehr fragilen Aufschwung, die Rückkehr ins internationale Finanzsystem als vertrauenswürdiger Player ist gerade erst vollzogen. Viele Griech*innen empfinden die wirtschaftlichen Konsequenzen der Krise bereits als Rückfall in die vorherige Krise: wieder kommt es zu Massenentlassungen – bis heute bereits über 40.000 – Unternehmer*innen und Arbeitnehmer*innen bangen gleichermaßen um ihre Zukunft.

Besonders hart trifft es die Tourismusbranche, Rückgrat der griechischen Wirtschaft – das Geschäft des kommenden Sommers könnte komplett ausfallen. Selbstverständlich fehlt Griechenland der finanzielle Spielraum, um Stabilisierungsmaßnahmen in deutschen Dimensionen umzusetzen. Derzeit vermeidet es das Land noch, die Unterstützungsmechanismen der EU in Anspruch zu nehmen, welche auf einen weiteren Anstieg der Schuldenlast des bereits höchstverschuldeten EU-Lands hinausliefen.

Dauer des Shutdowns entscheidend

Das Ausmaß der Beschädigung der fragilen griechische Wirtschaft hängt wie anderswo von der Dauer des Shutdowns ab. Das Finanzministerium projiziert optimistisch eine wirtschaftliche Erholung aus eigener Kraft zum Jahresende, wenn die Eindämmung der Coronakrise bis zum Sommer gelänge. Die seither angekündigten Stabilisierungsmaßnahmen summieren sich auf 3,5 Prozent des BIP und umfassen Aufstockungen des Gesundheitsetats, Hilfszahlungen für derzeit 800.000 Unternehmen, Lohnsubventionen für gefährdete Arbeitsplätze (insgesamt 1.7 Mio.), zudem Stundungen von Kredittilgungen und Steuerschulden. Als schöne Geste der Solidarität spenden viele Politiker*innen die Hälfte ihres Gehalts als Beitrag zur Krisenbewältigung.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen musste – wie ausnahemslos alle – sämtliche ihrer geplanten Veranstaltungen absagen. Als dem Dialog und Austausch verschriebenes Institut müssen wir nun – noch mehr – in den digitalen Raum ausweichen. Dies eröffnet gleichzeitig Chancen, sich – aus dem Home Office – mit alternativen medialen Anwendungen und web-basierten Veranstaltungsformen auseinanderzusetzen und für die Zukunft ohnehin wichtige Erfahrungen damit zu sammeln.

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Kommentare

Mit den jüngsten Äußerungen von Maas und Scholz ist klar,

die deutsche Sozialdemokratie will in Zeiten von Corona europäische Solidarität nur in demjenigen Umfang fordern, der von Mutti erlaubt wurde. Eine Positionierung der SPD zu Gunsten von Coronabonds findet nicht statt, oder jedenfalls nur in dem Rahmen, den keiner zur Kenntnis nimmt (Vorwärts).

Selbst aus der CDU wird die harte Haltung der Bundesregierung inzwischen schon in Frage gestellt. Dafür reicht der Wille sich politisch zu positionieren in der SPD wohl nicht mehr.

Mir fehlen langsam die Worte dafür, wie erbärmlich der Widerspruch der SPD zwischen der vielbeschworenen Bedeutung der EU und den absolut devoten und belanglosen Taten unserer Spitzengenossen (insbesondere derjenigen in Verantwortung als zuständige Fachminister) ist. Fällt der Bundes-SPD eigentlich auf, dass nur sie derart zurückhaltend bei der politischen Positionierung agiert? CDU und CSU hauen erst einmal ihre eigenen Positionen frontal raus und zwar so, dass die Presse dies als Affront verstehen muss und erst danach wird regierungsamtlich ausgelotet. Bei uns findet die Selbstzensur vorab schon im Kopf statt. Oder noch schlimmer: Maas und Scholz sind selbst so neoliberal und glauben das auch noch selbst.