Atomkraft

Greenpeace-Experte: Längere AKW-Laufzeiten nutzen nur Energie-Konzernen

Karsten Wiedemann18. Juli 2008

Herr Breuer, laut einer Studie des Hamburger-Weltwirtschafts-Instituts kann in Deutschland schon ab dem kommenden Jahr nicht mehr ausreichend Strom produziert werden. Im Jahr 2020 sollen
demnach wegen des Atomausstieges sogar 15,4 Prozent des benötigten Stroms fehlen. Droht eine Versorgungslücke?

Thomas Breuer: Das ist Unsinn und Panikmache. Die Vattenfall Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel sind seit über einem Jahr vom Netz, und zwischenzeitlich waren gleichzeitig auch die RWE
Atommeiler Biblis A und B aufgrund technischer Mängel abgeschaltet. Biblis A von September 2006 bis Februar 2008 und Biblis B von Oktober 2006 bis Dezember 2007.

Trotz der Tatsache, dass vier große Atomkraftwerke im zweiten Halbjahr 2007 gleichzeitig still standen, war Deutschland 2007 Nettostromexporteur. Das heißt, dass in Deutschland mehr Strom
produziert, als verbraucht wurde. Blieben diese vier Risikoreaktoren endgültig abgeschaltet, würde das die sichere Stromversorgung in Deutschland nicht beeinflussen.

Darüber hinaus hat Greenpeace in einem Szenario zur Energiewende, "Plan B", nachgewiesen, dass Deutschland durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien, der hocheffizienten Kraftwärmekopplung
und mit Stromeinsparungen sogar bereits bis 2015 aus der unberechenbaren Atomkraft aussteigen kann - und dies unter Wahrung der Klimaschutzziele.

Die Energiepreise steigen stetig, können wir uns den Atomausstieg überhaupt noch leisten?

Die Frage ist eher, ob wir uns einen Weiterbetrieb der alten Meiler leisten können. Die Atomkraftwerke, die in Deutschland aktuell laufen, dürften so heute nicht mehr gebaut werden. Sie
werden zunehmend älter und damit störanfälliger, in ihre Sicherheit muss permanent investiert werden.

Der Atommüllberg, für den es bis dato weltweit keine Entsorgungslösung gibt, wächst stetig - die Kosten, die über tausende Jahre für die Lagerung der gefährlichen Abfälle anfallen dürften,
sind schier nicht abzuschätzen. Und nicht ein Atomkraftwerk in Deutschland würde einem Terroranschlag mit einer Verkehrsmaschine standhalten - ein Szenario, das sich aktuell definitiv nicht im
Strompreis spiegelt.

Die Strompreise werden von Vattenfall, RWE, E.ON und EnBW beständig erhöht - all diese Konzerne betreiben in Deutschland Atomkraftwerke. Der summierte Konzernüberschuss dieser vier
Energieversorger lag 2007 bei 14 Milliarden Euro. Allein E.ON hat seinen Überschuss 2007 gegenüber 2006 um 1,6 Milliarden Euro erhöht. Hohe Strompreise fallen also nicht vom Himmel, sie werden
von Konzernen gemacht, deren Ziel in der Gewinnmaximierung liegt.

Natürlich sind Strompreise auch von Rohstoffmärkten abhängig, und genau hier kann die Bundesregierung ansetzen. Um Deutschland von den zum Teil spekulativen Ausschlägen an den
internationalen Energierohstoffmärkten unabhängiger zu machen, sollte Deutschland massiv auf Erneuerbare Energien und Effizienz setzen.

Die G8-Staaten wollen die Treibhausgase bis 2050 halbieren. Die meisten von ihnen wollen dies mit Atomkraft tun. Wenn die Kernkraft so klimafreundlich ist, warum steigt Deutschland dann
aus
?

Eines vorweg: Atomenergie hat aktuell einen Anteil von 6,3% der eingesetzten Primärenergie, die Uranreserven reichen für die weltweit laufenden 439 Reaktoren noch knapp 65 Jahre. Wollte man
mit Atomenergie ansatzweise Klimaschutzziele erreichen, wäre ein 15-facher Ausbau der Atomkraftwerkskapazitäten notwendig - dann würden über 6000 Reaktoren weltweit laufen - das täten sie
allerdings nur kurz, weil ihnen in wenigen Jahren die Uranvorräte ausgingen. Neben der Tatsache, dass auch die Atomenergie nicht CO2-frei ist, ist sie vor allem eines: gefährlich.

Atomkraft ist eine Risikotechnologie. Ein Großer Unfall in einem deutschen Atomkraftwerk hätte unübersehbare Folgen. Für das Atomkraftwerk Biblis hat die Universität Münster berechnet, dass
ein GAU volkswirtschaftliche Schäden von etwa 2.400 Milliarden EUR zur Folge hätte, ganz abgesehen vom menschlichen Leid. Aus diesem Grund steigt Deutschland folgerichtig aus der Atomkraft aus.

Auch die G8 Staaten wollen nicht ernsthaft Klimaschutz mit Atomkraftwerken betreiben, das ist schlicht nicht möglich. Alleine in Deutschland müssten 60 neue Atomkraftwerke gebaut werden,
wollte man mit Atomkraft Klimaschutz betreiben. Das wäre zu teuer und käme viel zu spät.

Folgerichtig liegt bei den meisten Staaten das Augenmerk auf Erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen. Damit kann am schnellsten und kosteneffizientesten Klimaschutz betrieben werden.
Die Atombefürworter wie der US-Präsident Bush, der französische Präsident Sarkozy oder auch der englische Premier Brown nutzen die Klimadebatte aus, um die Atomkraft wieder salonfähig zu machen -
warum sie das tun, ist mir angesichts der offensichtlichen Probleme und Gefahren, die die Atomkraft mit sich bringt, unerklärlich.

Was halten sie von dem Vorschlag, die Restlaufzeiten für deutsche Kernkraftwerke zu verlängern und dafür den Neubau im Grundgesetz zu verbieten?

Der Atomausstieg hat in Deutschland einen einzigartigen Innovationsmotor im Bereich der Erneuerbaren Energien und der Effizienz in Gang gesetzt. Die Atomkraftwerke müssen ersetzt bzw. ihre
Stromproduktion muss eingespart werden.

In kaum einem anderen Land haben sich die Erneuerbaren Energien so erfreulich entwickelt, wie in Deutschland. Das ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch gut für zukunftsfähige
Arbeitsplätze in modernen Branchen. Eine Verlängerung der Laufzeiten alter Atomkraftwerke würde den Innovationsmotor zur dringend notwendigen Weiterentwicklung der Erneuerbaren Energien und der
Effizienz gnadenlos abwürgen.

Bei der Laufzeitverlängerung geht es also nicht um Klimaschutz, es geht um die Gewinnmaximierung von Vattenfall und Co. - und darum, die Konkurrenz zu verdrängen: die Erneuerbaren Energien.
Die Atomindustrie ist dabei in der einzigartigen industriellen Position, dass sie von einer großen Volkspartei, der CDU, unterstützt wird.

Kurzum, wir müssen sogar früher aus der unberechenbaren Atomkraft aussteigen.

Nach Berechnungen des Stromversorgers RWE wird der Strompreis ab 2012 in Folge der Klimaschutzmaßnahmen der EU und der Bundesregierung jährlich um 23 Milliarden Euro belastet. Ist der
Klimaschutz für den Verbraucher noch bezahlbar?

Auch hier wieder meine Gegenfrage: Können wir es uns leisten, keinen Klimaschutz zu betreiben? Nicholas Stern, der ehemalige Chef-Volkswirt der Weltbank, hat in einer Studie berechnet, dass
uns das "Nichthandeln" teuer zu stehen kommt. Er beziffert die Klimafolgekosten auf fünf bis zwanzig Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Auf Deutschland bezogen wären das jährliche Kosten
von etwa 121 Milliarden bis 484 Milliarden Euro. Und gerade RWE, die ohne Rücksicht auf Verluste neue Braun- und Steinkohlekraftwerke planen und bauen, treiben uns, wenn sie nicht gestoppt
werden, mit in die Katastrophe.

Zu Klimaschutzmaßnahmen gibt es keine Alternative. Wir müssen alles menschenmögliche tun, um den Klimawandel abzumildern. Noch ist Zeit zu handeln. Aber die Zeit wird langsam knapp.

Interview: Karsten Wiedemann

Weitere Infos:
www.greenpeace.de

Greenpeace-Studie "Plan B" als pdf