Kernkraft

Greenpeace: Energieversorger verschärfen Klimaproblem

Karsten Wiedemann08. Mai 2009

vorwärts.de: Sie halten eine Koexistenz von Erneuerbaren Energien und Kernkraft für unmöglich, wieso?

Andree Böhling: Wir erleben ja heute schon, dass an manchen Tagen soviel Windkraft ins Netz eingespeist wird, dass andere Kraftwerke überflüssig werden und heruntergeregelt werden müssen.
Mit zunehmenden Anteil von Wind und Sonne wird dies häufiger der Fall sein.

Gleichzeitig wird es Tage geben, an denen weniger Wind ins Netz eingespeist wird. Dann werden noch Kraftwerke gebraucht, die möglichst kurzfristig angefahren werden können wie beispielsweise
hocheffiziente Gaskraftwerke.

Atomkraftwerke eignen sich hierfür überhaupt nicht, weil von dem ständigen An- und Abschalten enorme zusätzliche Risiken ausgehen würden. Wenn wir also zukünftig auf den Vorrang Erneuerbarer
Energien setzen wollen, müssen schlecht regelbare Großkraftwerke weichen.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist in Deutschland ein parteiübergreifender Konsens, den selbst die großen Energieversorger nicht in Frage stellen. Ist eine nukleare Renaissance
überhaupt realistisch?

Na ja, der Wille, die Erneuerbaren Energien auszubauen ist bei den Parteien schon unterschiedlich stark ausgeprägt, wenn man daran denkt, dass die FDP immer noch das
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) offen bekämpft.

Nichtsdesotrotz haben alle Politiker gemerkt, das die Bevölkerung mit großer Mehrheit hinter dem Ausbau von Wind und Sonne steht. Das hindert die Union und FDP dann aber keineswegs daran, den
Atomausstieg wieder kippen zu wollen. Von daher kann man das Horrorszenario einer Rückehr ins Atomzeitalter nach der nächsten Bundestagswahl leider nicht ausschliessen.



Bisher sind vor allem kleine und mittelständische Unternehmen im Bereich der Erneuerbaren Energien tätig. Welche Rolle spielen die großen Energieversorger?

Die großen Stromkonzerne, also E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall, haben bislang fast gar nichts zur Erfolgsgeschichte der Erneuerbaren Energien beigetragen. Ganz im Gegenteil, trotz Energie-
und Klimakrise haben die Konzerne nichts ausgelassen, um Windkraftanlagen oder Solar-Strom zu blockieren.

Nach den großen Klimajahr 2007 sind sie mit ihrer Strategie aber gewaltig unter Druck geraten und haben zumindest begonnen, ihren dreckigen Strom über über Kampagnen grün zu waschen.

Bis 2007 hatte kein einziger Energieversorger mehr als 1,5 Prozent Anteil Erneuerbare Energien am Strommix, wenn man alte jahrzentelang betriebene Wasserkraftwerke

abzieht. Mittlerweile verkünden RWE, E.On & Co riesige Investitionen in Erneuerbare Energien, allerdings sind diese im Vergleich zu den Gesamtinvestitionen auf einem marginalem
Niveau.

Im Kerngeschäft setzt man weiter auf dreckige Kohle und hochriskante Atomkraft. Für unsere Gesellschaft ist diese Strategie der vier Energieversorger, die immer noch

über 80 Prozent der Stromerzeugung kontrollieren, höchst problematisch, weil sie die Energie- und Klimaprobleme verschärft.

Das Stromnetz in Deutschland ist nach wie vor vor allem auf große Kraftwerkseinheiten ausgerichtet. Stößt die Einspeisung des überwiegend dezentral erzeugten Stroms aus Windkraft oder
Solarenergie nicht irgendwann an eine natürliche Grenze?

Klar ist, dass wir für den Umbau der Energieversrgung auch andere Netzstrukturen brauchen. Zudem sind die Netze in Deutschland veraltet und müssen modernisiert werden. Und auch die
Ausweitung des Handels mit Strom in Europa macht Netzausbau erforderlich.

Deswegen sind Netzerweiterungen von großer energiepolitische Bedeutung. Wer wie die großen Netzbetreiber, und das sind ja wiederum E.ON, RWE, EnbW und Vattenfall, den Netzausbau nach seinem
eigenen Gutdünken vorantreibt oder gar verschleppt, wird auch

dem Wachstum der Erneuerbaren Energien schaden.

Deswegen fordern wir, dass die deutschen Übertragungsnetze in eine unabhängige Netz AG übertragen werden, damit die Politik und nicht die Stromkonzerne entscheiden, welcher

Netzausbau realisiert wird.

Interview: Karsten Wiedemann

Andree Böhling ist Energieexperte bei Greenpaece

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