Interview

Gleichstellung im Bundestag: Warum wir das Wahlrecht ändern müssen

Vera Rosigkeit29. September 2017
Frauen sollten die Hälfte der Mandate im Bundestag haben, fordert die SPD-Politikerin Elke Ferner.
Noch weniger Frauen im Deutschen Bundestag – ein Zufall? Nein, sagt SPD-Politikerin Elke Ferner. Den geringeren Frauenanteil haben AfD aber auch CDU/CSU und FDP zu verantworten. Dabei ließe sich eine paritätische Besetzung bereits im Wahlrecht verankern.

Frau Ferner, der Frauenanteil im neu gewählten Bundestag liegt bei nur noch 31 Prozent. Ist das einfach nur Zufall?

Nein, das hängt mit dem Rechtsruck zusammen. Den geringeren Frauenanteil haben AfD aber auch CDU/CSU und FDP zu verantworten. Es ist ein Witz, dass die FDP-Fraktion einen Frauenanteil von 22,5 Prozent aufweist und die Union mit ihrer Parteivorsitzenden Merkel noch nicht einmal mal mehr 20 Prozent. Eine gerechte Geschlechterverteilung sieht anders aus.

Welche Konsequenz ist daraus zu ziehen. Brauchen wir eine Quote im Bundestag?

Wir sehen, dass der Frauenanteil in den Parteien mit parteiinternen Quotenregelungen deutlich besser ist. Der Frauenanteil bei Grünen und Linken liegt bei über 50 Prozent, bei der SPD bei 42 Prozent. Für uns ist es nach 2013 die zweite Wahlperiode mit über 40 Prozent in der SPD-Bundestagsfraktion. Deutlich wird aber auch, dass mit dem geltenden Wahlrecht eine paritätische und damit repräsentative Vertretung von Frauen und Männern im Bundestag kaum zu erreichen ist.

Was ist zu tun?

Wenn in dieser Wahlperiode das Wahlrecht geändert wird, plädiere ich dafür, auch das Thema paritätische Besetzung der Parlamente anzugehen. Vorbild können Frankreich und andere europäische Länder sein, in denen eine paritätische Besetzung bereits im Wahlrecht verankert ist. Diese Debatte muss jetzt geführt werden.

Dann ist der geringe Frauenanteil im neuen Bundestag als Signal zu verstehen?

Die Parlamente sollen ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Frauen zählen etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung und sollten auch die Hälfte der Mandate im Bundestag haben. Wenn das über die Parteien nicht möglich ist, müssen wir das über unser Wahlrecht absichern.

Nun werden Kritiker einwerfen, dass es Gleichstellung bereits gibt und Frauen alle Möglichkeiten haben. Was sagen Sie denen?

Das ist wieder das Motto „die Frauen sind selbst schuld“. Frauen haben aber die gläsernen Decken nicht erfunden. Das sind Schutzwälle der Männer. Schauen wir beispielsweise auf die FDP. Die behauptet immer, wer qualifiziert ist, wird auch gewählt. Wenn es aber bei der FDP nur ein Fünftel qualifizierte Frauen und bei der Union noch weniger gibt, die sichere Plätze haben und in den Bundestag einziehen, dann tun mir die Frauen in diesen Parteien einfach nur leid. Leider wirkt sich das dann auch auf die Gleichstellungspolitik aus. Frauen und Männer, die sich eine tatsächliche Gleichstellung wünschen und in einer modernen vielfältigen Gesellschaft mit gleichen Chancen für alle leben wollen, haben keine Lobby in diesen Fraktionen. Diese Wahlperiode wird eine des gleichstellungspolitischen Stillstandes werden.

Frau Ferner, die SPD hat mit Andrea Nahles eine Frau an die Spitze der Bundestagsfraktion gewählt. Freut Sie das?

Ja, es freut mich wirklich sehr. Am Mittwoch hat die SPD-Bundestagsfraktion Geschichte geschrieben. Etwas spät, wie ich finde. Aber besser spät als nie. Nun ist zu hoffen, dass auch die anderen Funktionen, nämlich in der Fraktion und in der Partei paritätisch besetzt werden.

Feminismus – brauchen wir das noch?

weiterführender Artikel

Kommentare

Ein Parlamentssitz ist

Ein Parlamentssitz ist zunächst eine Aufgabe, der wie jeder anderen ein Gehalt (hier: Diät) als Arbeitsausgleich gegenüber steht.

Der Artikel lässt unbeantwortet, worin der Vorteil einer Frauenquote im Parlament liegen soll. Ist es die Ungleich-Verteilung der Diäten oder der Aufgaben zwischen den Geschlechtern? Wird Ungleich-Verteilung mit Ungerechtigkeit verbunden?

Eine Ungleichverteilung zwischen Gruppen, etwa Geschlechtern, könnte durchaus ungerecht sein. Aber dann bedürfte es einer handfest nachvollziehbaren Begründung, wie etwa bei Studiengebühren als sachfremde Sperre vor Bildungmöglichkeit. Eine solche fehlt bei der Geschlechter-Dichotomie vollständig.

Eine Frauenquote ist abzulehnen.

Citation needed

Wieviele Frauen bewerben sich denn auch die Plätze und wieviele werden angenommen? Wenn sich keine Frauen bewerben oder aufstellen lassen, kann man da kaum irgendeinem herbei phantasiertem Patriarchat die komplette Verantwortung in die Schuhe schieben, nur damit Frauen sich nicht selbst fragen müssen ob sie denn auch alles getan haben um dorthin zu gelangen wo sie hin wollen.
Anders als bei Frauen gibt es für Männer in den Parteien keine Geschlechter-Pipeline die den Aufstieg garantiert. Jeder Mann muss gegen alle anderen Männer antreten die sich aufstellen lassen. Für Frauen werden extra Wege geschaffen, um all diese Konkurrenz schon mal aus dem Weg zu haben. Und wenn da schon der Frauenanteil in der Führungsebene höher ist, wie in der Basis, kann man nur noch mit wissentlichen Lügen behaupten das Frauen diskriminiert werden. Frauenbevorzugung ist keine Frauendiskriminierung.

Was wird besser oder

Was wird besser oder schlechter, wenn es weniger Frauen im BT gibt?

Frauenquote

Verehrte Frau Ferner,
sollte der Anteil der Mandate nicht eher dem der Mitgliederzahl entsprechen?Die Quoten führen doch dazu,daß Frauen deutlich mehr Mandate erhalten, als sie prozentual Mitglieder stellen.Da kann ich keinerlei "Schutzwälle" von Männern erkennen.SPD,Linke, Grüne haben doch alle eine Frauenmitgliedschaft unter 40%.So sie also 40 und mehr Prozente der Abgeordneten stellen, ist das doch eher eine Bevorteilung.Bei der CSU sind 20% der Mitglieder Frauen, bei der CDU 26%.So sich Frauen etwas weniger für Politik interessieren (das ist meine Annahme aus den Zahlen), sollen sie per Wahlrechtsänderung die Hälfte der Abgeordneten stellen?Wieso sollen die Parlamente nur im dem Punkt "repräsentativ" sein, in praktisch allen anderen sind sie es doch auch nicht?

Quelle
https://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/zahlen-un...

Gleichstellung im Bundestag

>Die Parlamente sollen ein[en] repräsentative[n] Querschnitt der Bevölkerung abbilden.

Eine Unterrepräsentanz ist

Eine Unterrepräsentanz ist kein hinreichender Beleg für Benachteiligung. Mit dieser Begründung war die Geschlechterquote vom Tisch. Nicht so die Frauenquote. Der weibliche Mitgliederanteil in der SPD beträgt nicht 50%. Er dümpelt auch nach 25 Jahren innerparteilicher Frauenquote bei unter 30%. Geschlecht vor Leistung – das aktuelle Partei-Personal verkörpert deprimierende Inkompetenz. Die fähigen Männer haben bereits vor Jahren aus diesem Grund der SPD den Rücken gekehrt (siehe diesbzgl. Analyse von Klaus Funken). Mehr als primitive Pay-Gap-Parolen ist da naturgemäß nicht mehr drin.

(Alte weisse) Sozialdemokraten haben einst die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts erwirkt. Anno 2017 kommen die ASF-Funktionärinnen mit dem Zweiklassenwahlrecht um die Ecke.

'Frauen haben aber die gläsernen Decken nicht erfunden.'
Oh doch – desgleichen den Pay-Gap. Als Wahlparole kläglich gescheitert. Im sogenannten Familienministerium müssen Männer/Väter hingegen draußen bleiben.

Fern Ferner der Realität. Symptomatisch.

Repräsentation

Frau Ferner vertritt die feministische Auffassung, dass Frauen wegen ihres Anteils an der Bevölkerung zu 50% im Parlament vertreten sein sollten, unabhängig davon, wie viele Frauen sich in den Parteien engagieren. Das ist ein sattsam bekanntes Muster. Die Verantwortung liegt nie bei den Frauen. Es wird einfach eine systematische Benachteiligung von Frauen durch Männer behauptet. Nie werden Forderungen an Frauen gerichtet. Defizit scheint männlichen Geschlechts und niemals weiblich zu sein. Frauen werden gefördert, an Männer werden Forderungen gestellt. Das ist ein bürgerliches Geschlechterkonzept. Den Männern obliegt die Verantwortung, Frauen zu versorgen. Der Mann als Verantwortungsträger. Das ist nicht fortschrittlich.

Aufnahmestopp in den Parteien für Männer.

Ganz klar wären jetzt folgenden Maßnahmen durch die SPD zu tätigen:

1. Aufnahmestopp männlicher Mitglieder in den Parteien bis ein 50% Anteil Frauen erreicht wird.
2. Basisarbeit muss zu 50% von Frauen erledigt werden um beim Bürger Präsenz zu zeigen.
3. Als nächster Kanzlerkandidant wird eine Frau bestimmt.

Diese Maßnahmen ließen sich auch durch entsprechende Gesetzte unterstützten.

Repräsentanz und Frauenanteil

Frau Ferner schreibt:
"Es ist ein Witz, dass die FDP-Fraktion einen Frauenanteil von 22,5 Prozent aufweist..."

Dieser Frauenanteil in der Fraktion entspricht ziemlich exakt dem
Frauenanteil bei den Mitgliedern der FDP. Es ist somit kein Witz sondern
ein klares Indiz dafür, das bei der FDP offenbar das Geschlecht keine Rolle bei der Auswahl für Wahllisten spielt. Im Gegensatz dazu haben alle linken Parteien gerade keine gerechten Auswahlverfahren, da sie Frauen bevorzugen müssen um auf eine annähernd paritätische Zusammensetzung ihrer Fraktionen zu kommen.

"Die Parlamente sollen ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung abbilden"
Dieser Gedanke widerspricht dem Grundprinzip einer Wahl und ist damit undemokratisch. Es sollen doch durch eine Wahl diejenigen ausgewählt werden, die in besonderen Maße geeignet und auch gewillt sind als Abgeordnete zu arbeiten. Im übrigen ist der Bundestag auch in andere Hinsicht (Akademikeranteil, Juristenanteil) alles andere als repräsentativ für die Bevölkerung, ohne dass das Frau Ferner stört (oder doch?)

Gläserne Decke und Demokratie

"Das ist wieder das Motto „die Frauen sind selbst schuld“. Frauen haben aber die gläsernen Decken nicht erfunden."

Die SPD hat mir ihrer erfolglosen Frauenquote (der Frauenanteil bei den SPD-Mitgliedschaften ist seit deren Einführung von 27% auf 32% gestiegen, und das im wesentlichen durch Austritte von Männern) bewiesen, dass es an den Entscheidungen der Frauen selbst liegt, wenn sie weniger im Parlament vertreten sind. Frauen wie Frau Ferner versuchen, das durchschnittlich geringere Interesse von Frauen an politischen Tätigkeiten zu ihrem Vorteil zu nutzen; demokratisch ist das nicht.

Sollte die SPD tatsächlich durch Änderung des Wahlrechts ihre Vorstellung von "Geschlechtergerechtigkeit" wie von Frau Ferner gefordert zu verwirklichen versuchen, wäre das - nach dem Versuch, in Rheinlandpfalz Kommentare zum Frauenanteil in politischen Gremien auf Wahlzettel zu drucken - der zweite Angriff der SPD auf die Demokratie.

"Diese Wahlperiode wird eine des gleichstellungspolitischen Stillstandes werden."
Das ist zu hoffen, vielleicht geht es dann endlich mal wieder um Gleichberechtigung?