Seit fünf Jahren

Gewalt an Frauen: Was die Istanbul-Konvention für Deutschland bedeutet

Kai Doering01. Februar 2023
Derumfassendste Menschenrechtsvertrag gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Die Istanbul-Konvention ist seit dem 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft.
Derumfassendste Menschenrechtsvertrag gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Die Istanbul-Konvention ist seit dem 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft.
Vor fünf Jahren trat die Istanbul-Konvention in Deutschland in Kraft. Bisher galt sie jedoch nur eingeschränkt. Was das bedeutet und was die Istanbul-Konvention eigentlich ist: Antworten auf die wichtigsten Fragen

Was ist die Istanbul-Konvention?

Die Istanbul-Konvention heißt eigentlich „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“. Die Vertragsstaaten verpflichten sich darin, Gewalt gegen Frauen auf ihrem Staatsgebiet zu verhindern, begangene Taten zu verfolgen und zu beseitigen, Diskriminierung von Frauen zu verhindern und ihre Rechte zu stärken. Die Istanbul-Konvention ist damit der umfassendste Menschenrechtsvertrag gegen geschlechtsspezifische Gewalt.

Warum heißt das Übereinkommen „Istanbul-Konvention“?

Das Übereinkommen wurde am 11. Mai 2011 von 13 Staaten in Istanbul unterzeichnet – und trägt deshalb den Namen der türkischen Stadt.

Wieviele Staaten haben die Istanbul-Konvention bereits unterzeichnet?

Von den 47 Mitgliedstaaten des Europarats haben bisher 34 die Istanbul-Konvention unterzeichnet, darunter auch Deutschland. Elf Länder des Europarats haben die Konvention unterzeichnet aber noc) nicht ratifiziert, darunter die EU-Mitgliedstaaten Lettland, Litauen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Bulgarien. Russland und Aserbaidschan haben die Konvention weder unterzeichnet noch ratifiziert. Die Türkei hat die Istanbul-Konvention am 22. März 2021 mit Wirkung zum 1. Juli desselben Jahres gekündigt.

Wann hat Deutschland die Istanbul-Konvention ratifiziert?

Die Ratifizierung durch den Bundestag fand am 17. Oktober 2017 statt. Am 1. Februar 2018 trat die Istanbul-Konvention in Deutschland in Kraft.

Warum galt die Istanbul-Konvention bei uns bisher nur eingeschränkt?

Bei der Ratifizierung hatte der Bundestag von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Vorbehalte gegen einzelne Bestimmungen des Übereinkommens einzulegen. Damit war Deutschland formal bisher nicht zur vollständigen Umsetzung der Artikel 44 und 59 verpflichtet. Artikel 44 umfasst Vorgaben zur Geltung des nationalen Strafrechts bei Straftaten von nicht-deutschen Staatsbürger*innen im Ausland, wenn diese ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland haben. Artikel 59 enthält Regeln zur aufenthaltsrechtlichen Situation von ausländischen Gewaltopfern.

Ab wann gilt die Istanbul-Konvention uneingeschränkt in Deutschland?

Seit dem 1. Februar 2023. Das liegt daran, dass Vorbehalte gegen die Istanbul-Konvention fünf Jahre nach Einlegung durch einen Vertragsstaat automatisch auslaufen, wenn der Staat diese nicht ausdrücklich gegenüber dem Europarat verlängert. Das hat die Bundesregierung nicht getan. Die deutschen Vorbehalte laufen damit am 1. Februar 2023 aus. „Wir zeigen, dass wir unsere Verantwortung ernst nehmen, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen“, erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bereits im vergangenen Jahr dazu.

Ist damit für Frauen in Deutschland also alles gut?

Leider nein. Eine Expert*innengruppe des Europarats kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass es bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland noch zahlreiche Lücken gibt, um Frauen wirksam vor Gewalt zu schützen. So kritisiert der sogenannte Grevio-Bericht u.a., dass in Deutschland eine langfristige, umfassende Strategie gegen Gewalt an Frauen fehle, ebenso wie eine nationale Koordinierungsstelle für entsprechende Maßnahmen. Zudem fehlten zahlreiche Schutzplätze in Frauenhäusern. Besonders mangele es in Deutschland an Schutz für geflüchtete Frauen.

Was soll sich in Deutschland ändern?

Der Kampf gegen Gewalt an Frauen wird im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP ausdrücklich als Ziel genannt. So will die Ampel-Koalition in dieser Legislatur die noch fehlende staatlichen Koordinierungsstelle einrichten. Zudem soll das Strafrecht klarer gefasst und geschlechtsspezifische Tatmotive sollen ausdrücklich in die Liste menschenverachtender Tatmotive aufgenommen werden. Ist eine Straftat durch das Geschlecht des Opfers motiviert, soll dies zu einer Verschärfung der Strafe führen. Zudem will die Ampel mit einem bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sorgen.

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Kommentare

Fauenhäuser

Ich lebe im Landkreis Neuwied in Rheinland-Pfalz. Der Landkreis Neuwied hat kein eigenes Frauenhaus. Frauen und Kinder des Landkreises Neuwied werden auf Nachbarkreise verteilt - wenn dort Platz ist. Dies ist sehr oft n i c h t der Fall. Die Grünen und Die Linke im Kreis Neuwied versuchen seit längerer Zeit im Kreistag Neuwied die Einrichtung eines Frauenhauses im Landkreis Neuwied zu erreichen - oder wenigstens die Zahlung von einmaligen Zuschüssen an die Frauenhäuser benachbarter Landkreise. Diese Versuche sind bisher ABSOLUT ERFOLGSLOS!
Eine Mega-Groko aus CDU / SPD / FDP / Freien Wählern und AfD ist dagegen. Ich bin überzeugt, dass August Bebel der Kreis SPD im Landkreis Neuwied gehörigst die Leviten lesen würde!
Besonders peinlich ist, dass die Neuwieder Kreis-SPD sich in dieser Frage
auch mit der Kreis AfD gemein macht. Denken VIELE vielleicht immer noch im Schema: Wären die Frauen und Kinder weniger wehleidig, leidensbereiter - duldungsbereit, sich von ihren Peinigern verprügeln, bedrohen zu lassen, müssten WIR die Kosten für Frauenhäuser etc. nicht aufbringen? Ich hoffe nicht, dass eine solche Verrohung partiell immer noch vorhanden ist!

ja, was dort offenbar wird, müssen wir als Spitze des

Eisbergs ansehen. Wer traut sich schon, zumal wenn Kinder vorhanden sind, die hsl. Hölle hinter sich zu lassen, zumal bei Frauen aus anderen Kulturkreisen, ohne ausreichende Sprachkenntnisse und zuweilen zwangsverehelicht ist dies noch schwerer, als bei den hiesigen. Die Femizide sprächen Bände, wenn auch häufig verniedlichend als Ehrenmord bezeichnet. gemessen an der sichtbaren Spitze des Eisbergs muss das ganz furchtbar sein, von der Dimension her und natürlich vom erlittenen Leid

Istanbul-Konvention

Worin bestanden denn die Vorbehalte, die nun auslaufen, da dies aus dem Beitrag nicht eindeutig hervorgeht?

Vorbehalte

Die große Koalition hatte ihre Vorbehalte damit begründet, dass sie keinen humanitären Aufenthaltstitel wie in der Konvention vorgesehen schaffen müsse, da es im Aufenthaltsgesetz bereits die Möglichkeit gebe, einen familiären Aufenthaltstitel zu erwirken.

Vorbehalte

Vielen Dank für die Antwort.

Kein Wunder, dass die Unionsparteien in der GroKo meinten, die Welt sei so in Ordnung wie sie es darstellen. Aber jetzt bedienen sich Merz, Söder und Dobrindt trotz aller gegenteiligen Beteuerungen genau der Hetzparolen der AfD, um andere Bevölkerungsgruppen zu diffamieren.

noch eine Empfehlung, bitte

Richtigstellung

Guten Tag,
Die Information im Artikel zur Anzahl der Staaten, die die Istanbul Konvention unterzeichnet bzw ratifiziert haben, ist nicht korrekt.
Derzeit haben 37 Europarats-Staaten die Istanbul Konvention ratifiziert (darunter alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Ungarn, Bulgarien, Tschechische Republik, Slowakei, Lettlant und Litauen).
Russland und Aserbaidschan haben die Konvention nie unterzeichnet. Die Türkei war unter den ersten Staaten, die die Konvention unterzeichnet haben, aber ist mit 1. Juli 2020 wieder ausgetreten.
Zuletzt haben das Vereinigte Königreich, die Ukraine, Moldau und Liechtenstein die Istanbul Konvention ratifiziert (2022).

Korrigiert

Vielen Dank für den Hinweis! Da hatten wir leider falsche Informationen. Wir haben die Passage korrigiert.