Frankreichs Jugendliche sind wütend: Horrende Mieten, hohe Fahrpreise und mangelnde berufliche Perspektiven rufen Protest und Enttäuschung hervor, so das Ergebnis einer Studie.
Das ist für die französische Gesellschaft alles andere als ein Kompliment: Keine Umfrage unter Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren über ihre Zukunftserwartung fällt pessimistischer aus als die soeben in Paris vorgestellte Untersuchung der Pariser Fernsehgesellschaft France Télévision. Frust und Wut sind in der "Génération quoi“ (etwa: Welche Generation?) so ausgeprägt, dass eine Mehrheit der Befragten, 61 Prozent, an gewalttätigen Demonstrationen teilnehmen würde. "Es herrscht tiefe Enttäuschung", resümiert die Soziologin Cécile Van de Velde, Co-Autorin der Studie, "da brodele ein gefährlicher Konfliktherd".
Der Begriff Nullbock-Generation hatte vor ein paar Jahren in der Grande Nation die Runde gemacht: Frust über die regierende bürgerliche Mehrheit des Konservativen Nicolas Sarkozy, Angst vor hoher Arbeitslosigkeit, um selbst mit vorzüglichen Diplomen in den Arbeitsämtern Schlange stehen zu müssen, Verteidigung des Studienplatzes in vollbesetzten Hörsälen der Fakultäten der französischen Großstädte. Dass die Enttäuschung tief sitzt, wie die neue Untersuchung nachweist, ist den meisten Beobachtern entgangen.
"Ich werde ins Ausland abhauen!"
Die Umfrage unter 200.000 Schülern, Studenten und jungen Berufstätigen lief über drei Monate. France Télévision erhielt auf seine 143 Katalogfragen 21 Millionen Antworten. Die Auswertung der Reaktionen ergab das Bild einer "aufgegebenen, abgenabelten und frustrierten Generation“. Haupteindruck der Autoren war, dass sich die Jugendlichen 18 bis 25 von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Verblüffend seien die knappen und manchmal zornigen Antworten: "Es gibt für uns keinen Platz in Frankreich“. Oder: "Die Arbeitswelt öffnet uns keine Tür!“ Eine große Mehrheit meinte, man habe keine Chance, seine Fähigkeiten zu zeigen. "Ich werde ins Ausland abhauen!“
Der Blick in die Zukunft ist bei ihnen so bitter wie die Gegenwart. "Unsere berufliche Zukunft hängt mitunter von einem Telefonanruf ab!“ Man könne nirgendwo seine Qualifikation beweisen, kritisieren 70 Prozent. Jeder dritte fürchtet, Zeit seines Berufslebens von der Krise begleitet zu werden. Mehrere schrieben: "Absturzgefährdet bei jedem Atemzug." Viele sagten, "unsere Zukunft ist verbaut!“ Ihre Familien, 53 von 100 werden von den Eltern finanziell unterstützt, sehen sie hilfsbereit und verständnisvoll. Die Hälfte der 18- bis 25-Jährigen sagte, die Familie sei ok. Für 27 Prozent sei sie ideal. 70 Prozent ergänzten, auf Ausländer und Migranten angesprochen, man habe mit ihnen keine Probleme.
Finanzwelt politisch zügeln
Enttäuschung und Wut lösen bei allen befragten jungen Franzosen horrende Mieten, hohe Fahrpreise und übervolle Fakultäten aus. Immer mehr junge Menschen verzweifeln, wenn Eltern wegen höherer Lebenshaltungskosten die finanzielle Unterstützung zurückschrauben müssen. Die Studie enthält auch Antworten zur Politik. 46 Prozent haben zu Politikern überhaupt kein Vertrauen, "die Politiker sind alle korrupt!“ 90 Prozent monieren, dass die Politiker die Finanzwelt ungezügelt agieren lassen.
Die beiden Soziologinnen Cécile Van de Velde und Camille Peugny hat der Rigorismus in den Antworten verblüfft. Für die jungen Menschen bewege sich nichts in der französischen Gesellschaft, stellen sie fest, sie sei für die Jungen hermetisch geschlossen. Die Antworten seien voller Ärger und Frust, stellen die Autorinnen immer wieder fest, aber auch voll von Bitterkeit. Die Bereitschaft zu Aufruhr und Protest sei überall spürbar. Die einflussreiche Abendzeitung Le Monde titelte auf der ersten Seite über die Befragung: "Frankreichs Jugend fühlt sich missachtet und bereit zum Aufstand.“ 61 Prozent schließen das nicht aus.