Friedrich Ebert-Stiftung feiert Egon Bahr

Zum Geburtstag viel Diskurs

Martin Jungmann17. April 2012

Einem solchen Jubilar schenkt man zum Geburtstag keine Pralinen oder Blumen, sondern die Gelegenheit zu politischem Diskurs auf hohem Niveau. Egon Bahr ist im vergangenen Monat 90 Jahre alt geworden. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat den Architekten der Ostpolitik Willy Brandts mit einer großen Veranstaltung geehrt.

Kein Platz war mehr frei im großen Saal der Friedrich-Ebert-Stiftung, und prominente Gäste waren erschienen: So konnte Dr. Roland Schmidt als Hausherr unter anderem Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Valentin Falin, eine der Schlüsselfiguren der sowjetischen Außenpolitik von Chruschtschow bis Gorbatschow, als Zuhörer in der Hiroshimastraße begrüßen. Doch die Hauptrolle fiel freilich Egon Bahr zu, der nach einer Einführung durch Frank-Walter Steinmeier selbst das Wort ergriff.

Ein intellektueller Parforceritt

Ein Neunzigster Geburtstag legt in der Regel eine Rückschau nahe, doch für Bahr gilt diese Regel nicht: Schon der Titel „Unzeitgemäßes zur Freiheit Europas“ ließ vermuten, dass der Blick in Gegenwart und Zukunft gerichtet sein würde. Und in der Tat: Die Zuhörer erlebten einen 45-minütigen intellektuellen Parforceritt eines nach wie vor wachen und mutigen politischen Mannes.

In wenigen Sätzen analysierte er die Situation Europas in der Welt nach Ende des Kalten Krieges. War in jener Zeit, in der er an der Seite Brandts allen Anfeindungen zum Trotz die Neue Ostpolitik gestaltete, Europa die Hauptbühne der Weltpolitik, so haben sich die Gewichte mittlerweile nach Asien verschoben. Und Europa ist nicht mehr zweigeteilt und für sich selbst verantwortlich – eine Verantwortung, der es nicht immer gerecht wird. 

„Europa muss 'Europe first' denken und sich seine Identität nehmen, sonst bekommt es sie nicht.“ Kritisch merkte Egon Bahr an, dass dabei manches Potenzial ungenutzt bleibe: „Die Finanz- und Währungskrise hält die Regierungen so in Atem, dass die außenpolitischen Spielräume des Lissabon-Vertrages nicht genutzt wurden und werden.“

Warnung vor nationalistischen Tendenzen

Die derzeitige Situation des politischen Europa skizzierte Bahr in düsteren Farben. Ein anonymer Apparat und Banken mit kryptischen Kürzeln entschieden über unvorstellbare Geldsummen, er selbst verstehe vieles nicht mehr und wende sich ab. „Europa findet in einer für die Mehrheit der Menschen abstoßenden Form statt.“

Bahr warnte entschieden vor nationalistischen Tendenzen, die sich gegen die Europäische Einheit richten. Doch gleichzeitig betonte er die Wichtigkeit der Nationalstaaten für das gemeinsame Europäische Haus: „'Die Nation bleibt die primäre Schicksalsgemeinschaft' – dieses Wort Willy Brandts gilt noch heute. Nation und Europa sind kein Widerspruch.“

Zur Not auch ohne England

Höchste politische Brisanz enthielten die abschließenden Bemerkungen Egon Bahrs über den künftigen politischen Weg Europas „England hat sich gegen die Integration entschieden. Doch Europa muss außenpolitisch den Weg gehen, den Lissabon weist – zur Not auch ohne England!“ Solch harsche Worte kann sich wohl nur ein „Elder Statesman“ erlauben. Martin Schulz jedenfalls, der sozialdemokratische Präsident des Europäischen Parlaments, der ansonsten seinem Vorredner Bahr in allen Punkten zustimmte, mochte diesen Satz nicht kommentieren.