Energieknappheit

Gasversorgung: Warum am Sparen kein Weg vorbeiführt

Kai Doering05. September 2022
Gaszähler: Besonders in Privathaushalten sieht dena-Chef Andreas Kuhlmann noch großes Einsparpotenzial.
Gaszähler: Besonders in Privathaushalten sieht dena-Chef Andreas Kuhlmann noch großes Einsparpotenzial.
Die Gasspeicher füllen sich. Für dena-Chef Andreas Kuhlmann ist das aber kein Grund zur Entwarnung. Um gut über den Winter zu kommen, müssten Privathaushalte deutlich mehr Gas einsparen. Vorbild könnte das Vorgehen bei den Corona-Impfungen sein.

Am Sonntag hat die Koalition ein drittes Entlastungspaket vorgestellt. Kann es die steigenden Energiepreise wirksam senken?

Das Warten auf das dritte Entlastungspaket hat sich in jedem Fall gelohnt. Die Bundesregierung wird umfangreiche Maßnahmen auf den Weg bringen, die ganz unterschiedliche Zielgruppen wirksam entlasten. Einige Ausgestaltungsfragen, die nicht einfach zu beantworten sind, müssen natürlich noch geklärt werden. Wir müssen uns aber von der Vorstellung verabschieden, dass der Staat alle Kosten, die durch Russlands Krieg in der Ukraine entstehen, übernehmen kann. Der Staat muss denen helfen, die diese Hilfe am dringendsten brauchen. Das machen dieses Entlastungspaket nun auch im Kern aus meiner Sicht.

Der Schwerpunkt der bisherigen Entlastungspakete lag auf einer Dämpfung des Gaspreises. Nun steigt auch der Strompreis seit einigen Wochen rasant an. Ist die Orientierung des Strompreises am Gaspreis noch zeitgemäß?

Im Prinzip ja. Das bestehende Strommarktdesign ist ja über einen langen Zeitraum gewachsen und lässt sich nicht über Nacht komplett verändern. Es setzt auch die richtigen Anreize, Energie einzusparen und die Erneuerbaren Energien auszubauen. In der mittleren oder längeren Perspektive sollte die Preisbildung aber überarbeitet werden. Kurzfristig halte ich es für wichtig, die Anomalien bei den Renditen der Stromunternehmen anzugehen, also Zufallsgewinne abzuschöpfen und sie zu nutzen, um Haushalte, aber auch die mittelständische Industrie zu entlasten. Der Ansatz der Bundesregierung ist hier richtig und ich hoffe, dass es schnell zu einer Einigung mit der EU kommen wird.

Dena-Chef Andreas Kuhlmann

Die EU-Kommission hat dazu bereits vor einigen Tagen Vorschläge vorgelegt. Wie bewerten Sie die?

Der Ansatz der Kommission, den die Bundesregierung ja jetzt auch aufnimmt, ist gut, weil die Preisbildung nicht verändert wird, die exorbitanten Gewinne aber dafür verwendet werden, die Verbraucher und die Unternehmen zu entlasten. In der gegenwärtigen Situation ist das der richtige Weg.

Manche befürchten, die Abschöpfung könnte den Ausbau der Erneuerbaren Energien abwürgen.

Das glaube ich nicht. Die Strompreise sind so hoch, dass die Unternehmen auch nach der Abschöpfung der Zufallsgewinne noch sehr viel Geld verdienen werden. Das können und sollten sie nutzen, um weiter in den Ausbau der Erneuerbaren zu investieren. Wenn die Politik hier weiter unterstützt, etwa indem Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, werden sich auch die Strompreise wieder zurückbilden.

Inwieweit bremsen bürokratische Vorgaben den Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland immer noch aus?

Das ist ein extrem wichtiger Punkt. Mit dem Osterpaket hat die Bundesregierung hier zwar die Probleme richtig erkannt, aber wenn sie glaubt, dass nach dem Beschluss im Sommer nun alles automatisch passiert, liegt sie falsch. Da steht noch sehr viel Kleinarbeit bevor. Eigentlich bräuchte es eine Bund-Länder-Taskforce, in der täglich die Probleme erfasst und gelöst werden. Im Zweifel muss dann auch bei dem Gesetzespaket kontinuierlich nachgeschärft werden. Die Energiewende muss politisch organisiert werden. Daran führt kein Weg vorbei.

Als Reaktion auf die ausbleibenden Gaslieferungen werden verstärkt wieder Kohlekraftwerke genutzt. Manche fordern zudem, dass die drei noch bestehenden Atomkraftwerke länger als geplant laufen sollen. Droht die Energiewende abgewürgt zu werden?

Die Sorge kann man haben, aber es muss nicht so kommen. Dass die Bundesregierung an ihrem Ziel, bis 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen, festhält, halte ich in diesem Zusammenhang für sehr wichtig. Natürlich wird das durch die aktuellen Entwicklungen schwieriger, aber wir brauchen diese Ziele auch als Orientierung für die Marktakteure. Positiv stimmt mich auch, dass es eine ungeheure Dynamik in Deutschland und Europa gibt, wie Energie eingespart oder auf erneuerbaren Wegen produziert werden kann. Die Ergebnisse und Erfolge dieser Entwicklung werden wir in zwei bis drei Jahren sehen. Da bin ich sehr sicher. Sorgen mache ich mir eher um die globale Perspektive: Wir betrachten zu wenig, welche Auswirkungen unser derzeitiges Handeln in Asien oder in Afrika hat. Gerade eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung sollte sich diesen Fragen verstärkt stellen.

Woran denken Sie dabei?

Wenn Deutschland und die EU afrikanische Staaten bitten, ihre Erdgasförderung zu verstärken, hat das dort natürlich Auswirkungen. So werden aus der europäischen Not heraus in anderen Ländern falsche Anreize gesetzt, den Ausbau der Erneuerbaren nicht weiter konsequent voranzutreiben. Ein anderes Problem ist der verstärkte Einkauf von Flüssiggas, das dadurch in Indien oder China fehlt. Dadurch können große Verwerfungen entstehen, deren Auswirkungen wir heute noch gar nicht absehen können.

In Deutschland sind die Gasspeicher kurz vor Beginn der Heizperiode zu 85 Prozent gefüllt. Trotzdem gibt es die Sorge, dass es nicht reichen könnte, um über den Winter zu kommen. Ist diese Sorge begründet?

Ja, diese Sorge ist absolut begründet. Neben dem Weiterbefüllen der Speicher müssen wir deshalb sparen, sparen, sparen. Da geht auch noch deutlich mehr als bisher. Dafür müssen wir aber die Haushalte direkt erreichen.

Woran denken Sie dabei?

Die Zahl der Corona-Impfungen ist hochgegangen, als die Impfangebote zu den Menschen in die Viertel und Kieze gekommen sind. Etwas ähnliches stelle ich mir auch bei der Aufklärung über Einsparmöglichkeiten vor. Da muss noch deutlich mehr passieren. Das wird eine Kraftanstrengung, die wir aber meistern können. Die Industrie spart schon deutlich, aber leider mit schlechten Folgen: Schon jetzt reduzieren Unternehmen ihre Produktion, weil sie nicht anders können. Das darf  nicht dauerhaft die Lösung sein.

Wo sehen Sie noch Einsparpotenzial beim Gas?

Das größte Potenzial liegt sicher im Haushaltsbereich. Da gibt es ja die gängigen Tipps, die die Verbraucher aber auch beherzigen müssen. Am Ende hilft die Summe der vielen Einzelteile.

Der Gesprächspartner

Andreas Kuhlmann ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energieagentur (dena).

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Kommentare

Sparen

Wenn die Gasspeicher am 1. Oktober voll sind, dann reicht das mal bis Silvester - dann fängt der Winter an. Die satt verdienenden Politiker **** können sich ihre Spartipps von oben SPAREN, denn das ist den Menschen mit schmalem Geldbeutel alles schon bekannt.
Leider sehe ich keinen Ausbau der Erneuerbaren - gut, so ein Windrad braucht seine Planung, aber Solardächerinstallatio könnte man schon wahrnehmen. Vielleicht braucht das einen kleinen Anstoß. Biogas ist nur insofern sinnvoll wenn es aus exkrementen und Abfällen gemachtwird; Die Flächen werden für die Nahrungsmittelproduktion gebraucht, da haben wir für "Energiepflanzen" keinen Platz.
AKS abschalten wie geplant !!!! und die neue "Brückentechnologie namens Kohle? Also meine roten Brüder und Schwestern lachen da schon über die Grünlinge.
Die verantwortlichen sollten erst mal rational denken und planen; das ist in der jetzigen Lage schwer, denn mit Trostpflästerchenprogrammen kommen wir nicht weiter. Da wird bei Diesel zum 1.9. die Steuervergünstigung von 15 cent gestrichen und der Preis/L geht um 40 cent hoch. Wo bleibt da sozialdemokratisches Handeln ?

was Sie vor allem brauchen, sind Fachkräfte

daran mangelt es vorallem, gerade beim Heizungsbau. Mehr Geld hilft da gar nicht, treibt nur die Preise. Wer am meisten zu zahlen bereit ist, der bekommt einen Handwerkertermin, die anderen müssen warten, bis mal wieder Flaute ist

Fachkräfte

Nicht nur beim Heizungsbau, sondern auch n der Regierung !

Ich stimme dem unumwunden zu, wir müssen

den Verbrauch senken, und wir können dies auch ohne weiteres, denn durch die Intensivierung der Kohleverstromung heizen wir den Klimawandel weiter an, und der bewirkt ja , was zB die Heizungskosten angeht, in unseren Breiten viel gutes. Jedenfalls hatten wir schon in den letzten Jahren recht milde Winter, und die Aussicht auf weitere und noch mildere Winter ist ja durchaus begründet. Zudem ist auf Sicht auch adblue nicht mehr zu bekommen, das rußt es dann wieder aus den Dieselfahrzeugen, die wir wiederum nicht durch andere Antriebsarten ersetzen können, jedenfalls nicht ohne weitere Kohlekraftwerke in Betrieb zu nehmen und zu halten. Also: angenehme Aussichten, für uns Menschen, und für die Zugvögel, die sich den Aufwand des Zuges sparen können, was ja auch eine Senkung deren Energiebedarfs nach sich zieht.

Sparen, sparen, sparen???

Das ist naturwissenschaftlich, technisch und industriell wie wirtschaftlich gesehen eine absolute Bankrotterklärung.

Bis 1998 war Deutschland noch eine naturwissenschaftlich, technisch und industriell führende Nation.

Die Bundesregierung kultiviert Halbwahrheiten

und der Vorwärts hilft dabei. Die Gasspeicher mögen zu 85 % gefüllt sein. Sie verfügen aber nur über 15 % der Kapazität des jährlichen Gasbedarfs. Ohne Gas aus den Pipelines wird es duster. Davor weiterhin die Augen zu verschließen, wird den harten Aufprall in der Realität später nicht mildern.

Zur Kenntnis genommen werden sollte zudem, dass die USA keineswegs hart daran arbeiten, die eigene Exportfähigkeit von Flüssiggas zugunsten von Europa und Deutschland zu erhöhen. Es sieht eher nach dem Gegenteil aus, was man der US-Presse entnehmen kann. Die USA scheinen stärker an der eigenen Energiesicherheit interessiert als an unserer, stärker an hohen Preisen als an unseren Kosten und stärker am Verlust unserer Wettbewerbsfähigkeit als an ihrer Konkurrenz.

Mit anderen Worten hält unser transatlantischer Verbündeter den Sack zu und wir bauen erkennbar auf Sand.

Der rosa Elefant im Raum ist: Wie lange verhalten wir uns weiterhin bündnistreu zu Lasten unseres Wohlstandes und unserer industriellen Basis? Wie lange halten wir einem Krieg aufrecht, der gegen unsere Interessen gerichtet ist und den die Ukraine eigentlich schon verloren hat? Wann handeln wir in unserem Interesse?

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