Verbrauch, Füllstände, Importe

Gasspeicher-FAQ: Wie wir in Deutschland durch den Winter kommen wollen

Benedikt Dittrich23. August 2022
Die Gasspeicher füllen sich – doch zu welchem Preis?
Die Gasspeicher füllen sich – doch zu welchem Preis?
Deutschlands Gasspeicher füllen sich Tag für Tag, trotz der reduzierten Importe aus Russland. Aber reicht das? Kommen wir so durch den Winter? Und was, wenn gar kein Gas durch Nord Stream 1 mehr fließt? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie viel Erdgas kann in Deutschland gespeichert werden?

Insgesamt kann in deutschen Speichern Erdgas mit einer Energie von rund 244 Terawattstunden (TWh) gespeichert werden, laut GIE (Gas Infrastructure Europe). Einer der größten Speicher in Europa befindet sich im niedersächsischen Rehden (50TWh), große Unternehmen wie Uniper oder RWE betreiben ebenfalls große Gasspeicher. Das ist die übliche Entwicklung: Im Sommer werden die Speicher mit überschüssigen Gas-Importen gefüllt, in den Wintermonaten sinkt der Füllstand dann wieder, wenn viel geheizt wird.

Wie lange würden komplett gefüllte Gasspeicher reichen?

Wenn Deutschland überhaupt kein Erdgas mehr bekommen würde, bei einem strengen Winter wohl weniger als drei Monate. Der durchschnittliche Gasverbrauch lag in der Vergangenheit bei fast 100.000 Terawattstunden pro Jahr, in kalten Monaten wird aber natürlich wesentlich mehr Gas verbraucht. Anders als beim Öl gibt es für Gas keine nationale Reserve, die Deutschland über einen längeren Zeitraum unabhängig machen würde.

Wie hoch ist die Gefahr eines kompletten Gas-„Blackout“?

Dass in Wohnungen die Heizungen komplett kalt bleiben, ist dennoch sehr unwahrscheinlich. Dafür müssten noch weitere Lieferant*innen ausfallen, außerdem ist in den vergangenen Monaten aufgrund verschiedener Maßnahmen der Gasverbrauch bereits deutlich gesunken. Es wird Energie gespart. Und bevor in Privatwohnungen die Heizung ausfällt, würde in bestimmten Industriezweigen wohl zuerst das Licht ausgehen – so sieht es die Gesetzeslage vor.

Volle Gasspeicher sind gegen einen Mangel laut SPD-Wirtschaftsexperte Bernd Westphal aber ein gutes Polster, auch die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert sah schon im Juli Deutschland auf einem guten Weg, eine Gas-Mangellage vermeiden zu können.

Wer liefert Deutschland noch Gas außer Russland?

Derzeit gehört Norwegen zu den größten Exporteur*innen für Deutschland, das Land liefert ebenfalls über Pipelines Gas nach Europa. Hinzu kommen Importe aus den Niederlanden sowie weitere Flüssiggas-Importe (LNG), die auf dem Weltmarkt eingekauft werden und über Terminals in den Niederlanden oder Belgien eingespeist werden. Außerdem ist geplant, noch in diesem Winter mit eigenen schwimmenden LNG-Terminals Flüssiggas direkt zu importieren.

Einen Haken haben die aktuellen Importe aber: Sie sind extrem teuer, die Gaspreise sind explodiert. Da aus Russland wesentlich weniger Gas kommt als vertraglich vereinbart, müssen Unternehmen wie Uniper die Lücken mit Einkäufen auf dem Weltmarkt ausgleichen, die um ein vielfaches teurer sind.

Was passiert, wenn „Nord Stream 1“ ganz ausfällt?

Als Nord Stream 1 im Juli das letzte Mal komplett abgeschaltet war, sind die Speicherstände in Deutschland zumindest nicht gesunken. Und das obwohl zu dem Zeitpunkt auch schon viel Gas zur Stromerzeugung verwendet wurde. Derzeit ist die Pipeline zu rund 20 Prozent ausgelastet, es fließt also Erdgas mit einer Energie von 350 Gigawattstunden täglich durch die Leitung nach Deutschland. Zum Vergleich: Vor Kriegsbeginn im Februar waren es fast 1800 Gigawattstunden.

Parallel sinkt der Verbrauch: Ersten Rechnungen zufolge werden in Deutschland schon rund 15 Prozent Gas im Vergleich zum Vorjahr eingespart. Ob das reicht, um einen Ausfall der Erdgas-Importe im Winter über die Ostsee-Pipeline zu kompensieren, ist unklar. Zumal das Gas auch gleichmäßig in Deutschland verteilt werden muss, um das Netz zu stabilisieren.

In den kommenden Monaten greifen noch weitere Maßnahmen: Kohlekraftwerke sollen nach und nach Gaskraftwerke bei der Strom- und Wärmeproduktion ersetzen, die Industrie erhält weitere Anreize, um Gas zu sparen. Die Raumtemperatur soll gesetzlich abgesenkt werden dürfen, Warmwasser wo möglich gespart werden. Auch das übergeordnete EU-Ziel, mindestens 15 Prozent Gas zu sparen, gilt erst seit August. Das alles beeinflusst die Füllstände der Gasspeicher in Deutschland, da sie ins europäische Netz eingebunden sind.

Also vielleicht doch „Nord Stream 2“ öffnen?

Abgesehen davon, dass die Öffnung dieser Pipeline die Sanktionspolitik gegen Russland unterlaufen würde: Es gibt keine Garantie, dass dann mehr Gas fließen würde. Denn die Quelle bleibt der russische Staatskonzern Gazprom, Putin kann also nach wie vor den Gashahn zudrehen. Außerdem ist die bestehende Leitung Nord Stream 1 zurzeit kaum ausgelastet.

Die Bundesregierung hält die Reparaturarbeiten und auch die Drosselung von Nord Stream 1 für politisch motiviert, auch Timm Kehler vom Verband „Zukunft Gas“ geht von einem Machtspiel aus.  Russland könnte zudem auch über Pipelines auf dem europäischen Festland Gas nach Deutschland schicken oder die bereits reparierte Gasturbine einbauen, um Nord Stream 1 wieder stärker auszulasten. Weder das eine noch das andere ist bisher passiert, wie auch die Import-Mengen bei den anderen Pipelines zeigen.

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Kommentare

Gaslieferungen

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Sanktionspolitik

".....dass die Öffnung dieser Pipeline die Sanktionspolitik gegen Russland unterlaufen würde...." ja die Sanktionspoitik wiegt mehr als das Bedürfnis der Bevölkerung nach Wärme und Licht.
Aber wenn dann durch Nordstream2 Gas fließen würde, dann wären die diskutierten Probleme mit Demonstrationen, Unruhen, Volksaufständen .... vom Tisch. Und wenn "der Iwan" trann trotzdem nicht liefert hätte er den schwarzen Pter und unsere Warner vor dem durchtriebenen Russen hätten Recht. Also was gibt es zu verlieren ?

Zusammenhalt

Das Argument zielt darauf ab, dass die Sanktionen gemeinsam in Europa und darüber hinaus beschlossen wurden. Andererseits gibt es eben keine Garantie, dass durch Nordstream 2 mehr Gas fließen würde - weil die Quelle weiterhin die gleiche ist: Russland/Gazprom/Putin. Es gibt also mit Sicherheit Zusammenhalt zu verlieren und wir würden nur die Abhängigkeit/Erpressbarkeit behalten die wir schon haben.
Das ist erstmal Fakt, da lässt sich nicht viel dran herumdeuten.

Diese Argumentation mag Sie nicht überzeugen, ist aber eben die, die uns von Expert*innen (siehe verlinkter Artikel) so geschildert und erklärt wird – und die auch nicht nur in Deutschland so vertreten wird. Und das ist es, was wir in diesem FAQ wiedergegeben haben (mit Verweis auf andere Artikel auf vorwaerts.de).

Und was die möglichen Unruhen und Aufstände angeht: Da spekulieren Sie. Genauso wie Sie spekulieren, dass es ja doch alles anders kommen könnte mit NS2 und dass das Gas im Winter tatsächlich nicht reichen könnte. Diesen Spekulationen steht die o.g. Argumentation gegenüber, die eben mit Einschätzungen und Fakten unterfüttert ist.

Beste Grüße
Benedikt Dittrich

Spekulieren tun alle, auch sie

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Auch wenn das Gas im Winter

Auch wenn das Gas im Winter reichen sollte, ist davon auszugehen, dass Preise verlangt werden, die von einem nicht erheblichen Teil der Bevölkerung nicht mehr bezahlt werden können. Und was passiert dann? Wie in meiner Lokalpresse in einem Interview mit dem größten hiesigen Energieversorge berichtet wurde, wird, wer nicht zahlen kann, von der Gas- und Stromversorgung abgeklemmt. Frieren/Stinken/Kaltduschen und Kaltessen ist dann angesagt.

Spekulationen

Das mit den Volksaufständen stammt von Frau Baerbock und ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Die Gefahr, daß die Rechten davon profitieren ist sehr groß, aber alles was man mal gesellschaftlich für links hielt ist ja auf Kriegskurs. Die Energieabhängigkeit von Russland gegen eine andere, viel teurere, finde ich hinterfragungswürdig. Expert-ähm-innen ? Zusammenhalt ? Das sehe ich in der EU leider nicht. Aber ich fürchte die Regierung macht sich das eigene Volk zum Feind, steigende Mieten, steigenden Lebensmittel- und Spritpreise ........ Milliarden für Rüstung, Milliarden zur Konzernrettung .... die Situation sollte dringend entschärft werden.
Wir können ja weiterhin geteilter Meinung sein, Hauptsache wir kommunizieren das und es wird ein Weg gefunden, der uns vor schlimmerem bewahrt.

Was die Öffnung von NS2 angeht

muss zuerst einmal festgehalten werden, dass die nicht erfolgende Inbetriebnahme auf einer Entscheidung unserer Bundesregierung über die Bundesnetzagentur beruht. Von daher mag Russland im Fall eines deutschen Wunsches nach Öffnung zwar triumphieren, da sich die Politik der Bundesregierung aber zunehmend als strategischer Fehler erweist, müssten wir damit leben und hätten es nicht anders verdient.

Ob alleine die Öffnung von NS2 schon zu mehr Gaslieferungen führt kann getrost offen bleiben. Erstens kommt es auf den Versuch und das damit verbundene politische Zeichen an. Zweitens hätte ich auch für die Forderung Russlands nach Rücknahme weiterer Energie-Sanktionen volles Verständnis, denn sie befrieden weder den Konflikt noch verbessern sie unsere Position.

Dummerweise steht unsere Bundesregierung jetzt vor einem Scherbenhaufen ihrer Politik nach "Zeitenwende". Aus diesem Scherbenhaufen ohne Gesichtsverlust und Blessuren herauszukommen, ist unmöglich. Die Frage ist, was schwerer wiegt: Das Wohl der Bevölkerung oder der eigene Stolz. Die SPD hat für diese Abwägung noch Zeit, bis die neuen Energieendpreise verkündet werden. Danach wird sie die Initiative nicht mehr haben.

Und was die "politisch motivierte" Drosselung von NS1 angeht:

Ich empfehle die kritische Auseinandersetzung mit unseren eigenen Sanktionen. Kanada hat die sagenumwobene Turbine an Deutschland weitergegeben wie eine heiße Kartoffel. Die Weiterlieferung an Russland ist und bleibt ein Verstoß gegen die selbst auferlegten Sanktionen, somit steht Deutschland vor einem selbst produzierten Dilemma. Und da in Russland nicht nur Staat und Regierung, sondern auch noch Unternehmen und Privatpersonen Gegenstand und Ziel der Sanktionen sind und eine "sanktionswidrige Annahme" der aus Deutschland gelieferten Turbine Konsequenzen bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung im Westen nach sich ziehen kann, haben Gazprom und Russland ziemlich triftige Argumente auf ihrer Seite.

Natürlich kann man immer weiter behaupten, es gäbe weiterhin keinen Grund für Russland, die Turbine nicht anzunehmen und einzubauen. Aber das war und ist eine reine und faktenwidrige Schutzbehauptung. Staatsmännische Größe wäre, die Hindernisse gründlich zu bereinigen und zu einem normalen, geregelten und gänzlich sanktionsfreien Lieferverhältnis zurückzukehren, was nunmal alleine in der Hand der Sanktionierenden und nicht des Sanktionierten liegt.

„Wie wir in Deutschland

durch den Winter kommen wollen“

Wenn etwas gewaltig schiefläuft, muss immer ein Schuldiger her – und auffälliger Weise ist es immer der Andere. Für unsere akuten Gasprobleme ist er leicht gefunden: „Russland setzt Erdgas als politisches Druckmittel ein“ (Die Bundesregierung, 18.8.) und überzieht die EU mit einem „Wirtschaftskrieg“, obwohl bis zum Frühsommer die Russische Föderation noch kein EU-Land mit Gas erpresst hat.
Da wir etwa 50% unseres Gases aus Russland bezogen haben, Russland aber z. Z. nur 20% seiner bisherigen Menge liefert, droht unsere Wirtschaft zu kollabieren und unsere Gesellschaft im Winter zu frieren (, und das dürfte noch eine der harmlosen Folgen sein). Wir hätten das voraussehen können, als unsere Außenministerin kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine versprach, „Russland (zu) ruinieren“, und Kanzler Scholz sich hinter die „beispiellos harten Sanktionen“ der EU stellte: Es sieht so aus, als würden uns unsere Sanktionen „mehr schaden als Russland“ – das aber versprach unser Bundeskanzler zu verhindern (Scholz am 8.5.). Hat er aber nicht.
Der Artikel sagt das deutlich, auch wenn er die zu 70/80% gefüllten Gasspeicher als Hoffnungsschimmer anbie