Koalition mit Linkspopulist*innen

Wie Frankreichs Sozialist*innen politischen Selbstmord begehen

Kay Walter06. Mai 2022
Hier waren sie noch Gegner, bei der Präsidentschaftswahl im April 2022: der Linkspopulist Jean-Luc Melenchon (l.) und die Sozialistin Anne Hidalgo. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2022 arbeiten sie zusammen.
Hier waren sie noch Gegner, bei der Präsidentschaftswahl im April 2022: der Linkspopulist Jean-Luc Melenchon (l.) und die Sozialistin Anne Hidalgo. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2022 arbeiten sie zusammen.
Die Sozialist*innen in Frankreich wollen mit dem Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon eine Koalition bilden. Der neue Kurs: für Putin, gegen Deutschland und die EU. Die Partei gibt sich so auf. Profitieren dürfte Le Pen. Ein Kommentar aus Paris.

Nun also doch. Nach zähen Verhandlungen haben sich die Sozialist*innen mit der Bewegung von Jean-Luc Mélenchon darauf geeinigt, der Linkskoalition beizutreten, der bereits Kommunist*innen und Grüne angehören.

Wie Ökolog*innen und Kommunist*innen vor ihnen haben jetzt auch die Sozialist*innen die zentralen Punkte aus Mélenchons Programm übernommen: Mindestlohn von 1.400 Euro, Senkung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre, staatlich verordneter Preisstopp für Notwendigkeiten des täglichen Bedarfs. Und auch die Aufhebung des Arbeitsrechts des letzten sozialistischen Präsidenten François Hollande gehört dazu.

Nein zur NATO und zur EU

Die PS unterschreibt aber auch die Relativierung der NATO-Mitgliedschaft und dass Putins Russland und die USA in gleichem Maße problematisch wären. Zur EU-Mitgliedschaft, die in Frankreich Verfassungsrang hat, erklären die Parteien ihre Differenzen: La France Insoumis betrachtet sich als „Erbe des linken Nein zum europäischen Verfassungsvertrag von 2005“, während sich die PS dem europäischen Aufbau verbunden sieht.

Aber man „teile das gemeinsame Ziel: dem liberalen und wirtschaftsfreundlichen Kurs der Europäischen Union ein Ende zu setzen, um ein neues Projekt im Dienst der ökologischen und solidarischen Entwicklung aufzubauen“. Und weiter: „Aufgrund unserer Geschichte sprechen die einen von Ungehorsam, die PS von Abweichungen“, heißt es in der Erklärung. Praktisch bedeutet das, sich auf die Linie eines Victor Orbán zu begeben.

Ex-Präsident Hollande warnte vergeblich

Ex-Präsident François Hollande hat die Genoss*innen mit scharfen Worten vor dieser „Selbstaufgabe“ gewarnt. Der Austritt aus der NATO sei nicht links; ein Putin-Freund wie Mélenchon sei als Präsident, so wörtlich „völlig unbrauchbar“. Die EU massiv zu schwächen sei ebenfalls keine linke Politik, sondern schlicht Verfassungsbruch. Dass die Leitung der PS sich über diese Warnung hinwegsetzt, könnte die Partei endgültig zerreißen.

Das 303 Personen zählende Nationalkomitee der Sozialistischen Partei hat gestern Abend gleichwohl zugestimmt, bei einigen Enthaltungen und einem Drittel Gegenstimmen. Der Parteivorsitzende Olivier Faure sah sich Vorwürfen namhafter Genoss*innen ausgesetzt, darunter sein Vorgänger Jean-Christophe Cambadélis, Carole Delga, Regionalpräsidentin von Okzitanien, die als mögliche Parteivorsitzende gehandelt wurde, Ex-Premierminister Bernard Cazeneuve (der seinen Austritt aus der PS erklärt hat) und François Hollande.

Wahltaktik vor Inhalten

Die Mehrheit im Parteivorstand handelte nach dem Motto „Angst essen Seele auf“. Wenn auch widerwillig, stimmten Anne Hidalgo und andere Großstadtbürgermeister*innen wie Johanna Rolland (Nantes), Benoît Payan (Marseille), Mathieu Klein (Nancy) letztlich zu. Sie gaben dabei Wahlkreise auf, die die PS 2017 klar gewann und wahrscheinlich 2022 erneut gewonnen hätte. Bezeichnend die Worte der Bürgermeisterin von Lille Martine Aubry: „Linke Wähler haben während der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen ein starkes Streben nach Einheit zum Ausdruck gebracht“. Wahltaktik vor Inhalten.

Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon vertrete ein sozialdemokratisches Programm, glauben nicht nur französische, sondern auch manche deutsche Linke. Das kann nur behaupten, wer Nationalismus für links hält und wer der festen Überzeugung ist, es gehöre zum Wesenskern von Sozialist*innen auch trotz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die prinzipielle Freundschaft zu Putins Russland zu bestehen. Das genau ist Mélenchon und das ist, mit Verlaub, blanker Unsinn.

Mélenchon gelingt die Zerschlagung der Sozialisten

2008 ist Mélenchon aus der PS ausgetreten, um nach dem Vorbild Oskar Lafontaines seine neue Partei La Gauche/Die Linke zu gründen. Erklärtes Ziel dabei, die PS zu demontieren, möglichst zu zerschlagen. Das ist nun gelungen.

Der begnadete Redner verfolgt seitdem die Strategie, Le Pen und Macron gleichzusetzen: Die eine sei fremdenfeindlich, der andere neoliberal und beides sei gleichermaßen schlimm. Das war der Beginn der Banalisierung des Rechtsradikalen, die unterdessen in weiten Teilen der öffentlichen Diskussion platzgegriffen hat.

Ein gefährlicher Nationalismus von links

Das Bitterste: Mélenchon betreibt gleichzeitig seit 14 Jahren die inhaltliche Annäherung an Le Pens Rassemblement National. In Deutschland weitestgehend Mythos, ist in Frankreich der Austausch ultrarechts – ultralinks Realität. Es hat gewaltige Wähler*innenwanderungen gegeben, ausschließlich in eine Richtung: von PS und Kommunist*innen hin zu Le Pen. Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten, die das möglich gemacht haben, sind Nationalismus, Deutschland-Feindlichkeit und Anti-EU-Haltung, analysiert der Soziologe Joseph de Weck.

Wes Geistes Kind Mélenchon ist, belegt nicht allein, dass er in Bezug auf Russland komplett auf Gerhard-Schröder-Linie liegt, sondern auch sein sonstiges Verhalten. Als die Zentrale von La France Insoumis wegen illegaler Parteifinanzierung durchsucht werden sollte, griff er vor laufenden TV-Kameras Polizisten tätlich an und schrie dazu: „Meine Person ist unantastbar, sie ist heilig“.

Welcher Wahn auch immer den PS-Parteirat getrieben haben mag, sich dieser Person unterzuordnen, Selbstmord aus Angst vor dem Tod ist keine kluge Lösung. Erste Stimmen fordern bereits eine refondation, die Neugründung der Partei.

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Kommentare

Rundumschlag

Ex-Präsident Hollande zum Kronzeugen zu benennen befremdet, den seine Regierungspolitik hat die PS un der Wählergunst schrumpfen lassen - seine Worte werden als für die Wähler*innen in Frankreich (!) wenig Bedeutung haben. Nicht nur Melechon ist skeptisch gegenüber der NATO, auch Macron hat sie schon hirntod genannt. Die jetzige Politik der EU kann man zu Recht kritisch hinterfragen - und Frau von der Laien tragt da ein Gutteil mit bei. ie Sozoalpolitik von Macron kann wohl von keinem überzeugten Sozialdemokrat*in für gut befunden werden. Was bliebe denn unsereimem, soferner Franz** wäre anderes übrig als Melechon zu wählen ? Daß dann noch der Schienbeintritt "Putinfreund Melechon" verlautbart wird, muss in einem vorwärtsartikel nicht unbedingt vorkommen. Ein fairerer Umgang mit Melechon wäre angemessener.

Mehr Populismus wagen

Es muss doch die SPD Führung beunruhigen, dass die Partei gestern in SH besonders bei den Arbeitern und Angestellten so hohe Verluste hatte. Besonders Menschen, die über kein Eigenheim verfügen, waren schon durch die Einschränkungen in der Coronakrise in mehrfacher Hinsicht viel stärker belastet. Kurzarbeit, massive Steigerung der Energie- Nahrungs- Miet- Dienstleistungpreise bei gleichzeitiger Entwertung der Sparguthaben usw. schüren Existenzängste, die mit dem Krieg in der Ukraine eine neue Dimension erreichen. Dennoch hören sie, die kaum je eine Flugreise antreten in einer 70qm Mietwohnung ohne Einfluss auf Heizungsart leben, moralische Appelle auf oekologischen Fußabdruck zu achten und werden mit einer CO2Steuer belastet. Es treibt sehr viele, normal und wenig verdienende Bürger die Sorge um, dass sie es vor allem sind, die die Schulden für all die Ausgaben, zu denen der Staat jetzt genötigt ist, zu tilgen haben. Warum? Weil die SPD-Führung es nicht wagt, von den Krisengewinnern und wirklich Vermögenden einen gerechten Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens abzuverlangen und durchzusetzen.

PS

Eine Partei mit weniger als 2% Zustimmung bei den Präsidentschaftswahlen hat den politischen Selbstmord wohl schon begangen.
Die Nichtumsetzung des Wahlprogramms durch Hollande, das Wechseln von Parteigrößen zu Macron .... sowas hat wohl kein Vertrauen in diese Partei geschaffen. Es ist doch schön, daß ihnen das Bündnis mit Melechon die Chance gibt reanimiert zu werden.

Frankreichs Sozialist*innen

Ich kann meinen Vorrednern nur zustimmen.

Frankreichs "Sozialist*Innen"

Schon Jeremy Corbyn (GB) und Bernie Sanders (USA) waren einem Teil der führenden deutschen SPD-Vertreter zu
'demokratisch-sozialistisch' und wurden hämisch bis niederträchtig heruntergeschrieben. Es hat schon was "sui generis",
wenn in Teilen der deutschen Sozialdemokratie der eigentliche politische Gegner weit weniger attackiert wird als die eigentliche politische Verwandtschaft.