Paris blickt auf Große Koalition

Frankreichs regierende Linke: "Warten wir die Praxis ab"

Lutz Hermann04. Dezember 2013

Aus nächster Nähe und mit unverhohlener Neugier haben die französischen Sozialisten die Koalitionsverhandlungen in Berlin verfolgt.

Es gab Lob (Keine aggressive Kraftprobe um Machtpositionen!“), Befremden (Welch ein Wagnis, auf Steuererhöhungen zu verzichten“) und skeptische Fragen, ob das schwarz-rote Bündnis die angesagten Reformen zu finanzieren in der Lage sein wird. Fazit für die regierende Linke: "Warten wir die Praxis ab." Dass die Mitgliederbefragung der SPD den Vertrag mit CDU/CSU gefährden könnte, erwartet niemand ernstlich in Paris.

Frankreichs Sozialisten (Parti Socialiste) haben die deutschen Verhandlungen mit Gelassenheit, ohne Einmischung, aber mit großem Interesse und Zustimmung verfolgt. Herausgehoben wird der Beschluss über den gesetzlichen Mindestlohn, den es in Frankreich seit Jahrzehnten gibt. Einige PS-Mitglieder sind überzeugt, dass die Deutschen die Franzosen in dieser Frage kopiert haben, obwohl 8 Euro 50 die Stunde deutlich weniger als die in Frankreich üblichen 9 Euro 50 sind. Ein kleiner Schritt zum wirtschaftlichen Gleichgewicht zwischen Frankreich und Deutschland, so resümiert man in der Parteizentrale nahe der Nationalversammlung.

Martin Schulz, ein Deutscher an der EU-Spitze?

Zufriedenheit auch, dass die SPD nach Pariser Informationen den früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier als neuen Chef der deutschen Diplomatie vorstellen wird. Für Paris eine Garantie, dass sich die Europapolitik auch unter der Großen Koalition nicht ändern wird. Daran knüpft sich die Hoffnung, der (deutsche) Präsident des Europa-Parlaments, Martin Schulz, könnte nach der Europawahl im Mai 2014 zum Nachfolger von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gewählt werden. Die Franzosen scheinen ihn zu unterstützen. Zwei Sozialdemokraten folglich in höchsten Ämtern – Präsident Francois Hollande dürfte wohl nicht enttäuscht sein und den Genossen gratulieren.

Frankreich hat eigene Erfahrungen mit einer Großen Koalition. Der sozialistische Staatschef Francois Mitterrand wurde 1986 in eine so genannte Cohabitation, in eine Regierungszusammenarbeit mit dem Konservativen Jacques Chirac als Premier gezwungen. Er hatte nach der Kammerwahl der Nationalversammlung keine ausreichende Mehrheit mehr. Das Links-Rechts-Bündnis hielt gut zwei Jahre. Es ist mit der Großen Koalition wenig vergleichbar, weil der 1981 direkt gewählte Mitterrand eine bürgerliche Regierung einsetzen musste. Laut Verfassung leitet der Präsident die Kabinettssitzungen – wöchentlich eine düstere Veranstaltung, da sich die Partner politisch spinnefeind waren. Drei Dutzend konservative Minister rahmten bei den allwöchentlichen Beratungen den Sozialisten ein, bis er 1988 wieder allein mit einer linken Mehrheit regieren konnte.

Hollande signalisiert Zustimmung

Mitterrands Ziel war, die vorher beschlossenen Reformen der Linken zu verteidigen, zum Beispiel die 36-Stunden-Woche, den gesetzlichen Mindestlohn und andere sozialpolitische Errungenschaften. Der Druck von Chirac, Massenentlassungen in der Industrie zu erleichtern und Teilprivatisierungen vorzunehmen, scheiterte allerdings am Widerstand des Präsidenten. Nachfolger François Hollande braucht sich nicht um hauchdünne Mehrheiten zu sorgen. Er hat eine bequeme Mehrheit, sowohl im Parlament als auch im Senat. Der SPD-Spitze hat er wissen lassen, er sehe mit Genugtuung der gemeinsamen Arbeit in Berlin und Paris entgehen.