Für die Grande Nation ist das Rennen offen

Frankreich blickt nach Berlin

Lutz Hermann17. September 2013

Mit außergewöhnlichem Interesse verfolgt das von den Sozialisten reagierte Frankreich die Bundestagswahl. Die allgemeine Einschätzung: Das sei kein mit Präsidentschaftswahlen in Frankreich vergleichbarer Urnengang. Der Gegenkandidat von Angela Merkel, Peer Steinbrück, habe aufgeholt, das Rennen sei offen.

Die angesehene liberale Tageszeitung Le Monde stellt in einer mehrseitigen Beilage die Frage, die viele ihrer Leser bewegt: Ist Deutschland zu stark? Soll das Land in Europa führen? Die Deutschen wollten aber nicht diese Rolle, heißt es weiter in der Zeitung, sie zögen es vor, sich auf den Bau eines gemeinschaftlichen Europas mit starken Institutionen zun konzentrieren. Der konservative  Figaro meint, Deutschland sei zweifellos zur Führung qualifiziert. Die Partnerländer erwarteten diese Rolle von der neuen Bundesregierung. Das Blatt hält mit seiner eigenen Meinung allerdings hinter dem Berg.

FDP-Niederlage schlechtes Vorzeichen

Nach der Bayern-Wahl und dem Triumpf für Seehofer sieht die linksliberale Libération folgende Perspektive: Nun ist Angela Merkel noch mehr auf die CSU angewiesen, um im Kanzleramt bleiben zu können. Der Figaro meint, die Niederlage der Liberalen sei ein schlechtes Vorzeichen für eine neue Koalition. Da die Sozialdemokraten und Unionsparteien in Umfragen gleichauf lägen, konzentriere sich diese Woche die Schlacht auf die Wahlprogramme. Der Leitartikler von Le Monde schreibt Dienstag: Die Kanzlerin hat sicher eine Bilanz, aber kein Projekt. Man kann im Grunde ihrem Vorgänger Gerhard Schröder eine Bilanz zusprechen.

Bislang hat sich der sozialistische Präsident mit Stellungnahmen zur deutschen Wahl zurückgehalten. Dass Francois Hollande den Sieg von Peer Steinbrück wünscht, liegt auf der Hand. Nicht nur, weil die SPD und die PS Schwesterparteien sind, sondern auch und gerade weil die SPD und Steinbrück deutlich stärker auf Krisenländer eingehen als Merkel. 

Er sagt es nicht laut, aber seine Partei signalisiert Unterstützung. Er hat den 150. Geburtstag der SPD in Leipzig mitgefeiert, aber das war keine Wahlveranstaltung. PS-Generalsekretär Harlem Désir war im Februar in Berlin. Die Sozialisten sind mit eigenen Problemen so beschäftigt, dass kaum Wahlreisen zum Nachbarn stattfinden.
 
Im Hinblick auf die Außenpolitik schreiben Kommentatoren, die Wahl in Deutschland werde an der Berliner Außenpolitik nichts Fundamentales ändern. Die Europaauffassungen seien zwischen CDU/CSU und SPD mehr oder minder identisch. Wichtige Reformen würden nach Meinung der Medien beim Nachbarn eher als Konsens denn als Gegensätze begriffen.
  
Millionen Unterbezahlte

Immer wieder staunen Franzosen kopfschüttelnd darüber, wie Millionen Menschen im Nachbarland weit unter Tarif bezahlt werden. Positiv sehen Meinungsmacher in Paris die SPD-Absicht, im Falle des Sieges, wie in Frankreich in Deutschland den garantierten gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Von Merkel erwarten sie keine grundlegende Kehrtwende in der deutschen Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik nach der Bundestagswahl.

Einige Beobachter warnen den Partner vor Isolierung. Kritiker sagen, Berlin verhalte sich europapolitisch oft unentschlossen. Die Franzosen machen in dieser Hinsicht keinen Unterschied zwischen Merkel und Herausforderer Steinbrück: In der Außenpolitik die gleiche Vorsicht, die gleiche Zurückhaltung und, wie viele Pariser Medien finden, das gleiche "traditionelle pazifistische Verhalten," was ein militärisches Vorgehen gegen Syrien betrifft. Trotzdem: Die linke Parteispitze hofft auf Steinbrück.