
Die Absage erreichte den Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) nach Angaben des Tagesspiegels schriftlich. Das Land Berlin darf sein eigenes Aufnahmeprogramm für Geflüchtete nicht weiter verfolgen. Begründet wird das Aufnahmeverbot mit rechtlichen Vorbehalten. Geisel hatte zuletzt im Juni um Zustimmung gebeten, mehr Geflüchtete in Berlin aufzunehmen der Verteilungsschlüssel vorsieht, um die Situation an den EU-Außengrenzen und in den Lagern auf den griechischen Inseln zu entschärfen. Ähnliche Anfragen gibt es unter anderem von Georg Maier (ebenfalls SPD), Innenminister in Thüringen. Auch dort sind zusätzliche Geflüchtete willkommen.
Doch Seehofer sagt nein. Er sagt nein, obwohl die Bedingungen in den überfüllten Aufnahmelagern auf den griechischen Inseln seit Monaten katastrophal sind – die Liste der Appelle, die Liste der dramatischen Hilferufe ist endlos. Auch die SPD-Spitze, allen voran die sozialdemokratischen Innenminister der Länder, drängen Seehofer schon seit Ende 2019, Menschen aufzunehmen. Mit der Absage offenbart der Bundesinnenminister außerdem noch etwas anderes: Er glaubt nicht daran, dass Einzelinitiativen den Druck auf Andere erhöhen können. Dabei wäre es so wichtig, den bisherigen Verweigerern zu zeigen: Seht her, natürlich können wir ohne Probleme noch mehr Menschen aufnehmen. Solche Signale wären in diesen Zeiten, in denen der Schleier der Corona-Krise jedes andere Problem überdeckt, bitter nötig.
Seehofer verbietet Solidarität mit Geflüchteten
Den jüngsten Fortschritt gab es auf der Innenministerkonferenz: 900 Menschen sollen aus den griechischen Lagern in Deutschland aufgenommen werden. Auf europäischer Ebene hat sich zuletzt wenig bis gar nichts getan, der Konflikt ist festgefahren, ein Kompromiss mit den Hardlinern in der Asylpolitik in weite Ferne gerückt. Dass Seehofer vor diesem Hintergrund einer Landesregierung verbietet, freiwillig mehr Menschen aufzunehmen, macht sprachlos. Seehofer hofft offenbar weiterhin auf ein einheitliches Vorgehen in Deutschland und Europa, wie er in der Vergangenheit immer wieder betont hatte.
Wer aber weiterhin darauf hofft, sich mit Regierungschefs wie Viktor Orban auf eine gemeinsame Asylpolitik einigen zu könenn, die wenigstens humanitären Standards genügt, ist entweder betriebsblind oder an einer Lösung einer humanitären Katastrophe schlicht nicht interessiert. Denn während die Verantwortung in Europa weiter hin und hergeschoben wird, leiden die Menschen, um die wie auf einem Basar gefeilscht wird, Tag für Tag.
Es ist traurig, dass man es immer wieder wiederholen muss: In dem größten Flüchtlingslager auf europäischem Boden, auf der griechischen Insel Lesbos, harren derzeit rund 17.000 Menschen aus. Kapazitäten gibt es in dem Lager Moria aber nur für ein paar tausend. Die Menschen leben dort in Zelten, unter katastrophalen hygienischen Umständen, ohne ausreichende medizinische Versorgung. Die griechischen Behörden sind mit der Bearbeitung der Asylanträge überfordert. Ein Zustand der bekannt ist – und zwar seit Monaten.
Schandfleck der EU-Asylpolitik wird größer und größer
Das alles ist bekannt, wird von Ärzt*innen, Politiker*innen, Menschenrechtsaktivist*innen ständig wiederholt, kritisiert, angeprangert. Doch geändert hat sich seitdem nichts – zumindest nicht zum Guten: Seit Beginn der Corona-Pandemie im März dürfen die Menschen das Lager nicht verlassen, gewalttätige Auseinandersetzungen nehmen zu, der Schwarzmarkt mit gefälschten Ausreisedokumenten blüht.
Die griechischen Flüchtlingslager sind der Schandfleck der europäischen Asylpolitik. Dass dieser Schandfleck nicht verschwindet, nur weil das Land Berlin ein paar hundert Geflüchtete zusätzlich aufnimmt, dürfte auch Seehofer klar sein. Doch wenn selbst diejenigen, die zusätzliche Geflüchtete aufnehmen wollen, das nicht dürfen, obwohl es in Europa seit Jahren keine funktionierende Flüchtlingspolitik gibt, dann wird dieser Schandfleck nicht kleiner. Im Gegenteil: Er wächst. Daran hat nun auch Horst Seehofer seinen Anteil.