
Nach dem Euro-Finanzministertreffen am 10. Oktober konnte der sozialdemokratische EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung Moscovici verkünden, dass eine Einigung in Sachen europäische Finanztransaktionssteuer (FTS) „näher sei, als jemals zuvor“. Seitdem wird das Ringen um diese „Steuer der Gerechtigkeit“ von neuer Hoffnung beflügelt, die noch im Dezember 2016 durch die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzesvorschlags erfüllt werden könnte.
Nur zehn der 28 EU-Staaten sind dabei
Dabei hatten mehrere Regierungen bis zuletzt versucht, Fortschritte zu torpedieren. Während die Belgier eine Verteuerung des öffentlichen Schuldendienstes befürchteten, bekamen die Slowaken aus Angst, die FTS könne höhere Verwaltungskosten als Steuereinnahmen bedeuten, kalte Füße. Auch Finanzminister Schäuble schoss kürzlich mit der Äußerung quer, dass nicht in der EU, sondern höchstens im globalen Rahmen an der Einführung einer FTS gearbeitet werden solle.
Sicherlich ist das, was sich nun als Einigung andeutet, kein Sieg auf ganzer Linie. Es ist bedauerlich, dass mittlerweile nur noch zehn EU-Länder an der FTS beteiligt sind, während die übrigen 18 keine Veranlassung für eine stärkere Besteuerung der Finanzwirtschaft zu sehen scheinen. Trotzdem hat die europäische FTS Hand und Fuß. So sollen neben Aktiengeschäften auch Derivate besteuert werden – und das auf eine Weise, die gerade potentiell schädliche Praktiken, z. B. den Hochfrequenzhandel, besonders belastet.
Wichtiges Zeichen für die Handlungsfähigkeit der Politik
Auch wird die Steuer einen Unterschied zwischen der Finanz- und der Realwirtschaft machen: Exportunternehmen, die ihre Geschäfte mithilfe von Derivaten gegen Wechselkursschwankungen absichern, blieben von der FTS ausgenommen, während Hedgefonds auf dieselben Geschäfte eine Abgabe leisten müssten.
Durch diese FTS mit Augenmaß würden also die Finanzmärkte stabilisiert und die Finanzwirtschaft gezielt zur Kasse gebeten. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise, die uns in Europa noch immer beschäftigt, erscheint dies ebenso gerechtfertigt wie überfällig.
Vor allem aber wäre die Einführung einer europäischen FTS ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Politik auch in Zeiten der Globalisierung willens und fähig bleibt, demokratische Anliegen gegenüber den Märkten durchzusetzen. Denn für viele Menschen ist Globalisierung gleichbedeutend mit einem als ungerecht empfundenen, global entfesselten Kapitalismus, der willkürlich Gewinner und Verlierer produziert.
Der Nährboden des Populismus
Viel zu oft wurde es in der Vergangenheit verpasst, die Folgen von Strukturwandel zu mildern und die Unterfinanzierung des Gemeinwohls mit effektiven Maßnahmen gegen Steuerflucht- und -vermeidung einzudämmen. Allzu häufig wird die Politik dabei als machtlose Komplizin globaler Fliehkräfte gesehen. Auf diesem Nährboden gedeihen Populismus und seine verlogenen Parolen vorzüglich.
Vor diesem Hintergrund ist die FTS mehr als Steuerpolitik. Eine gerechte Gestaltung der Globalisierung setzt ausreichende Investitionsmittel zur Schaffung öffentlicher Güter voraus – gerade in Bereichen wie öffentliche Bildung und Infrastruktur. Durch die FTS würde die Finanzwirtschaft, die wie kein anderer Wirtschaftszweig die Ambivalenz der Globalisierung versinnbildlicht, hierfür besonders in die Pflicht genommen. Damit wäre ein Zeichen gesetzt, dass Politik auch heute noch in der Lage ist, Gemeinwohl nachhaltig zu gestalten, und alle Glieder – auch die Globalisierungsgewinner – zur Teilhabe an diesem Fortschrittsprojekt zu verpflichten.
Große Mehrheit der EU-Abgeordneten ist für die Steuer
Wenn die FTS endlich eingeführt sein wird, wird Wirklichkeit, was wir Sozialdemokraten im Europäischen Parlament vor mehr als fünf Jahren angestoßen haben. In einem Bericht unserer griechischen Genossin Anni Podimata forderten 78 Prozent der Europaabgeordneten die EU-Kommission auf, einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen. Obwohl die Kommission dies zunächst ablehnte, kam das Projekt durch unseren Druck schlussendlich doch in Gang. Unsere Politik braucht Orientierung, Hartnäckigkeit und Ausdauer – denn sie ist es wert!