Film der Woche

Filmtipp „Willkommen in der Nachbarschaft“: Snobs im Brennpunkt

Nils Michaelis18. Juni 2021
Zusammenprall: Agenturchef Fred Bartel lernt seine neuen Freunde kennen.
Zusammenprall: Agenturchef Fred Bartel lernt seine neuen Freunde kennen.
Eine hippe Pariser Werbeagentur muss in eine triste Vorstadt umziehen und sortiert sich völlig neu: Mit reichlich Feelgood-Atmosphäre wirbt die französische Filmkomödie „Willkommen in der Nachbarschaft“ für Toleranz.

Der „falsche“ Name, die „falsche“ Hautfarbe oder die „falsche“ Adresse können Menschen die Zukunft verbauen. Ganz unverhofft werden wir mit dieser bitteren Wahrheit in einer Szene konfrontiert, in der sich junge Männer und Frauen um einen Job bewerben. Plötzlich erhält die ansonsten so leichtfüßige Komödie von Mohamed Hamidi, die jetzt digital fürs Heimkino verfügbar ist, eine düstere Note.

Die Szene ruft einem den Berg von ungelösten sozialen Problemen in Erinnerung, die nicht nur, aber gerade französische Vorstädte wie La Courneuve, den Schauplatz dieses Films, plagen. 2005 war der Berg so groß geworden, dass in den Banlieues rund um Paris und im ganzen Land bürgerkriegsartige Zustände herrschten. Der konservative Innenminister Nicolas Sarkozy sprach damals anlässlich der Unruhen von „Gesindel“, das die Behörden „wegkärchern“ müssten. Der Berg ist seitdem kaum kleiner geworden.

Die Bilder vom Aufruhr sind wieder da

Von kollektivem Aufruhr ist „Willkommen in der Nachbarschaft“ weit entfernt, doch die Bilder von damals sind schnell wieder da. Möglicherweise haben auch jene Menschen sie im Kopf, die zu Beginn im Mittelpunkt stehen. Gemeint sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer hippen Werbeagentur. Hals über Kopf müssen sie von ihrem Standort in der Pariser City nach La Courneuve umziehen. Nach einer Steuerprüfung sah sich ihr Chef Fred Bartel zu diesem Schritt gezwungen.

Für die meisten von ihnen ist es wie die Reise in eine unendlich entfernte Galaxie. Doch ihnen bleibt keine Wahl. Sie müssen sich nicht nur mit dem ungewohnten Ambiente von Betonklötzen und bodenständigen Schnellimbissen abfinden. Weil das Gesetz es so will, hält die neue Welt auch im Agenturalltag Einzug, denn Fred muss Beschäftigte aus dem Vorort einstellen. So wird das Personal deutlich diverser.

Wie wird der Zusammenprall der Kulturen und Milieus wohl ausgehen? Jedenfalls anders, als das Publikum denkt. Vor allem, weil Neuzugang Samy die anfangs recht versnobten Pariser*innen mit den Gepflogenheiten dieser Banlieue, wo äußerst selbstbewusste Kriminelle den Ton angeben, vertraut macht.

Brennpunkt mit Wohlfühl-Atmosphäre

„Willkommen in der Nachbarschaft“ steht in der Tradition der geradezu zu einer Marke gewordenen Culture-Clash-Komödien aus Frankreich. Dafür stehen die Situationskomik, manche klischeehaften Charaktere, aber auch die Feelgood-Atmosphäre, die zudem von einem penetranten Score unterstrichen wird. Und doch gibt es Unterschiede zu Blockbustern der Sorte „Monsieur Claude und seine Töchter“. So legt Mohamed Hamidi weniger Wert auf klassisch komödiantische Verwicklungen, temporeiche Dialoge und Pointen im gefühlten Sekundentakt.

Vielmehr nimmt er sich viel Zeit, um vor allem Fred und Samy beim Eintauchen in den neuen Alltag zu beobachten. Gerade beim Blick auf Samy und seine Eltern, die aus Nordafrika stammen, kommt zudem ein Quantum sozialer Realismus hinzu, wenngleich der komödienhafte Zug des Ganzen immer präsent bleibt. Diese Methode wirkt in manchen Momenten unentschlossen, bewahrt den Film aber auch davor, die ohnehin schillernde Szenerie zu sehr zu überzeichnen.

Auf der Suche nach neuen Partnern

Schließlich geht es bei dieser Geschichte um etwas anderes: Ab einem gewissen Punkt können und wollen die „Zugezogenen“ und die „Alteingesessenen“ nicht mehr ohne einander. Schließlich haben sie auf vielerlei Weise gelernt, wie sich voneinander profitieren lässt. Vor allem aber ist Freds Agentur auf neue Partner angewiesen, um einen Großauftrag zu stemmen: Für ihn und sein Team wird die gute Nachbarschaft zur Überlebensfrage.

Dass Mohamed Hamidi, der in der Pariser Vorstadt Saint-Denis aufwuchs, diese Herausforderung in dieser Konstellation einer Gruppe zuschreibt, die mehrheitlich keinem sozialen Brennpunkt entstammt, ist mit Blick auf die Realität eine interessante Pointe. Häufig ist dieses Plädoyer für Gemeinschaft und gegen Vorurteile viel zu weichgezeichnet, doch das tut seiner Relevanz keinen Abbruch.

Info: „Willkommen in der Nachbarschaft“ („Jusqu'ici tout va bien“, Frankreich 2019), ein Film von Mohamed Hamidi, mit  Gilles Lellouche, Malik Bentalha, Sabrina Ouazani, Camille Lou u.a., FSK ab sechs Jahre

https://www.weltkino.de/filme/willkommen-in-der-nachbarschaft

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