
Südlich der Sahara stirbt ein Kind pro Minute an Malaria, heißt es in dem Film „Das Fieber“ von Katharina Weingartner. Von außen betrachtet ein unfassbarer Zustand. Rund um den Victoriasee in Ostafrika, wo die Seuche seit Jahrzehnten wie sonst nirgendwo wütet, ist es trauriger Alltag. Scheinbar stoisch berichtet eine Mutter, wie einst ihr Sohn seinem Ende entgegenging. Dieses erschütternde Selbstzeugnis umschreibt zugleich, woran ein viel größerer Zusammenhang krankt.
Viele von uns haben sich an die Bilder von Not und Elend in Afrika gewöhnt, selbst wenn sie uns für einen kurzen Moment schockieren. In „Das Fieber“ geht es um ein anderes Bild von dem Kontinent. Und auch um andere Bilder. Die österreichische Filmemacherin erzählt davon, wie Menschen in Uganda und Kenia scheinbar übermächtige Feinde bekämpfen: eine Krankheit, die in der Region mehr Opfer gefordert haben soll als sämtliche Kriege und (sonstige) Krankheiten weltweit. Und Strukturen, die auf aus dem Ausland importierte Impfstoffe und Medikamente setzen, die bei vielen Betroffenen niemals ankommen. Weil die meisten Menschen sie nicht bezahlen können und deren Regierungen sie nicht bezahlen wollen, so lässt es sich wohl sagen.
Hoffnung trotz düsterer Prognose
Der Film soll uns angesichts einer drohenden Katastrophe aber auch aus unserer pandemiebedingten Selbstbezogenheit reißen: Laut Verleihinfo könnte die Malaria-Seuche in diesem Jahr rund eine Million Tote auf unserem Nachbarkontinent fordern.
Und doch möchte Weingärtners Film, der bei der DOK Leipzig im vergangenen Jahr seine Premiere feierte, Optimismus und Hoffnung vermitteln. Die Quelle dieses positiven Geistes nennt sich Artemisia annua, auch bekannt als Einjähriger Beifuß. Die Wirkstoffe dieser Pflanze, darunter Artemisinin, machen Malaria-Parasiten den Garaus. Angeblich hat der Vietcong dem aus China stammenden Gewächs den Sieg über die USA zu verdanken. Es wächst fast überall und ist weitaus wirksamer als das aus der Schweiz importierte Medikament Coartem. Und als Ware natürlich auch weitaus günstiger. Warum also bringen die Behörden in Kenia und Uganda nicht einfach Unmengen dieses bitteren Krauts unter die Leute?
Antworten auf diese Fragen liefert der Film reichlich. Wir finden sie unter anderem in den Szenen mit Rehema Namyalo, einer der Protagonist*innen. In ihrer Praxis in Uganda verteilt die Heilpraktikerin Artemisia-Tütchen an die Besucher*innen und berät sie rund um Malaria, und zwar ohne Unterstützung vom Staat. Eines Tages sitzt dort auch die eingangs genannte Mutter.
Namyalo hat sich dem selbstbestimmten Kampf gegen das Massensterben verschrieben. Die Obrigkeit sieht diese Graswurzel-Strategie nicht gern. Namyalos nüchterne Erklärung: „Wenn die Leute sich selbst mit Artemisia behandeln, dann verdient die Regierung keine Steuern, so wie bei importierten Medikamenten. Auf Heilkräuter gibt es nämlich keine Steuern.“
Kritik an Pharmalobby
So ein Tun ist gefährlich. Das schwingt auch bei anderen Hauptpersonen mit, die Weingartner zum Teil über Jahre an verschiedenen Schauplätzen begleitet hat. Zum Beispiel Patrick Ogwang, ebenfalls aus Uganda. Der Pharmakologe hat nachgewiesen, dass Artemisia Millionen von Menschen in Afrika retten könnte – wenn Pharmakonzerne aufhören würden, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter Druck zu setzen und Artemisia-Tee zu verbieten, wie er sagt. Und: „Als ich mit dieser Studie zur Malariaprävention begann, warnten mich viele Leute, dass mein Leben in Gefahr sei.“
Dass tatsächlich ein ungewohntes Bild von Afrika entsteht, liegt nicht zuletzt daran, dass fast ausschließlich Menschen zu hören und zu sehen sind, die aus jener Malaria-Region kommen. Im Großen wie im Kleinen folgen die Erzählung und die Analyse ihrer Perspektive, anstatt wie gewohnt von nordamerikanischen oder europäischen Expert*innen „eingeordnet“ zu werden. Nicht nur mit Blick auf die sozialen Verhältnisse liefert der Film allerdings auch weniger überraschende Eindrücke von einem Erdteil, der ungeachtet diverser Krisenerscheinungen eine gewaltige Bevölkerungsexplosion erlebt.
Dessen ungeachtet unterstreicht die subtile Bildsprache immer wieder die Eigenarten der Szenerie. Und sei es nur ein brodelnder Fluss im Morgendunst. So entsteht ein atmosphärisch dichtes und ästhetisch ambitioniertes Kaleidoskop, das seinen dokumentarischen Kern nur sehr selten außer Acht lässt. Im Sinne von Ausgewogenheit und womöglich auch Dynamik wär es allerdings interessant gewesen, auch jene zu Wort kommen zu lassen, die diesen Krieg gegen Malaria „von unten“ argwöhnisch betrachten.
Das Fieber – der Kampf gegen Malaria (Österreich 2019), ein Film von Katharina Weingartner, Kamera: Siri Klug, mit Rehema Namyalo, Richard Mukabana, Patrick Ogwang, Paul Mwamu u.a., 99 Minuten
Ab 25. April 2021 zum Weltmalariatag im Online-Kino.