
Nein – Die Trennung der europäischen Konservativen EVP und der ungarischen Fidesz war kein Ruhmesblatt. Viel zu lange ließen sich die Christdemokraten gefallen, dass Victor Orbán sie mit ultranationalistischen und Rechtsstaats-feindlichen Positionen vor sich her trieb. Ein gemeinsames „genug ist genug“ war aus der EVP nie zu vernehmen.
Noch am Mittwoch, dem Tag der endgültigen Scheidung erklärte der selbsternannte Brückenbauer Manfred Weber, dass ihn zwar 14 Chefs nationaler Delegationen der EVP zum Rauswurf der Fidesz-Abgeordneten gedrängt hätten, er dieses Ansinnen aber abgelehnt habe. Alles, was die ach so liberalen Christdemokraten selber bewerkstelligen konnten, war die Geschäftsordnung der Fraktion zu ändern. Für weitergehende Aktionen waren sie schlicht zu feige. Den Bruch, den musste Orbán schon selbst vollziehen.
Orbán zeigt den Stinkefinger
Orbán zog seine Gefolgsleute aus der Fraktion zurück – und zeigte dabei den anderen noch einmal klar und deutlich sichtbar den Stinkefinger. Denn er ließ es nicht dabei bewenden, die Schuld für den Abzug auf die „immer weiter nach links rückende Mehrheit der EVP“ abzuwälzen, die „die christlichen Grundwerte“ Europas verrate und verlasse, weshalb er, Victor Orbán, eine neue europäische demokratische Rechte aufbauen werde. Orbán wies zudem seinen derzeitigen Brüsseler Statthalter Tamás Deutsch an, einen Brief an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu schreiben, den die dann auch am Donnerstag in ihrem Mail-Postfach vorfanden.
In dem Brief ließ Orbán erläutern, was diese angeblich „demokratische Rechte“ seien solle, nämlich „Heimat für alle Bürger“, die keine Migranten in ihre Umgebung wollen, die Multikulturalismus ablehnen und auch keine Verbindung in das „geisteskranke LGBTQ-Lager“ wollten.
rassistische oder homophobe Ausfälle
Zur Erinnerung: Tamás Deutsch, Chef der Fidesz-Gruppe im EU-Parlament, ist der Mann, den die EVP tatsächlich im Dezember 2020 ausgeschlossen hat, weil er Manfred Weber mit der Gestapo verglich. Ein Mann, der auch sonst nie um rassistische oder homophobe Ausfälle verlegen ist, Hauptsache sie gefallen seinem großen Boss.
Diesen Deutsch ficht es auch nicht die Bohne an, dass sein Vorgänger Jószef Szájer ebenfalls im Dezember von der Brüsseler Polizei verhaftet wurde, als er während der Corona-bedingten Sperrstunde an einer illegalen Party teilnahm, und bei dem Versuch sich der Polizei zu entziehen, mit Drogen in seinem Rucksack, halbnackt an einer Regenrinne im Brüsseler Regenbogenviertel aufgegriffen wurde.
Warum auch. In Ungarn gibt es Dank der Orbánschen Medienpolitik keine unabhängige Presse mehr, die überhaupt über den Vorfall berichten würde und in Budapest und Umgebung gibt Szajér weiterhin den treusorgenden Familienvater, der jedweden nicht Heterosexuellen als pervers beschimpft.
Viele Bedauers den Abgang von Orbáns Mannen
Wer nun glauben will, alles egal, das Problem habe sich mit dem Abgang von Orbáns Mannen erledigt, der irrt. Und zwar gewaltig. Denn nicht nur der slowenische Ministerpräsident und Trump-Freund Janez Jansa bedauert den Auszug der Fidesz, auch die österreichische Volkspartei von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Sechs der sieben ÖVP Mandatsträger haben bei der Geschäftsordnungsänderung mit Nein gestimmt, um so den Ungarn den Verbleib in der Fraktion zu ermöglichen. Und auch in der CDU/CSU ist die Haltung eben keineswegs eindeutig.
Es gibt Deputierte, die seit langem für den Rausschmiss argumentiert haben. Stimmt. Aber es ist auch nicht Fraktionschef Weber alleine, der das immer wieder verhindert hat, im Gegenteil. Viele Unionsleute haben jahrelang über antieuropäische Ausfälle hinweggesehen, rassistische Sprüche ignoriert und die antidemokratische ungarische Gesetzgebung letztendlich toleriert, nur um Fidesz in der gemeinsamen Fraktion zu halten und damit sicherzustellen, die größte Gruppe im Parlament zu sein.
Sie alle müssen den Abgang von Fidesz als Chance begreifen, ihr eigenes Verhältnis zu den europäischen Grundwerten zu klären. Sonst sind nicht die neuen Freunde von Victor Orbán das Problem, also Matteo Salvini und Jörg Meuthen, die umgehend die Mitgliedschaft in ihrer Fraktion angeboten haben, sondern die alten Freunde.