
Trotz jahrelanger Kämpfe beherrscht das Patriarchat unseren Alltag. Dass wir immer noch in einer männlich strukturierten und dominierten Gesellschaft leben, zeigt sich auf allen Ebenen: Frauen verdienen knapp 21 Prozent weniger. Der Frauenanteil – egal ob in Wissenschaft, Politik oder Wirtschaft – sinkt, sobald es um gesellschaftlich relevante oder leitende Positionen geht.
Von der männlichen zur menschlichen Gesellschaft
Frauen sind immer noch überdurchschnittlich häufig prekär beschäftigt, übernehmen zusätzlich zu einem enorm großen Anteil die reproduktive Arbeit und die Frage nach Lösungen im Bereich von Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss immer noch von Frauen beantwortet werden. Es zeigt sich auch daran, dass vor allem Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt sind.
Als Jungsozialist*innen sind wir dazu angehalten, in unseren politischen Kämpfen ein Gleichgewicht zwischen Theorie und Praxis zu finden und auf dem Weg von der männlichen hin zur menschlichen Gesellschaft der Freien und Gleichen unser feministisches Selbstverständnis stets weiterzuentwickeln.
Frauenbeauftragte reichen nicht mehr aus
Auch in Hochschulen werden die in der Gesellschaft vorherrschenden Geschlechterverhältnisse sichtbar. Es sollte nicht darum gehen, Geschlecht unsichtbar zu machen, sondern die Kategorie an sich aufbrechen und damit verbundene Diskriminierungen zu überwinden. Der feministische Diskurs der vergangenen 30 Jahre bewegte sich nahezu ausschließlich im Bereich postmoderner Ansätze. Deren Fokus bildet Sprachpolitik und der Kampf um Anerkennung verschiedener Identitäten innerhalb der bestehenden Gesellschaftsstruktur. Die Tendenz postmoderner Ansätze und Praktiken zeigt sich auch in hochschulpolitischen Kontexten. Häufig werden Frauen- und Geschlechterforschung gegen alternative Diversity-Konzepte ausgespielt und fallen inhaltlich dahinter zurück.
Frauenbeauftragte und Frauenforschung reichen nicht mehr aus – die Hochschulen haben in den vergangenen Jahren auf Diversity-Management und Gender-Studies umgerüstet. Der aktuelle Trend in der Wissenschaft weicht deutlich von den Ursprüngen der Frauen- und Geschlechterforschung ab und erweitert sein Blickfeld. Dies zeigt sich auch gut an der vorherrschenden Sprachpolitik. Studierendenvertretungen, Fachschaften und Studierendenparlamente kämpfen vielerorts gegen das generische Maskulinum und für gegenderte Studienordnungen und Lehrmaterialien. Dass Sprache Bewusstsein und Sichtbarkeit schaffen kann und somit auch ein wichtiges Instrument zur Sensibilisierung ist, steht außer Frage. Jedoch scheint Sprachpolitik eher die einfachere Antwort auf komplexe Fragen zu sein und wird so leicht zum Ersatz feministischer Themen und Fragen an den Hochschulen.
Das kapitalistische Patriarchat im Fokus des Kampfes
Begriffe wie Patriarchat oder Kapitalismus werden in aktuellen feministischen Strömungen wie beispielsweise bei Laurie Penny oder Margarete Stokowski nur plakativ verwendet anstatt sie zu analysieren. Die materialistische Seite versucht hingegen, Feminismus theorieaffiner und gesellschaftsanalytischer zu begreifen, um das kapitalistische Patriarchat in den Fokus des politischen Kampfes zu rücken.
Die Juso-Hochschulgruppen haben schon 1986 festgehalten, dass Feminismus und Sozialismus nicht mehr voneinander zu trennen sind und eine neue Form der Politik entwickelt werden muss. So hielten bereits in den 1980er-Jahren Jungsozialist*innen an den Hochschulen fest, dass Lehrstühle für Frauenforschung eingerichtet werden sollten, Gremien paritätisch besetzt und Professorinnen quotiert berufen werden sollten. Der weibliche Lebenszusammenhang sollte zum Politikum werden – sowohl in den Studierendenschaften als auch in der Wissenschaft. Die Maxime lautete, die traditionelle Hochschulpolitik im Sinne von Frauen zu verändern.
Es braucht noch viele Jahre
Die Aktualität dieser vermeintlich alten Kämpfe und Forderungen sind exemplarisch für das gesellschaftliche Tempo in Bezug auf feministische und frauenpolitische Errungenschaften. Die Diskussion um den Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch beispielsweise ist längst nicht beendet und die Diskussionen darum haben sogar die Debatte um Abtreibung allgemein wieder auf die Tagesordnung gesetzt.
Längst nicht alle Konflikte, die heute vielleicht rückständig erscheinen, sind ausgefochten. Wir werden auch noch viele Jahre benötigen, um einen gesellschaftlichen Umschwung zu erreichen und Hochschulen sollten ihren Teil dazu beitragen. Hochschulen waren damals und sind aktuell keine Orte der kritischen Wissenschaft. Feminismus scheint durch Diversity-Politik für die Hochschulen erledigt zu sein, während feministische Inhalte in der Forschung unbeachtet bleiben. Dies steht exemplarisch dafür, wie Feminismus zurzeit sein gesellschaftsveränderndes Gesicht verliert und sich lieber in Anerkennungspolitik verzettelt. Unsere Vision ist es, dass Hochschulen Orte des Dialoges werden, um feministische Gegenentwürfe zu entwickeln.
Dieser Beitrag ist auf Grundlage des Kongresses „A woman’s place is in the revolution“ der Juso-Hochschulgruppen im Juni 2019 entstanden und beruht auf einem Antrag des Bundesvorstandes zum feministischen Selbstverständnis. Die Juso-Hochschulgruppen sind der Studierendenverband der SPD und der Jusos in der SPD.