Filmtipp

„Exil“: Wenn Mobbing Integration verhindert

Nils Michaelis21. August 2020
Xhafer (Mišel Matičević) fühlt sich ausgegrenzt.
Xhafer (Mišel Matičević) fühlt sich ausgegrenzt.
Ein aus dem Kosovo stammender Familienvater kämpft gegen einen unsichtbaren Feind. Das beklemmende Drama „Exil“ wirft einen kritischen Blick auf das Einwanderungsland Deutschland, verharrt aber im Ungefähren.

Eine Ehefrau, drei Kinder, ein unauffälliges Vorstadthaus und ein gepflegter Garten: Xhafers strebsames Leben verkörpert so sehr die sogenannte deutsche Mittelschicht, dass man meinen könnte, Regisseur Visar Morina möchte uns eine Karikatur vorführen. Tatsächlich aber plagen den im Kosovo geborenen Pharmaingenieur zunehmend Zweifel, ob er wirklich „dazugehört“. Immer wieder sitzt er in seiner Firma im falschen Konferenzraum, weil er merkwürdigerweise als einziger keine E-Mail empfangen hat.

Als eine tote Ratte an seiner Haustür baumelt, wird ihm klar, dass seine Kolleg*innen das Mobbing auf eine höhere Stufe heben. Schließlich wissen sie, dass er eine Rattenphobie hat. Und lassen sie ihn, der auf mittlerer Führungsebene Projekte betreut, nicht immer wieder spüren, dass sie ihn zwar für kompetent, aber letztlich für exotisch halten? Bewiesen ist damit allerdings nichts. Ist es nur Xhafers Einbildung, die ihm ein System hinter all den Merkwürdigkeiten, Nadelstichen und zunehmend drastischen Eingriffen in seine Privatsphäre vorgaukelt?

Das Vertrauen schwindet

Die Begriffe Identität, Integration und Migration wabern seit Jahren durch öffentliche Debatten. In dem Drama um Xhafer werden sie mit Leben erfüllt. Denn je mehr sich die Krise des Familienvaters zuspitzt, desto mehr stellt er das, was er sich seit der Flucht aus dem Kosovo Ende der 90er-Jahre aufgebaut hat, infrage.

Das gilt auch für sein Familienleben. Auch zuhause sieht Xhafer immer mehr Anzeichen dafür, dass jemand gegen ihn arbeitet – vor allem seine Frau Nora (Sandra Hüller). Kann er dieser energischen „Stimme der Vernunft“, die ihm den Eindruck, wegen seiner Herkunft gemobbt zu werden, auszureden versucht, noch trauen? Eine hochgeklappte Klobrille genügt ihm, um zu vermuten, dass Nora ihn heimlich betrügt. Und die Schwiegermutter habe ihn sowieso noch nie leiden können.

Realität vs. Wahrnehmung

Was Realität ist oder Xhafers Wahrnehmung entspringt, ist in dieser mit Psychothriller-Elementen versetzten Geschichte nur schwer zu ergründen. Das liegt vor allem daran, dass die Handlung der naturgemäß subjektiven Perspektive des Protagonisten folgt. Xhafer ist immer im Bild, auch wenn sein nur vordergründig stoisches Gesicht nicht immer zu sehen ist.

Mit Xhafer bewegen wir uns durch die immergleichen Gänge und Flure des Pharmaunternehmens und seines Eigenheims. Sein Tunnelblick wird zu unserem. Mit ihm wandern wir durch ein Labyrinth aus Emotionen und Stimmungen, die sich der Eindeutigkeit verweigern. Durch einen kafkaesken Stillstand, der im Kontrast steht zum zunehmenden Druck in seinem Innern, den Xhafer nur schwer im Zaum halten kann.

Die angejahrten Gelb- und Grüntöne in dem lieblosen Firmengebäude symbolisieren nicht nur die Patina des alten Westdeutschlands. Die abweisende Ästhetik steht für auch eine eigene Wahrheit, wenn nicht gar für Xhafers Sicht auf eine Umgebung, die sich – wie er sagt – weltoffen gibt, einen Zugewanderten wie ihn dennoch niemals als gleichwertig akzeptieren wird.

Offene Fragen

So gesehen könnte „Exil“ der richtige Film zur richtigen Zeit sein. Visar Morina – der 41-Jährige wurde ebenfalls im Kosovo geboren und kam als Jugendlicher in die Bundesrepublik – berichtet von ähnlichen Fremdheitserfahrungen und sieht sein Werk, das in diesem Jahr bei der Berlinale gezeigt wurde, durchaus als kritischen Kommentar zu ausgrenzenden Mechanismen in Deutschland und anderen westlichen Wohlstandsgesellschaften.

Hauptsächlich aber möchte er vorführen, welche Dynamiken großen Gruppen jeglicher Art innewohnen und wie sich der oder die Einzelne darin zurechtfindet. Vor allem dann, wenn er oder sie sich in einigen – vermeintlich gar nicht so wichtigen – Details vom Rest unterscheidet. Und sei es nur ein rollendes „R“.

Tatsächlich aber lässt der Film endgültige Antworten vermissen. Zwar scheint das Mobbing-Rätsel am Ende gelöst zu sein. Unklar bleibt allerdings, wie es denn nun wirklich um den Rassismus in Xhafers Umgebung steht. Auch auf der Stilebene bleibt einiges im Ungefähren: Vielleicht hätte es „Exil“ gutgetan, wenn Visar Morina das Psychothriller-Genre konsequenter bedient hätte. Andererseits macht gerade der Mangel an Eindeutigem diese bildgewaltige und intensive Inszenierung eines Ausnahmezustands zwischen Angst und Wahn so berührend, wenn nicht gar realistisch.

Info: „Exil“ (Deutschland, Belgien, Kosovo 2020), Buch und Regie: Visar Morina, Kamera: Matteo Cocco, mit Mišel Matičević, Sandra Hüller, Rainer Bock u.a. alamodefilm.de

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