Koalitionsvertrag

Wie europäische Sozialdemokrat*innen auf die Ampel-Koalition reagieren

Jonas Jordan25. November 2021
Olaf Scholz bei der SPE-Konferenz im Sommer in Berlin.
Olaf Scholz bei der SPE-Konferenz im Sommer in Berlin.
Die erfolgreiche Koalitionsbildung in Deutschland sorgt auch im Ausland für Aufsehen. Bei den europäischen Sozialdemokrat*innen erntet die künftige SPD-geführte Ampel-Regierung sehr positive Reaktionen.

Für die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) bedeutet der am Mittwoch vorgestellte Ampel-Koalitionsvertrag „große Nachrichten“. Die Bildung einer progressiven Regierung in Deutschland markiere den Beginn eines neuen Zyklus, für Deutschland und für Europa. „Wir können uns weiter in Richtung sozialer Gerechtigkeit, Respekt, Solidarität und ökologischer Nachhaltigkeit bewegen“, kommentiert die SPE. Deren Generalsekretär ist Achim Post, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen. Für ihn bedeutet das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP die Chance, „in den nächsten Jahren mutigen Fortschritt und starken Zusammenhalt für unser Land zu organisieren – mit Olaf Scholz als Bundeskanzler an der Spitze“.

Auch von Sozialdemokrat*innen im Europaparlament kommen positive Reaktionen. Iratxe Garcia Perez, Vorsitzende der S&D-Fraktion, schreibt von guten Nachrichten aus Deutschland: „Die neue SPD-geführte Fortschrittsregierung tritt auch auf europäischer Ebene dafür ein, dass der ökologische und digitale Wandel sozial ist. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.“

Ihr Vorgänger im Amt, der SPD-Europabeauftragte Udo Bullmann kommentiert die Frage, ob mit dem Abgang Merkels eine Garantin europäischer Stabilität verloren gehe: „Ein oft geäußerter Vorwurf unserer europäischen Partner ist: Deutschland ist ein politischer und ökonomischer Hegemon, der aber immer schweigt. Und wenn er dann mal den Mund aufmacht, sagt er nein. Das ist eine Haltung, die nicht zu Olaf Scholz passt – im Gegenteil.“

Der EU-Abgeordnete Brando Benifei, Delegationsleiter der PD in der S&D-Fraktion, attestiert Olaf Scholz eine gute Arbeit bei der Bildung einer progressiven Koalition. Es gelte, die europäische Soveränität gemeinsam zu stärken. Der PD-Vorsitzende Enrico Letta hebt hervor, dass die Ampel-Koalition das Wahlrecht ab 16 zu ihren programmatischen Prioritäten erklärt hat.

Der Präsident des Europaparlamentes David Sassoli ist mit Blick auf die zahlreichen, gemeinsamen europäischen Aufgaben der Meinung, dass es eine starke und progressive Regierung in Deutschland brauche. Der Zusammenarbeit schaue er mit Vorfreude entgegen, um Europa sozialer und nachhaltiger zu machen sowie Recht und Gesetz zu verteidigen. Der Erste Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans kommentiert die Einigung der Ampelparteien folgendermaßen: „Ein Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit ist gut für Deutschland und Europa. Mit diesem Slogan haben Sozialdemokraten in 2019 gemeinsam EU Wahlkampf geführt und so werden wir unsere Zukunft bilden.“

Für die SPÖ-Partei- und Fraktionsvorsitzende Pamela Rendi-Wagner ist die Ampel-Koalition ein Aufbruch für Deutschland und Europa. „Olaf Scholz steht für Verlässlichkeit mit klarem sozialdemokratischen Profil. Er stellt das Gemeinsame ins Zentrum, verbindet, überwindet Gräben. Darauf kommt es in Zeiten großer gesellschaftlicher Spaltung an“, kommentiert sie auf Twitter.

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Kommentare

Mutiger Fortschritt?

Das kritiklose Abfeiern des Koalitionsvertrages finde ich befremdlich. Sind doch wesentliche sozialdemokratische „Essentials“, aus meiner Sicht mit bewusster Leichtfertigkeit, preisgegeben worden.
Wer die 178 Seiten nicht durchlesen mag, kann eine bei oberflächlichen Journalisten beliebte Methode anwenden und mittels der Suchfunktion zu Ergebnissen kommen.
Beispiel: Emanzipation vs. Digitalisierung 0 : 163
Ist das eine „große Nachricht“ (SPE) oder unerheblich? Zumindest weist es auf den aktuellen Stand der Transformation europäischer Sozialdemokratie hin, wenn aus „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ inzwischen „Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ (Timmermans) geworden sind. Dieser Freiheitbegriff hat die Emanzipation suspendiert, er erschöpft sich in Konsumfreiheit und freiwilliger digitaler Unterwerfung.. Mehr Gleichheit ist steuerpolitisch bereits ausgeschlossen worden. Eine beliebige Nachhaltigkeit verbirgt, dass es um Brüderlichkeit schon lange nicht mehr geht. Alle Menschen werden Brüder? An den Außengrenzen der EU?

Ich bin pessimistisch. Nicht, weil wir mit der FDP koalieren. Sondern weil hier eine Anpassung gefeiert wird, die an Selbstaufgabe grenzt.

Emanzipation war

gestern. Wir müssen den ökologisch (und auch soziologisch) veränderten Realitäten ins Auge sehen.

Mutiger Fortschritt?

Der nachdenkliche und differenzierte Beitrag von Heinz Schneider ist sehr berechtigt.
Fortschrittlich wäre:
' Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Bewahrung der Schöpfung '.

Ich bin pessimistisch, weil mit der FDP koaliert wird. Diese Lindner/Wissing FDP ist nicht die Karl-Hermann-Flach-FDP der 'Freiburger Thesen'. Diese Lindner/Wissing-FDP steht für 'Neoliberalismus zuerst' und: Der Schwanz will mit dem Hund wedeln!
FDP-Lindner hätte als Bundesfinanzminister absolut verhindert werden müssen. FDP-Lindner als Bundesfinanzminister:
Katastrophe. Die sich selbst so bezeichnende Völkerrechtlerin und Transatlantikerin Annalena Baerbook von Bündnis 90/Die Grünen: Katastrophe.