Deutsche Russland-Politik

Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD): Sanktionen gegen Russland wirken

Michael Roth20. Juni 2019
Das Zentrum der russischen Staatsmacht: der Kreml in Moskau, hier mit Blick auf die Kremlmauer (l) und das Lenin-Mausoleum (r)
Das Zentrum der russischen Staatsmacht: der Kreml in Moskau, hier mit Blick auf die Kremlmauer (l) und das Lenin-Mausoleum (r)
Der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, verteidigt die Sanktionen gegen Russland. Dabei gelte: „Ein europäischer Kurs der Geschlossenheit gegenüber Russland ist auf ehrlichen Dialog angewiesen.“ Der Dialog müsse vor allem die Zivilgesellschaft Russlands einbinden.

Mit Russland verbinden uns nicht nur die geographische Nähe, sondern auch vielfältige historische, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen. Beim Blick zurück schauen wir in furchtbare Abgründe wie den Vernichtungskrieg der Nazis im östlichen Europa aber auch auf Höhen verlässlicher Zusammenarbeit in Handel, Kultur und Wissenschaft. Derweil ist das Verhältnis der Europäischen Union und Deutschlands mit dem östlichen Nachbarn schwer belastet. Die „Russland-Frage“ schürt heftige Emotionen. Die Debatte über den richtigen Umgang mit Moskau polarisiert und spaltet. Auch die SPD ringt um den richtigen Kurs, fühlt sie sich doch aus guten Gründen der Entspannungspolitik von Willy Brandt verpflichtet. Schließlich hat das Prinzip „Wandel durch Annäherung“ unsere Welt friedlicher gemacht und einen unverzichtbaren Beitrag zur Einigung Deutschlands und Europas geleistet.

Putin setzt auf Gewalt und Gegnerschaft zum Westen

Präsident Wladimir Putin ist immer öfter bereit, außenpolitische Ziele auch mit Gewalt zu erreichen. Dabei definiert sich Russland immer mehr in Abgrenzung und teilweise in Gegnerschaft zum Westen. An diesen Realitäten müssen wir uns bei unserer Russlandpolitik orientieren. Wer heute über die internationalen Sanktionen reden möchte, muss zunächst dorthin blicken, wo sie ihren Ursprung haben: auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und den gewaltsamen Konflikt in der Ostukraine. Nicht Deutschland alleine, sondern die EU mit weiteren internationalen Partnern haben mit den Sanktionen eine Antwort gegeben. Sie sind ein Signal, dass die EU die russische Aggression gegen die Ukraine nicht tatenlos hinnehmen darf. Wir müssen versuchen, weitere Aggressionen zu verhindern. So haben Sanktionen 2014 maßgeblich zur Deeskalation der Lage im Osten der Ukraine beigetragen. Ihren Abbau hat die EU an klare Bedingungen geknüpft: die Umsetzung der Minsker Vereinbarung von Februar 2015.

In einer der friedlichen Konfliktbeilegung verpflichteten Außenpolitik sind Sanktionen als Bestandteil unseres diplomatischen Instrumentenkastens ein wichtiges Druckmittel, mit dem wir eine Verhaltensänderung der anderen Seite erreichen wollen. Indes gibt es bei Sanktionen selbstverständlich keine Erfolgsgarantie. Zudem wirken sie langfristig, man braucht also einen langen Atem. Voraussetzung für jeden Fortschritt ist die Einigkeit der EU in dieser Frage.  Denn nur so können wir wirksam Druck gegenüber Russland aufbauen.

Sanktionen sollen Moskau zu Verhandlungen bewegen

Die gegen Russland verhängten Sanktionen sind also kein Selbstzweck, keine irrationale Bestrafung. Und sie schließen Dialog und Zusammenarbeit mitnichten aus. Ganz im Gegenteil, sie sollen die Führung in Moskau dazu bewegen, mit uns gemeinsam am Verhandlungstisch wieder an vernünftigen Lösungen zu arbeiten. Dabei verlangen sie einer Reihe von EU-Staaten wirtschaftlich und politisch ungleich mehr ab als Deutschland. Man darf daher zu Recht von uns – als größtem Profiteur eines vereinten Europas – erwarten, dass wir uns an einmütig getroffene Entscheidungen der EU und weiterer Alliierter halten und sie entsprechend vertreten.

Ein europäischer Kurs der Entschlossenheit und Geschlossenheit gegenüber Russland ist auf ehrlichen Dialog angewiesen. Viele internationale Probleme lassen sich nur gemeinsam mit Russland lösen. Dies gilt für den Erhalt und die Stärkung von Rüstungskontrollvereinbarungen, für die Beilegung der Konflikte in der Ukraine und in Syrien, aber auch für globale Bewährungsproben wie die Bekämpfung des Klimawandels. Wir brauchen verlässliche, funktionierende und belastbare Dialogkanäle. Deshalb müssen wir Formate wie den EU-Russland-Gipfel, den NATO-Russland-Rat oder die OSZE wieder stärker beleben.

Dialog auf allen Ebenen bleibt nötig

Die EU und Deutschland haben daher ein strategisches Interesse daran, den politischen Dialog mit Moskau zu pflegen und auf allen Ebenen weiter auszubauen. Nur so ist es möglich, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Dabei ist klar: Der Dialog darf sich nicht allein auf die Repräsentantinnen und Repräsentanten von Staat und Politik beschränken. Wir müssen vor allem bei der Zivilgesellschaft ansetzen. Mir kommt bei der „realpolitischen“ Betrachtung Russlands die innenpolitische Lage von kritischen Geistern, Künstlerinnen, Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten viel zu kurz. Sie verdienen insbesondere von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten konkrete und sichtbare Solidarität. Die aktive Förderung und bessere Zusammenarbeit in Kultur, Wissenschaft, Sport und Medien ist besonders wichtig. Dem Jugendaustausch kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu. Junge Menschen sind die Brückenbauerinnen und Brückenbauer der Zukunft. Politische Differenzen sollten nicht dazu führen, dass sich die Menschen beider Länder entfremden!

Die bipolare Welt aus den Zeiten Willy Brandts und Egon Bahrs ist Geschichte. Eine neue, stabile Weltordnung ist derzeit nicht in Sicht. Die sozialdemokratisch geprägte Ostpolitik wollte das Leben von Menschen spürbar verbessern, war Frieden, Versöhnung und Stabilität verpflichtet. Der Schlüssel zur Lösung drängender Probleme lag damals in der Sowjetunion. Ohne das grüne Licht aus Moskau wären beispielsweise Reiseerleichterungen für Bürgerinnen und Bürger der DDR schlicht nicht möglich gewesen. Diese Entspannungspolitik entsprang dem „Kalten Krieg“ und half, ihn zu überwinden. Den Warschauer Pakt und die Sowjetunion gibt es nicht mehr. Heute müssen wir unsere Ostpolitik neu denken und weiterentwickeln. Das schließt den Umgang mit unserem größten Nachbarn ein, geht aber weit darüber hinaus. Denn zu einer europäischen Ostpolitik des 21. Jahrhunderts gehören eben nicht nur Russland, sondern auch die osteuropäischen Staaten, viele davon waren selbst Teil des Hegemons Sowjetunion oder wurden von ihr beherrscht. Ihre Perzeptionen, Sorgen und Ängste müssen wir ernster nehmen und besser mitdenken, als das in der Vergangenheit der Fall war. Dabei sollte gerade Deutschland eine wichtige Rolle als Brückenbauer und Mittler spielen.   

Mut zu klarer Haltung und deutlichen Worten

Eindimensionale Betrachtungen der „Russland-Frage“ verstellen den Blick auf das Wesentliche: Denn kurzsichtige antirussische Reflexe sind genauso gefährlich wie naives Relativieren oder Verschweigen der aggressiv-nationalistischen Politik der derzeitigen russischen Führung. Wer sich dem außen- und sicherheitspolitischen Erbe Willy Brandts verpflichtet fühlt, der braucht Mut zu klarer Haltung und deutlichen Worten, Ausdauer für den Dialog und unermüdliche Bereitschaft, Europa zusammen zu halten.

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Kommentare

natürlich wirken sie,

und zwar bei den Unternehmen, die zuvor in Russland wirtschaftlich engagiert waren

Und nicht nur da...

Dank der ach so wirksamen Sanktionen seitens EU konnte die USA den Import von russischem Gas um mehr als das Vierfache steigern.
Jetzt noch gemäß Wunsch von Trump und seinen Lakaien Nordstream verhindern und der zu erwartende Energiepreisanstieg Dank umweltschädlichem US-Frackinggas wird ebenfalls "wirken".

So wie sich das bisher darstellt ist die einzige Verhandlung, zu der Russland sich aktuell bereitfindet eine Erhöhung der Gasexporte in Richtung USA.

Ich mag mich falsch erinnern aber es gab schonmal Sanktionen betreffs hydraulischer Komponenten in ein islamisch orientiertes Land. Wenige Wochen später sah man in den Berichten über das "sanktionierte" Land statt Kränen von Liebherr reichlich Baumaschinen von Caterpillar herumwuseln.

Wo genau liegt der Sinn darin, halbwegs funktionierende Beziehungen zu fremden Ländern und letztlich die eigene Wirtschaft gezielt zu Gunsten der USA zu (be)schädigen und diesem dem Verhalten nach uns feindlich gesinnten "Bündnis-und Wertepartner" Marktanteile zu schenken ?

So sieht Entspannungspolitik

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Putin ist böse

Ich will ja die Gewalttaten von "Putin" nicht kleinreden ......
Noch nie habe ich von Sanktionen gegen die USA oder andere aus diesem Dunstkreis gehört, wenn sie die Welt mit Gewalt überzogen. Kann mir jemand sagen wann die Sanktionen gegen die USA wegen der Annexion Hawaiis aufgehoben wurden ? Was ist mit Puerto Rico ? (Kuba hat sich sich selbst befreit) ...Grenada...... und die Zahl der Beispiele wäre lang .... . Wie wäre es denn mal mit einer selbstständigen nichtmilitaristischen Außenpolitik der EU und ihrer Einzelstaaten ? Wer pfeift endlich mal die selbsternannten Pilsudzki-Nachfolger zurück ? .......
und sanktionen treffen nun mal immer die Unschuldigen. 1/2 Million tote Kinder im Irak waren wohl recht um dem USRegime die Treue zu wahren, in Venezuela fehlen Medikamente, genauso wie in Syrien..... . Die Werte des Humanismus und die westlichen werte scheinen mir nicht vereinbar zu sein. Von Palästina darf man ja schon gar nicht mehr reden.

Mut zu klarer Haltung und deutlichen Worten

Ein sehr guter und ausgewogener Beitrag, dem ich in allen Punkten zustimmen kann. Eine klare Haltung und deutliche Worte aber auch die ständige Bereitschaft zum Dialog insbesondere mit der russischen Zivilgesellschaft müssen unsere Haltung bestimmen.

Willy Brandts Erben

Es ist schon erstaunlich, dass man sich bei rein transatlant. Politik noch traut auf Brandt zu verweisen. Zudem wird man hier zensiert, wenn bei der Übertragung der Name nicht vollständig übertragen wird. Kein Wunder, dass meine Partei eine Volkspartei ohne Volk geworden ist. Selbst G. Schroeder hat die enorme Bedeutung Russlands fuer den Frieden und die Sicherheit Europas erkannt, anders Steinmeier, Maaß und Gabriel. Ich glaube, nur noch eine Simone Lange kann die Partei noch retten. Hiergegen werden die unbelehrbaren Seeheimer und die angebliche wahre SPD kaempfen. Der linke Flügel ist tot.

Roth bringt hier das Kunststück fertig

den Westen und Deutschland als die Urheber der Sanktionen (die nichts anderes als ein Mittel der wirtschaftlichen Kriegsführung sind) als Opfer und Russland als Aggressor zu stilisieren.

Um dem Erbe Willy Brandts gerecht zu werden mit Hilfe der von Roth geforderten klaren Haltung: Mit dem eigenen Messer an der Kehle des Gegenüber wird es weder Dialog noch Frieden geben. Die aggressive Nato-Politik als friedensstiftend zu verkaufen ist vollkommen unglaubwürdig. Der Versuch von Roth ist peinlich und soll die Unterwürfigkeit gegenüber dem big-brother USA zu einem Akt sozialdemokratischer Friedenspolitik umdeuten.

A propos: Wenn Roth hier fordert, an den russischen Institutionen vorbei den zivilgesellschaftlichen Dialog mit kritischen Geistern in Russland zu forcieren, wo ist der Unterschied zu den hierzulande breit verurteilten AfD-Kontakten der russischen Regierungsseite?

Genosse Roth muss lernen, dass es der Wille war, sich in seinen Gegenüber hinein zu versetzen und dessen Interessen nicht prinzipiell in Frage zu stellen, der den Erfolg seiner Friedenspolitik ausgemacht hat. Das ist aber natürlich unbequemer und anstrengender als der Kniefall Richtung Nato.

Deutsch-Russische Geschichtsaufarbeitung

Was mir noch fehlt an Ansätzen zur Verbesserung der Verhältnisse, ist eine gemeinsame deutsch-russische Geschichtsaufarbeitung, da auf beiden Seiten noch recht willkürliche Elemente im Geschichtsbewusstsein zu finden sind. Wichtig dabei wäre im besonderen die Zeit unmittelbar vor und die Zeit nach Beendigung des kalten Krieges und die Wünsche und Erwartungen der jeweiligen Seite. Es gab unübersehbar auch Enttäuschungen und Missverständnisse die trotz oder wegen mancher Vertragswerke nicht aufgearbeitet wurden und daher die Grundlage der heutigen Ost/West-Misere sind, die eben nicht erst mit der Krim-Annexion begonnen hat !!!