Die EU-Länder halten mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen zur Beruhigung der Lage dagegen, so zuletzt die britische Regierung mit einer Teilverstaatlichung der acht größten Banken des Landes.
Um einem Verlust des Vertrauens in die Geldinstitute des Landes vorzubeugen, hatte die Bundesregierung zuvor die Sicherheit aller Spar- und Bankguthaben der Bürger in voller Höhe
garantiert. Doch auch nach einem Auftritt der Bundeskanzlerin im Bundestag blieb es einstweilen unklar, wie die Bundesregierung dieses ihr Versprechen im Falle eines Falles praktisch einlösen
will. Mittlerweile sind die EU-Länder in einen Wettlauf um die umfangreichste Einlagensicherung eingetreten, in der Furcht, Gelder über die Grenzen in den sichersten Hafen zum besten
Garantiegeber abfließen zu sehen.
Die 27 Gemeinschaftsstaaten sind im Übrigen übereingekommen, keine große "systemrelevante" Bank pleite gehen zu lassen, doch dies, soweit möglich, mit dem Einsatz ausschließlich nationaler
Mittel. Einen von allen gespeisten gemeinsamen Auffangfonds will insbesondere die deutsche Bundesregierung nicht unterstützen. Hoffentlich bleibt der Gemeinschaft die Nagelprobe erspart, ob
wirklich alle Länder, allein auf sich gestellt, diese Aufgabe stemmen können.
Anhaltende Katastrophenstimmung
Bankenkrise überquert den großen Teich
Eine ganze Reihe drohender, wenn auch zuletzt abgewendeter Bankenzusammenbrüche in Europa hat weltweit Angst und Schrecken an den Börsen verbreitet, - eine Katastrophenstimmung, die bisher
nicht wirklich gebannt ist. Die von den USA ausgehende Bankenkrise ist voll in Europa und mitten in Deutschland angekommen. Mit einem von 35 auf 50 Milliarden aufgestockten Einsatz staatlicher
und privater Gelder musste die deutsche Problembank Hypo Real Estate zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage gerettet werden. Die offenbar seit längerem vollkommen überforderte Leitung der Bank
wurde ausgewechselt. Vielleicht auch würde man mit einer Verstaatlichung besser fahren.
Niemals vorher haben europäische Regierungen mit so großem Aufwand und in so dichter Folge Finanzhäuser vor dem Absaufen retten müssen wie in der zurückliegenden Woche. Dem kleinen Island
droht sogar der Staatsbankrott, weil sich die Banken der Insel mit ihrer aggressiven Ausdehnung im Ausland übernommen haben. Die Währung des Landes hat mittlerweile beinahe die Hälfte ihres
Wertes gegenüber Dollar und Euro eingebüßt. Durch Schaden klug geworden, wollen es die Europäer auf eine Bankenpleite a la Lehman Brothers in ihrem Verantwortungsbereich auf keinen Fall ankommen
lassen: Die Benelux-Bank Fortis, der britische Immobilienfinanzierer Bradford & Bingley, zwei isländische Banken und das französisch-belgische Geldhaus Dexia wurden deshalb alle mit hohen
Einsätzen des Steuerzahlers aufgefangen.
"Wir lernen jeden Tag dazu"
Mit der Annahme eines umfassenden Rettungsplans für die Banken der USA war Washington am Ende der Woche bis an die Grenzen seiner politischen Möglichkeiten gegangen. Dagegen fand die EU
zunächst keinen Weg, der ausufernden Krise auch seines Finanzwesens mit vereinten Kräften zu begegnen. "In dieser Krise lernen wir jeden Tag dazu", formulierte einsichtsvoll die französische
Finanzministerin Christine Lagarde. Doch wird es den jeweils betroffenen europäischen Regierungen sicher schwer fallen, auch einer möglichen zweiten Welle von Schwächeanfällen ihrer Banken ein
weiteres Mal mit nationalen Mitteln zu begegnen. Greift dann in der Bundesrepublik der ominöse "Plan B", von dem der deutsche Finanzminister bisher nur sybillinisch gesprochen hat?
Die Beschlüsse des amerikanischen Kongresses machen es weniger wahrscheinlich, dass die Pleite einer US-Bank europäische Geldhäuser mit in die Tiefe zieht. Doch sind die Bilanzen auch der
Letzteren nach wie vor mit US-Immobilien-Schrottpapieren beschwert, die ihren Weg zurück zu den amerikanischen Urhebern der Misere finden müssten. Bis dahin wäre es gut, wenn die europäischen
Banken die zur Zeit unverkäuflichen, aber doch längst nicht völlig wertlosen US-Hypotheken nicht unverzüglich bis auf Null abschreiben müssten. Die EU-Kommission soll mit diesem Ziel einen
Vorschlag zur Veränderung der Bilanzrichtlinien machen, der sogar rückwirkend für das dritte Quartal gelten soll.
Ärgernis Irland
Die deutsche Bundesregierung verspürt begreiflicher Weise wenig Neigung, sich für die zurückliegenden finanziellen Exzesse von Partnern mit in Haftung nehmen zu lassen. Warum sollte sie
beispielsweise dem Steuerparadies Irland beistehen, das mit einer lächerlich niedrigen Gewinnsteuer von 12,5 Prozent und einer bekannt laschen Finanzaufsicht hunderte von Bankniederlassungen nach
Dublin gelockt hat?
Dort hat auch die Hypo-Real-Tochter Depfa frei ihrer Risikofreude frönen können, die jetzt der deutsche Staat mit einer Milliardenbürgschaft heraushauen muss. In eben diesem nebligen
irischen Abseits hatten vorher schon spekulative Ableger der IKB und der SachenLB, unbehelligt von jeglicher Bankenaufsicht, viele Milliarden zu Lasten des deutschen Steuerzahlers in den Sand
gesetzt.
Den deutschen Finanzminister kostet die Banken-Freistatt Irland weit mehr als die kleine Steuerfluchtburg Liechtenstein. Es ist freilich ein offenkundiges Versagen der deutschen
Finanzaufsicht, dass sie die irischen Leichenkeller hiesiger Banken nicht rechtzeitig aufgespürt hat.
Die Regierung in Dublin sah den nationalen Finanzsektor offenbar bereits derart in der Bredouille, dass sie als erste und bisher einzige die Sicherheit aller Einlagen und Verbindlichkeiten
der Banken des eigenen Landes garantiert hat. Dafür setzen die Iren mit 400 Millionen Euro das Doppelte des jährlichen irischen Sozialproduktes ein.
Ein gemeinsames Auffangnetz für die EU?
Ernstzunehmende Stimmen sprechen sich - auch wegen dieses Gegen- und Durcheinanders - dafür aus, ein gemeinsames Auffangnetz für taumelnde Finanzinstitute der EU aufzuspannen. So etwas
braucht die Gemeinschaft besser früher als später. Doch dafür müssen Vorbedingungen erfüllt sein. Die Deutschen möchten nicht für das freie Artistentum waghalsiger Finanzakrobaten aufkommen, an
dem die Briten so lange eisern festgehalten haben. - Alle, die dem Finanzsystem mit ihren Operationen gefährlich werden können - also auch Hedge-,Geldmarkt- und Investmentfonds,
Private-Equity-Unternehmen und Kreditversicherer - müssen den gleichen strengen Kontrollen unterworfen werden.
Mindestens 20 Prozent der Kredite, die sie herausgeben, sollten die EU-Banken in ihren Büchern behalten, damit sie die Folgen eines freizügigen Geldverleihens selber verlustreich zu spüren
bekommen. Bei einem geringen Selbstbehalt von beispielsweise nur fünf Prozent ließe sich das Schwarze-Peter-Spiel der versteckten Weitergabe fauler Kredite relativ schmerzfrei weiterspielen, das
die Banken diesseits und jenseits des Atlantiks so verhängnisvoll miteinander verkettet. Die fehlende einheitliche Regulierung des Finanzsektors ist die große Achillesferse im Finanzgefüge des
Euroraums. Bis dieses Manko behoben ist, müssen die europäischen Finanzminister als Nothelfer der Banken notgedrungen improvisieren.
Abschreckende Lehman-Pleite
Zu viele Bank- und Fondsmanager haben übermütig ein zu großes Rad gedreht, und nun soll der Staat in die Speichen greifen, bevor der Karren in den Abgrund fährt. Und dieser Karren reißt im
Ernstfall viele mit. Einschließlich der letzten, sträflich dümmlichen Überweisung von 319 Millionen Euro durch die KfW an die Lehman-Brüder hat der Zusammenbruch der New Yorker Investmentbank die
deutsche Finanzbranche mehrere Milliarden gekostet. Ihren ganzen Einsatz von jeweils 10.000 Euro und mehr aber haben wahrscheinlich die fünftausend Privatanleger verloren, die allein bei meiner
Frankfurter Sparkasse - vermutlich mehrheitlich ahnungslos-gutgläubig - Lehman-Papiere erworben haben.
Für die Geschädigten, aber noch mehr für die medialen Anwälte eines schrankenlosen Kasino-Kapitalismus bricht eine Welt zusammen. Selbst im Angesicht der größten finanziellen Exzesse hatten
die letzteren noch den Glauben an die alles ordnende unsichtbare Hand des Marktes verbreitet. Folgerichtig plädieren einige noch Unbelehrte unter ihnen die Not leidenden Banken mit ihren
brennenden Problemen sich selbst zu überlassen.
Die Krise als Chance
Doch welche Feuerwehr fragt, ehe sie zu löschen beginnt, ob in einem Haus mit Streichhölzern gespielt wurde, geht es doch auch darum, ein Übergreifen des Feuers auf die Nachbarschaft zu
verhindern. Aus vielen großen Brandschäden klug geworden, haben die Behörden hierzulande die Brandschutzvorschriften Zug um Zug verschärft: Rauchmelder, Sprinkleranlagen, Feuerlöscher und sichere
Fluchtwege sind heute ein Muss in öffentlichen Gebäuden. Man mag sich nicht vorstellen, dass die Finanzbranche nach ihrem bisher größten Nachkriegsversagen noch einmal soviel brennbaren Zunder
anhäufen darf!
Die Finanzjongleure, die zu viele Tellerauf einmal in der Luft halten wollten, stehen vor einem Scherbenhaufen. Die von ihnen ausgelöste Finanzkrise bringt Millionen von Menschen um ihr
Vermögen, lastet schwer auf den öffentlichen Haushalten und setzt am nun bereits sichtbaren bösen Ende einen allgemeinen wirtschaftlichen Abschwung in Gang. Wem das nicht reicht, die dafür
Verantwortlichen an die ganz kurze Leine zu nehmen, dem ist nicht mehr zu helfen. Von einer nun möglichen "Rückkehr der Politik in die Gestaltung der Globalisierung" kann man reden, darf aber
dabei nicht stehen bleiben: auch dieses Eisen lässt sich nur schmieden, solange es heiß ist.