Kopenhagen 2009

Europa muss handeln - notfalls allein

Kai Niebert18. Dezember 2009

Doch was, wenn der Gipfel wirklich scheitert? Was, wenn sich die Welt nicht auf ein neues Klimaabkommen einigen kann? Dann muss Europas Wirtschaft auch ohne den Rest der Welt ergrünen. Und
zwar in eigenem Interesse.

Die Zeit wird knapp

Veränderungen des Klimas verlaufen langsam. Man muss schon genau hinsehen, um Zeichen des Wandels wahrnehmen zu können. Und wer genau hinsieht, entdeckt erstaunliches: Obwohl sich die Erde
mittlerweile schon um 0,9 Grad erwärmt hat - immerhin nahezu die Hälfte dessen, was von Wissenschaft und Politik als verkraftbar angesehen wird - haben sich die Ökosysteme nicht dramatisch
verändert. Die Erde hat einen Großteil der Erwärmung einfach puffern können.

Doch seit ein paar Jahren sind die Zeichen nun eindeutig: Der Eisschild der Arktis wird von Jahr zu Jahr kleiner, die Gletscher in sämtlichen Gebirgen der Erde schmelzen in rasantem Tempo, der
Meeresspiegel steigt an - besonders stark übrigens an der Nordsee -, Regenfälle in Ostafrika bleiben entweder vollständig aus oder kommen mit einer Wucht, die das Land überschwemmt und auch der
Frühling in Mitteleuropa beginnt von Jahr zu Jahr früher. Die Liste ließe sich fortsetzen, klar ist aber: Der Klimawandel hat längst begonnen. Die Puffer der Erde haben ihre Kapazität nahezu
aufgebraucht. Der Klimawandel wird die Erde verändern.

Klimawandel im Schlussverkauf

Was, wenn am Ende doch eine ambitionierte Einigung auf eine globale Senkung der CO2-Emissionen in Kopenhagen zustande kommt? Wäre das wirklich schon der große Schritt, der notwendig ist, um
die Welt vor Klimakatastropen, Dürren und Klimakriegen zu bewahren? Nein, es wäre die Ankündigung diesen Schritt zu gehen.

Immerhin: Bisher liegen in Kopenhagen Angebote auf dem Tisch, die dazu beitragen können, die globale Erwärmung auf 3,5 Grad zu begrenzen. Auf diesen Wert kommen Experten des Potsdam-Insituts
für Klimafolgenforschung (PIK) und des Beratungsunternehmens Ecofys, wenn die jetzigen Angebote der einzelnen Staaten Wirklichkeit würden. Das ist immerhin weniger als jene bis zu sieben Grad
Celsius, die Klimaforscher bis zum Ende eines Jahrhunderts ohne nennenswerten Klimaschutz erwarten.

Aber es ist eben auch deutlich mehr als die zwei Grad Celsius, die der Weltklimarat IPCC für die maximal verkraftbare Temperaturerhöhung bis Ende des Jahrhunderts hält. Im Klartext: Die
gegenwärtigen Angebote zur Minderung des Treibhausgas-Ausstoßes reichen noch längst nicht aus. Und noch keines davon ist umgesetzt. Das Kyoto-Protokoll hat es deutlich gezeigt: Ambitionierte
Ziele sind wichtig, aber man muss sie auch einhalten. Ein Großteil der Staaten hat nicht einmal annähernd seine Ziele erreicht.

Das Problem ist politisch, nicht technisch

Würden wir Sonnenenergie, Windkraft, Erdwärme und Wasserkraft vernünftig ausnutzen, könnten wir die 200-fache Menge an Strom produzieren, wie gegenwärtig weltweit verbraucht wird. Heute stehen
wir - trotz eines beispiellosen Aufschwungs bei den Erneuerbaren Energien in den letzten Jahren - bei 0,09 Prozent dessen was möglich ist.

Folgt man den beiden Forschern Mark Jacobson und Mark Delucchi, die ihre gefeierte Arbeit im renommierten Scientific American publiziert haben, ließe sich weltweit die Energieversorgung mit
rund 1,7 Milliarden Photovoltaikanlagen auf Hausdächern, 3,8 Millionen Windturbinen und 49.000 solarthermischen Kraftwerken komplett CO2-frei gestalten. Hinzu kämen intelligente Stromnetze, die
ganze Kontinente vernetzen. Zumindest auf dem Reißbrett wäre die Welt also zu retten.

Doch wie sieht es mit der Umsetzung in die Praxis aus? Sicher, das ist eine technische Herausforderung. Aber unmöglich ist es nicht: Heute werden jährlich 73 Millionen Autos produziert. Immer,
wenn es nötig war hat diese Zivilisation neue Hochtechnologien gefunden und verbreitet. Jacobson und Delucchi glauben, dass die weltweite Energiewende sogar im Eiltempo vollzogen werden könnte.
Dann könnten wir nicht erst im Jahr 2050 ergrünen, sondern schon 2030.

Die Herausforderung ist nicht in erster Linie eine technologische, sondern eine politische. Die IEA errechnete den Peak Oil, also das Fördermaximum für Erdöl vor Kurzem für das Jahr 2020. Bis
dahin wäre es also noch möglich, die Verfeuerung fossiler Energieträger zu steigern. Sicher, teurer würde es von Jahr zu Jahr. Möglich wäre es aber. Im Erdboden lagert darüber hinaus noch genug
Kohle, um weitere 200 Jahre lang Kohlekraftwerke im großen Stil zu betreiben. In den Böden lauert somit noch ein großes Potential um die Erde in eine globale Sauna zu verwandeln. Das Problem ist
somit nicht, dass wir nicht mehr genügend fossile Energieträger hätten, sondern, dass die globale CO2-Müllhalde Atmosphäre bereits heute überlastet ist. Und uns das zunehmend spüren lässt.

CO2 kostet Geld

Das ist zum Beispiel daran zu merken, dass die durch die Verbrennung entstehenden Schäden immer größer werden. Als Klimagas sorgt CO2 für die Erwärmung und somit für Hitzetote, steigende
Meeresspiegel, häufigere Überflutungen flussnaher Städte, Einbrüchen in der Trinkwasserversorgung durch Gletscher usw. Die Liste ist lang, und sie wird von Jahr zu Jahr, in dem wir nicht handeln
länger. Das alles ist nicht nur tragisch. Es kostet auch Geld. Das Umweltbundesamt (UBA) schätzt die sozialen Kosten einer Tonne ausgestoßenem CO2 auf etwa 70 bis 100 Euro. Diese Kosten trägt
zurzeit nicht derjenige, der sie verursacht, sondern alle.

Egal, ob sie sich klimabewusst verhalten oder mit Autos ähnlich eines Vorstadtpanzers einkaufen fahren. Was wir also als politisches Instrument brauchen, ist ein System, das Kohlenstoff einen
angemessenen Preis gibt. Das Ergrünen der Weltwirtschaft zu schaffen wird so zu einer politischen Herausforderung: Ohne einen globalen Kohlenstoffmarkt lässt sich die Erderwärmung nicht im Zaum
halte.

Erst wenn wir für den Schaden, den wir anrichten zahlen müssen, wird die Herausforderung greifbar und ein Handlungsdruck entsteht. Wenn eine erfolgreiche Klimapolitik Erfolg haben will, müssen
die Politiker der Energiewirtschaft und den Energieverbrauchern sehr viel zumuten.

Deutschland muss Handeln - mit oder ohne den Rest der Welt

Sicher, alleine wird Deutschland das Klima nicht retten können. Ohne den Rest der Welt wird die Erwärmung weder auf zwei noch auf 3,5 Grad zu begrenzen sein. Sollte Deutschland wirklich den
Alleingang wagen? Sollte Deutschland sich durch strenge Regeln und hohe Forschungsetats in die Gefahr begeben von der globalen Werkbank angehängt zu werden und dadurch Arbeitsplätze zu gefährden,
wie es Metro-Chef Eckhard Cordes kürzlich befürchtete? Es sollte nicht, es muss. Denn Deutschland hat künftig auf dem globalen Markt nur, wenn es seine Vorsprung in Effizienztechnologie und
Erneuerbaren Energieträgern ausbaut.

In Kopenhagen verfestigt sich der Eindruck, dass die großen Schwellenländer zunehmend Interessenlagen entwickeln, die denen der Industrieländer ähneln. Die Spannungen auch innerhalb der als
Entwicklungsländer nehmen zu, da man auch dort endlich zu Wohlstand kommen will - und zwar auf schnellstem Wege. Wer will es ihnen verübeln? Den sich dadurch ankündigenden Klima- schlimmer aber
noch den Rohstoffkollaps können wir nur verhindern, wenn wir zeigen, dass Wohlstand und Klimaschutz nicht nur miteinander vereinbar sind, sondern sich bedingen. Deutschland muss zeigen, dass sich
mit Klimaschutz Geld verdienen und der Sozialstaat sichern lässt.

Europa hat nur eine Chance

Deutschland und Europa werden sich künftig auf dem Weltmarkt nur bewähren können, wenn sie bereit sind, sich neuen Herausforderungen mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu widmen. Natürlich
werden wir alleine das Klima nicht retten können. Aber wie will Europa in einer globalisierten Welt am Markt bestehen, wenn es in einem überholten Wirtschaften hängen bleibt und andere über kurz
oder lang den Weg in die Effizienzwirtschaft nehmen. China wird immer günstiger produzieren können als Europa. Europa hat nur eine Chance am Markt, wenn es Effizienzweltmeister wird.

Nur wenn wir zeigen, dass wir auch nahezu aus dem Nichts an Rohstoffen herausragende Produkte herstellen können, werden wir langfristig eine Chance haben. Europa muss durch eine
innovationsfreundliche Umwelt- und Klimaschutzpolitik dazu beitragen, dass europäische Unternehmen ihre Technologieführerschaft behalten oder gewinnen. Das heißt aber auch, dass Richtlinien
streng genug sein müssen, um den notwendigen Innovationsdruck aufzubauen. Natürlich, überfordern dürfen wir die Unternehmen auch nicht.

Vielmehr müssen sie durch Effizienznetzwerke, Benchmarks und Anreizsysteme unterstützt werden. Meist war es der Würgegriff des Shareholder Value, der die Unternehmensführung überfordert hat,
nicht die Technik. Von technologischen Herausforderungen waren deutsche Unternehmen mit ihren Ingenieuren selten überlastet. Was Unternehmen brauchen ist vor allemeines: Planbarkeit.

Wenn ich heute weiß, dass ich in zehn Jahren meinen CO2-Ausstoß um 50 Prozent reduziert haben muss, kann ich auch jetzt - betriebswirtschaftlich sinnvoll - Investitionen tätigen, um dieses
Ziel zu erreichen. Hierfür brauchen vor allem Bildung, Motivation und eine starke Politik.

Eine starke Politik für ein kühles Klima

Grüne Technologien werden im 21. Jahrhundert auf vielen Märkten eine Schlüsselrolle spielen. Gerade auch auf den "klassischen" Märkten - zum Beispiel beim Automobilbau - gewinnt der Einsatz
solcher Techniken immer mehr an Bedeutung und entscheidet wesentlich über die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Das Weltmarktvolumen der grünen Zukunftsmärkte wird sich nach einer Studie der
Unternehmensberatung Roland Berger von 1.000 Milliarde Euro im Jahr 2005 auf 2.200 Milliarde Euro im Jahr 2020 mehr als verdoppeln.

Von dem dynamischen Wachstum der grünen Zukunftsmärkte auf globaler Ebene kann besonders die deutsche Umweltindustrie kräftig profitieren, denn sie besitzt - noch - auf vielen Märkten eine
starke Position im internationalen Wettbewerb. Gegenwärtig halten deutsche Unternehmen bei den einzelnen Zukunftsmärkten Weltmarktanteile zwischen 5 und 30 Prozent. Doch das droht zu kippen.
Angetrieben von der klimafreundlich-grün redenden, aber leider kohlenstoff-schwarz handelnden Klimakanzlerin investieren viele Firmen mittlerweile lieber in ihre PR-Abteilungen statt in ihr
Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und versuchen mit Greenwashing-Kampagnen ihr Kerngeschäft sauber zu waschen.

Deutsche Wirtschaft könnte besonders profitieren

Die Autokonzerne, allen voran BMW und Daimler haben 2008 massiv Lobbyarbeit gegen die von der EU geplanten CO2-Richtlinien gemacht, weil es die Unternehmen selbst nicht schaffen, diese
Klimaziele einzuhalten. Ähnliches ist derzeit im Bausektor zu beobachten: Bisher lehnt die Bundesregierung zentrale Maßnahmen ab, die die Sanierung von ineffizienten Gebäuden voranbringen
könnten. Sie will keine Ziele für den Ausbau von Niedrig- und Nullenergiehäusern im Gebäudebestand, keine finanziellen Anreize und auch keine verbindliche Vorreiterrolle für den öffentlichen
Sektor. Dabei könnte die deutsche Wirtschaft Marktführer bei grünen Technologien von mehr Energieeffizienz in den Nachbarländern besonders profitieren.

Und trotzdem fährt Schein-Klimakanzlerin Merkel nach Kopenhagen und legt ihr Klimalächeln auf. Mittlerweile ist das Schlimmste für das Klimaabkommen zu befürchten: Die Staats- und
Regierungschefs werden in Kopenhagen vor allem auf den grünen Anstrich eines möglichen Abkommens achten und dabei Inhalte vernachlässigen. Das Ergebnis wird als gut verkündet werden - egal welche
Substanz es hat.

Politik darf in solch einer ernsthaften Krise nicht ziellos in die Zukunft eiern. Da hilft es auch nichts, wenn die selbstgekürte Klimakanzlerin diese Eier grün anmalt. Zur Not sollte sie sich
ihr Vorbild zu Rate ziehen: Wichtig ist, was hinten raus kommt. Und das darf eben kein CO2 sein. Auch nicht, wenn es vorher von der Klimakanzlerin grün angemalt wurde.

Kai Niebert arbeitet an der Leibniz Universität Hannover. Er entwickelt dort theoretisch und empirisch fundierte Strategien zur Vermittlung des Klimawandels. Daneben gehört er
dem Präsidium des Deutschen Naturschutzrings (DNR) an.
Vor kurzem ist von ihm in Zusammenarbeit mit Michael Müller das
Buch "Epochenwechsel: Plädoyer für einen grünen New Deal" erschienen.

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