8. Mai 1945

Europa gedenkt des Kriegsendes

Jörg Hafkemeyer30. April 2015
Ein knappes Menschenleben danach ist der Tag unauslöschbar, nicht zu vergessen: der 8. Mai 1945. Das Endes Krieges. Das Ende der Nazi – Diktatur. Die Täter wollten es nicht wahrhaben. Die Überlebenden unter den Opfern konnten es nicht glauben.

Die Orte der Verbrechen sind bis heute zu besichtigen und es scheint so, als werde die Fassungslosigkeit immer grösser, je weiter die Zeit zwischen 1933 und 1945 zurück liegt. Diese Orte sind überall in Europa. In Frankreich wie in Polen, wie auf der Krim. Sie flössen Schrecken ein und Wut. Noch heute. Nach sieben Jahrzehnten.

Erinnerung im Elsass

Jörg Hafkemeyer hat einige von ihnen aufgesucht. Die Strasse führt durch ein herrliches, dichtes Waldgebiet im Elsass. Die Bäume werfen im Sonnenlicht lange Schatten und unterhalb der Strasse, an einem Berghang gelegen, sind grünliche Dächer zu sehen; eine Jugendherberge?  Eine fast perfekte Täuschung. In diese so friedlich scheinende Landschaft haben die Nationalsozialisten das KZ Struthof gebaut.  Vor allem Sinti und Roma wurden hier eingesperrt, umgebracht. In Gaskammern. Wer durch die Barackenreihen den Hang hinab zu ihnen geht – und der Weg führt unweigerlich zu ihnen - kriegt es noch heute mit der Angst. Die Gesichter der internationalen Besucher erstarren. Werden blass. Viele wenden sich ab, können nicht mehr weiter gehen, hocken sich hin oder gehen einfach weg. Das frühere Konzentrationslager ist ein ganz stiller Ort. Der ehemalige konservative französische Präsident Jacques Chirac hat ihn zu einer Stätte des nationalen Gedenkens gemacht. In einer Gegend, in der 70 Jahre nach dem Endes des Nationalsozialismus viele, sehr viele Franzosen den Front National wählen und ausgeprägt feindlich auf Sinti und Roma reagieren.

Es ist 75 Jahre her. September 1940. Das KZ Auschwitz liegt im Südosten Polens. Eine knappe Autostunde von Krakau entfernt. Ein junger Mann wird eingeliefert mit der Häftlingsnummer 4427:Wladyslaw Bartoszewski. 18 Jahre alt. Viereinhalb Jahre vor Kriegsende. Bartoszewski hat Glück. Nach nur sechs Monaten kommt er wieder raus. Das Rote Kreuz hat sich für ihn eingesetzt. Er schliesst sich dem polnischen Widerstand an. Er überlebt das KZ. Er überlebt die Kämpfe gegen die deutsche Wehrmacht in Polen, er überlebte den Widerstand gegen das kommunistische System in Polen als Mitglied der Solidarnosc – Bewegung, er wurde Aussenminister im neuen, demokratischen Polen und ist jetzt, mit 93 Jahren, gestorben. 70 Jahre nach 1945. Ein polnischer Patriot.

Das Grauen in Polen

Roma Ligocka ist das auch. Sie hat das Ghetto in Krakau überlebt mit ihrer Mutter. Hat darüber geschrieben, gemalt. Sie ist in der Stadt an der Weichsel eine bekannte Frau, die nicht mehr gerne durch die Strassen des einstigen Ghettos unterhalb der Altstadt auf der anderen Seite des Flusses geht. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen. Die beginnen auf dem grossen Platz am Eingang. Hohe, leere Stühle stehen dort. Sie erinnern an die Toten, die Ermordeten. Links ist die Apotheke. Seit Jahren ist sie ein Museum. Sie erinnert an die im Ghetto eingepferchten Menschen. Sie erinnert aber auch an einen Mann, an den katholischen Eigentümer, der sich von der SS nicht vertreiben liess, blieb und den polnischen Juden half. Er besorgte ihnen heimlich Zyankali, für den Fall, dass sie sich umbringen wollten, bevor sie ins KZ kamen. Roma Ligockas Mutter trug immer das Gift in einer Brosche bei sich. Das Ghetto ist grau. So wie Krakau meistens grau ist, weil es meistens regnet oder neblig ist. Niedrige, einstöckige Häuser. Gehäkelte Gardinen, Geranien in den kleinen Fenstern. Ein Kohlegeruch hängt über den Gassen. Menschen sind kaum auf den kopfsteingepflasterten Strassen.

Die Stille ist bestürzend. Kein Lachen. Keine Musik. Sieben Jahrzehnte nachdem die Wehrmacht, die SS und ihre unverbesserlichen Anhänger vor den anrückenden , überwiegend ukrainischen Truppen geflohen waren. Es ist ein Ort des Schweigens und des Gedenkens von einer bedrückenden Intensität.

Schwieriges Gedenken auf der Krim

So ein Ort ist Saprun. Das liegt oberhalb von Sewastopol. Der grossen Hafenstadt der Krim. Saprun ist ein sehr spezieller Ort des Gedenkens. Nicht an die lange und harte Belagerung der Stadt in der Mitte des 19. Jahrhunderts über die Tolstoi geschrieben hat, nicht an die russische Revolution und auch nicht an den ersten Weltkrieg. Saprun erinnert mit seinem hohen Mahnmal an die Opfer der deutschen Wehrmacht und der SS, die mit unvorstellbarer Brutalität über die Krim und ihre Menschen hergefallen sind, Sewastopol für kurze Zeit erobert haben, ein Schreckensregiment errichteten. Hinter der vorrückenden Wehrmacht fuhren mobile Gaswagen her. Alle, die die Nazis für Zigeuner, Partisanen oder für Juden hielten, wurden vorne lebend hinein geschoben und hinten tot wieder hinaus geworfen.

Am 8. Mai 2005, vor zehn Jahren, kommt es zu einer Zeremonie in Saprun vor dem Mahnmal, die es vorher nie gegeben hat und die es voraussichtlich sobald nicht wieder geben wird. Ukrainische Soldaten sind aufmarschiert. Eine Ehrenformation. Deutsche Marinesoldaten sind angetreten. Erstmalig haben deutsche Kriegsschiffe nach dem 2. Weltkrieg Sewastopol besucht. Die ukrainische wie die deutsche Nationalhymne werden gespielt. Die Soldaten paradieren an dem Mahnmal vorbei, rücken ab. Im Mahnmal ist ein kleiner, verdeckter Lautsprecher. Ein paar Takte Musik  erklingen von tiefer Traurigkeit. Dann ist es still und friedlich in diesen Mittagsstunden. Die vielen Besucher bleiben stehen, verneigen sich. Zehn Jahre ist das her, wie gesagt. Die Krim ist nicht mehr ukrainisch. Russland hat sie sich militärisch zurück erobert.

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