
Wenn sich die Außenminister der EU-Staaten am Montag in Brüssel treffen – zum ersten Mal seit Covid wieder persönlich - haben sie ein strammes Programm mit gewichtigen Themen zu besprechen. Es geht um die Beziehungen der EU zu Russland im Licht der Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny; es geht um die Beziehung der Staatengemeinschaft zu China und um die anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Libyen, sowie um Sanktionen gegen Waffenschmuggler in das nordafrikanische Krisengebiet. Die Minister suchen zudem nach einer gemeinsamen Haltung im sich täglich verschärfenden Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland und Zypern, um die Hoheitsgebiete im östlichen Mittelmeer.
Keine Beschlüsse zu Lukaschenko
Als wäre das nicht schon genug Zündstoff, haben die Minister sich zuvor mit der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja zum Arbeitsfrühstück getroffen. Die 38-Jährige hat dabei über die Ereignisse in ihrem Land informiert. Wohlgemerkt: informiert – mehr nicht! Keine weiteren Beschlüsse, auch keine schärferen Sanktionen gegen die Regierung des Alexander Lukaschenko, nicht einmal die bereits beschlossenen konnten in Kraft gesetzt werden. Und das, obwohl Einigkeit darüber herrscht, dass der Diktator die Wahlen Anfang August grob gefälscht hat. Dass er danach die täglich in großer Zahl demonstrierende Oppositionsbewegung brutal zusammenknüppeln und ihre Führungsfiguren wie Swetlana Tichanowskaja außer Landes treiben oder verhaften lässt, wie auch weitere zehntausend Gegner.
Ja, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat erklärt: „Wir sind wirklich beeindruckt von dem Mut und dem Durchhaltevermögen der Menschen in Belarus“. Vor allem die Frauen in dem Land zeigten echte Führungsstärke – aber das war dann eben auch Alles von Seiten der EU! Und das liegt nicht daran, dass Putins Russland schon den Empfang von Frau Tichanowskaja scharf kritisiert hat als Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Belarus.
Gefährliche Provokation der Türkei
Das Problem ist vielmehr, das Zypern sein Veto angekündigt hat und zwar gegen sämtliche heute zu fassenden Beschlüsse. Der Inselstaat will so erzwingen, dass die anderen EU-Mitglieder sich der Forderung nach Sanktionen gegen die Türkei anschließen. Hintergrund sind die fortgesetzten Probebohrungen türkischer Schiffe im Seegebiet zwischen Zypern und den der türkischen Küste vorgelagerten griechischen Inseln. Präsident Erdogan provoziert zusätzlich dadurch, die Forschungsschiffe mit massiver Militärpräsenz abzusichern. Mit voller Absicht riskiert er dabei eine hochgefährliche Zuspitzung des Konflikts, gar militärische Auseinandersetzungen. Und das zwischen Staaten, die beide Mitglied der NATO sind. Oder vielleicht genau deswegen. Im „Vertrauen“ des brutalen Machtpolitikers darauf, dass die andere Seite schon nicht ebenso idiotisch reagieren wird, wie man es seinerseits selbst androht.
Zyperns Außenminister Christodoulides hat Recht, wenn er seinen Kollegen vorhält, es könne keine „Reaktion à la carte“ geben. Entweder ist die Staatengemeinschaft gewillt und bereit, Zwangsmittel zur Durchsetzung der eigenen politischen Haltung einzusetzen oder eben nicht. Wenn man das aber für geboten hält, dann kann man nicht zweierlei Maß anlegen, dann gilt das gegenüber Belarus und gegenüber der Türkei.
Veto-Drohungen schaden nur
Genauso deutlich muss aber auch gesagt werden, dass Erpressungsversuche qua Veto-Ankündigung ein Unding sind – selbst wenn Victor Orban und ehedem auch die Briten dieses „Stilmittel“ immer wieder eingesetzt haben. Das vergiftet den Umgang unter Partnern und führt nicht zu sinnvollem Handeln, sondern in der Regel nur zu weiterem Ärger.
Alle Beteiligten sollten sich klar machen, dass Sanktionen kein eigenständiges politisches Ziel sind, sondern Mittel zum Zweck! Bundesaußenminister Heiko Maas fordert zu Recht, den Diktator Lukaschenko persönlich auf die Sanktions-Liste zu setzen, eben um ihn zu Verhandlungen mit der Opposition in seinem Land zu zwingen. Zweck sind also direkte Gespräche über die Zukunft von Belarus zwischen den beteiligten Bürgern dieses Landes.
Gesprächsbereitschaft durch Druck erzwingen
Zweck von Druck gegenüber Erdogan ist, ihn zu Gesprächen mit der griechischen und zypriotischen Seite zu zwingen. Sich überlappende Gebietsansprüchen auf See – und exakt darum handelt es sich im Streit um die Bohrrechte im östlichen Mittelmeer – müssen nach internationalem Recht vor dem Hamburger Seegerichtshof ausgetragen, verhandelt und entschieden werden.
Und das gilt für alle beteiligten Seiten. Weder darf der Türkei gestattet werden, Mitgliedsstaaten und mithin die gesamte EU auf See mit Fregatten zu bedrohen, noch kann Griechenland eine 200-Meilen-Zone für Inseln verlangen, die keine 20 Seemeilen von der türkischen Küste entfernt sind. Und auch Zypern sollte begreifen, dass Erpressungsversuche unter Freunden kein probates Mittel sein können.