100. Todestag

Warum die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nicht zur Abrechnung mit der SPD taugt

Dietmar Nietan25. Januar 2019
Wer ist Schuld an der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg? SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan plädiert für einen differenzierteren Blick.
Wer ist Schuld an der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg? SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan plädiert für einen differenzierteren Blick.
Welche Rolle spielte die SPD bei der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht? Aus Fehlern der damaligen Parteiführung eine Kollektivschuld der Sozialdemokraten zu konstruieren, ist unredlich, meint SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan.

Am zehnten Jahrestag der feigen und brutalen Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht schrieb die Berliner Volkszeitung: „Es war jenes System Noske, das die Freiheit der jungen Republik mit den Landsknechten der alten Armee verteidigen wollte. Ein entsetzlicher Irrtum!“ Das Entsetzliche an diesem Irrtum waren tatsächlich zum einen die vielen unschuldigen Menschen, die dem mörderischen Treiben von Freicorps und anderen reaktionären bewaffneten Kräften zum Opfer fielen. Zum anderen mutet es geradezu tragisch an, dass die damalige SPD-Führung zwar die entscheidende Rolle einnahm, als es darum ging aus der Novemberrevolution die erste erfolgreiche demokratische Revolution in Deutschland zu machen, sich dann aber auf die alten Sicherheitskräfte stützte, in deren Reihen mehrheitlich die Feinde von Demokratie und Arbeiterbewegung saßen.

Noskes Handeln war schwere Unterlassung

Aus der heutigen Rückschau heraus muss man dies als schweren Fehler einstufen. Auf der anderen Seite wäre es aber unhistorisch und borniert, den enormen Druck, unter dem der Rat der Volksbeauftragten in den ersten Wochen und Monaten nach dem 9. November 1918 stand, einfach auszublenden.

Als sich 1919 der Januaraufstand zu einem Putschversuch gegen die amtierende Regierung der Volksbeauftragten entwickelte, oblag die Befehlsgewalt der Regierungstruppen dem Volksbeauftragten für Heer und Marine, Gustav Noske von der SPD. Noske wusste um die rechtsradikale Gesinnung innerhalb der Freikorps, aus deren Reihen die Mörder von Luxemburg und Liebknecht stammten. Dass er am 15. Januar 1919 die Dinge einfach laufen ließ, obwohl er wissen musste, was passieren würde, wenn Leute wie Waldemar Pabst Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht habhaft werden würden, muss man aus meiner Sicht als schwere Unterlassung bezeichnen.

In normalen Zeiten hätte sein Befehl zur Verhaftung und sonst nichts führen müssen. Doch in der damaligen Situation hätte es eines weiteren klaren Befehls bedurft, dass die Unversehrtheit der zu Verhaftenden zu garantieren ist. Insofern hatte Andrea Nahles Recht, als sie in ihrer Rede zur November-Revolution auf die Wahrscheinlichkeit verwies, „dass Gustav Noske seine Hände beim Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Spiel hatte“.

Die SPD trifft keine Kollektivschuld

Daraus aber eine Kollektivschuld der damaligen SPD und ihrer Führung zu konstruieren oder ausgerechnet die sich widersprechenden Aussagen eines rechten Verächters von Sozialdemokratie und Weimarer Republik, wie Waldemar Pabst sogar zum „Beweis“ für einen Mordbefehl aus Reihen der SPD zu erheben, ist unredlich.

Die amtierende SPD Vorsitzende hat in ihrer Rede zum 100. Jahrestages der November-Revolution nicht nur auf die großen Verdienste der SPD für die deutsche Freiheits- und Demokratiegeschichte hingewiesen, sondern auch auf die unrühmliche Rolle des Sozialdemokraten Noske bei der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Damit hat Andrea Nahles jenen differenzierten Blick auf die Ereignisse gezeigt, den ich mir auch von denjenigen wünsche, die sich alle Mühe geben, an der Rolle der SPD bei der Errichtung unserer ersten deutschen Demokratie möglichst kein gutes Haar zu lassen.

Die Mehrheit wollte keine Diktatur des Proletariats

Vielleicht lohnt es sich, intensiver der Frage nachzugehen, warum bestimmte Teile der Linken sich lieber am vermeintlichen Verrat der SPD abarbeiten, als mit der Frage, welcher Teil der Arbeiterbewegung sich am Ende für die freiheitliche Demokratie entschieden hat. Die Kommunisten haben die Novemberrevolution vor allem als großen Verrat der Sozialdemokraten gesehen, weil es nicht zu einer Diktatur des Proletariats kam, welche übrigens die Mehrheit der Arbeiterinnen und Arbeiter gar nicht wollte.

Die SPD hatte aber nicht den Sozialismus verraten. Sie hatte sich – anders als die Kommunisten – dem Demokratischen Sozialismus verschrieben. Dies bedeutete nicht mehr und nicht weniger, dass für die SPD der Sozialismus weiterhin ein notwendiger Schritt zur Beseitigung der Klassenherrschaft darstellte, wie auch Wolfgang Niess in seinem lesenswerten Buch über die Novemberrevolution 1918/19 schreibt. Aber für die SPD war die Verwirklichung des Sozialismus der zweite Schritt, dem ein ganz wesentlicher erster Schritt – quasi als Grundbedingung – vorausgehen musste: Nämlich die Durchsetzung und Sicherung der Demokratie durch freie und geheime Wahlen!

Wenn wir in diesem Jahr neben der Gründung der Weimarer Demokratie auch den 30. Jahrestag der Gründung der SDP in der damaligen DDR feiern, könnte dies der Anlass sein, einmal differenziert zu diskutieren, welche Teile der Linken sich in den letzten 100 Jahren „im Zweifel für die Freiheit“ entschieden haben und was dies heute bedeutet.

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Kommentare

Die SPD trifft keine Kollektivschuld

"Die SPD trifft keine Kollektivschuld".Das ist richtig.
"Noskes Handeln war schwere Unterlassung".Das ist mindestens beschönigend! Noskes Handeln fällt unter die Kategorie Vorsatz (=mit Wissen und Wollen), jedenfalls aber unter Bedingten Vorsatz (=Inkaufnahme).Warum hatte Friedrich Ebert schon am 10.11.1918 eine Standleitung zu General Groener? Drohte in Deutschland nach dem 09.11.1918 wirklich eine Sozialistische/Kommunistische Revolution nach russischem, bolschewistischem Vorbild? Tatsache ist, dass am 15.11.1918
das Stinnes-Legien-Abkommen getroffen wurde, weil die Großindustriellen
Angst vor der Sozialisierung ihrer Betriebe hatten. Tatsache ist, dass die Antibolschewistische Liga Anfang Dezember 1918 gegründet wurde und von Großindustriellen finanziert wurde.Das Erfurter Programm der SPD von 1891 forderte aber eindeutig die Sozialisierung! Friedrich Ebert passte das nicht! Warum konnte der den unmittelbaren Mordauftrag gebende Waldemar Pabst bis zu seinem Tode 1970 strafrechtlich völlig unbehelligt bleiben??? Karl Liebknecht war wie sein Vater Wilhelm Liebknecht Kriegsgegner und radikaler Demokrat. Sind das nicht allerbeste Eigenschaften für Sozialdemokraten?! Natürlich!

Wie war die Rechtslage ?

Es gab keine Haftbefehl gegen Liebknecht oder Luxemburg ! Daher hatte keine Wilmersdorfer Bürgerwehr das Recht sie festzunehmen und damit auch nicht das Recht sie an Pabst zu überstellen, der schon gar kein Recht hatte. Wo blieb die juristische Aufarbeitung des Geschehens ?
Klar kann niemand der SPD eine Kollektivschuld unterstellen. Es waren ja SOZIALDEMOKRATEN die Noskes Truppen zum Opfer fielen. Menschen die forderten daß das gültige Parteiprogramm umgesetzt wird.

Artikel Dietmar Nietan: 100. Jahrestag Novemberrevolution

Lassen wir mal dahingestellt sein, ob "Die Kommunisten" damals eine Diktatur "Die Diktatur des Proletariates" errichten wollten oder nicht. Nietan zufolge, wollte die "Mehrheitssozialdemokratie" damals auch den Sozialismus - nur eben einen demokratischen. Da stellt sich doch die Frage, welche demokratischen Schritte sie dann zum Aufbau eines demokratischen Sozialismus ergriffen hat. Zu dieser Frage schweigt des Nietans Höflichkeit.
Besonders aber schweigt er zur Vorgeschichte der Novemberrevolution, nämlich zur Mitschuld, bzw. der Burgfriedenspolitik der SPD während dem 1. Weltkrieg.
Ich wüsste nicht, was daran unredlich ist, ihr ihre damalige Politik - und deren nachträglichen Rechtfertigungsversuche (etwa durch Thierse) vorzuwerfen.

Unredlich ist vielmehr der Versuch, offensichtliche "Fehler" auf die Unzulänglichkeit einzelner zu schieben.
Noske war nach dem Austritt der USPD Mitglied der provisorischen Regierung und wurde zu keiner Zeit von seiner Partei wegen seiner "Versäumnisse" zur Verantwortung gezogen.

„Die Ermordung von Rosa Luxemburg

und Karl Liebknecht“ wurde im Fernsehen am 15.1.2019 schnörkellos als „wurden erschossen“ charakterisiert - mehr nicht. Kulturkampf von Rechts?!
1919 schrieb die konservativ(-liberale) Berliner Volkszeitung den Mord „jenem System Noske“ zu (Nietan), das auch ein Sytem Ebert war, der – heimlich - mit der Reichswehr einen Pakt gegen den Kommunismus und die Revolution eingegangen war, und nach außen mit der USPD paktierte, die die Revolution unterstützte, während Ebert sie ersticken wollte. Die Bottroper Volkszeitung, ein Zentrums-Blatt, schrieb am 16.1.1919 (aber nicht nur auf den brutalen Luxemburg-Mord gemünzt): „Es liegt eine bittere Tragik in der Tatsache, dass die Sozialdemokratie heute gezwungen ist, den von ihr unermüdlich gepredigten und gepriesenen Zukunftstraum im Blute ihrer eigenen Anhänger zu ersäufen“.

„Eine Kollektivschuld der damaligen SPD“, die sich ja schon gespalten hatte (USPD, Kommunisten), gab es sicher nicht. Ob man aber „ihre Führung“ so pauschal ausnehmen darf?!

Bedauerlich

Da die bisher hier erschienenen Kommentare auf eklatante Mängel des Artikel von Dietmar Nietan aufmerksam machen werden wir es schnell erleben, daß die Kommentarfunktion zu diesem Artikel schnell wieder abgeschaltet wird. Dabei ist gerade die kontroverse Diskussion zu diesen historischen Themen, aber auch zu aktuellen Themen, für eine Erneuerung der SPD unumgänglich.
Aktuelles Beispiel: Berlin Direkt (27.1.2019): Svenja Schulze hätte besser garkein Interview gegeben als ein solches. Wos sozialdemokratische Antworten erwartet werden brauchen wir sozialdemokratische Antworten und kein "Geeiere"

Verschwörungstheorien

Es ist amüsant, zu welchen Verschwörungstheorien Sie sich hier immer wieder versteigen... Bitte bleiben Sie dennoch in Ihren Kommentaren beim Thema. Das zitierte Interview von Svenja Schulze hat mit der Ermordung Liebknechts und Luxemburg nun wirklich nichts zu tun.

Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

Alle Kommentare zu Dietmar Nietans Artikel ergänzen sich und treffen die Wahrheit, so dass es meinerseits keiner weiteren Kommentierung mehr bedarf.

Weil mir auch einiges im Artikel etwas schief vorkam, und weil Dietmar Nietan sich im Anschreiben an die Mitglieder mit der Beitragsmarke mehr oder weniger dafür entschuldigt hat, weil Karl Marx auf der Beitragsmarke abgebildet ist und sich manche (wer wohl?) darüber ärgern oder empören könnten, habe ich an Dietmar Nietan geschrieben.

Beitragsmarke mit Karl Marx

Wenn Herr Nietan sich mehr oder weniger genötigt sieht, sich dafür zu entschuldigen, dass Karl Marx auf der Beitragsmarke ist, dann muss sich die Sozialdemokratie als Demokratischer Sozialismus ernsthaft fragen und fragen lassen, mit welchen Inhalten sie eigentlich noch sozialistisch ist? Oder ist sozialistisch sein (natürlich demokratisch und auf dem Boden der Verfassung) unmodern geworden, peinlich? Wem Demokratischer Sozialismus unmodern erscheint oder peinlich ist, sollte zur Union oder FDP wechseln. Ich behaupte, würde Eduard Bernstein seine seinerzeitige Politik heute betreiben können, stünde er inhaltlich links von der Linkspartei.

Abrechnung mit der SPD

Die Einseitigkeit aus der Weimarer Zeit setzt sich fort, indem der Focus gleich wieder auf die Linken gelenkt wird:

Im Rahmen der Diskussion zur Überwachung der AfD fordert der CDU-Abgeordnete Sensburg, ein bekennender Militarist, sogleich die Überwachung der Roten Hilfe sowie der Falken, also einer Organisation, die mit der SPD verbunden ist, und die sich seither keines Anschlags, einer rassistischen Hetze oder anderer Vergehen schuldig gemacht hat.

Hier beweist sich aufs Neue, dass alles, was links von der Union steht, verdächtigt wird, während stets versucht wird, alle Rechten, angefangen von der CSU bis hin zur NSU, zu schonen.