Ehemaliger Chef der „Cumhuriyet“

Erdoğan-Kritiker Can Dündar: „Den Kampf um Demokratie werden wir weiterführen“

Julia Korbik20. Oktober 2016
Thorsten Schäfer-Gümbel und Can Dündar am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse
Auftritt unter Personenschutz: Thorsten Schäfer-Gümbel und Can Dündar am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse
Er ist einer der bekanntesten Gegenspieler Erdoğans: Am „vorwärts“-Stand diskutierte der türkische Journalist Can Dündar mit Thorsten Schäfer-Gümbel und dem türkischen Filmemacher Osman Okkan über sein Buch „Lebenslang für die Freiheit. Aufzeichnungen aus dem Gefängnis“.

Wer sich heute in der Türkei kritisch über das Regime Erdoğan äußert, braucht Mut – denn die Strafe für offene Worte könnte das Gefängnis sein. Das weiß Can Dündar aus eigener Erfahrung: Der Journalist und Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ hatte Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes nach Syrien aufgedeckt. Im Mai 2016 wurde Dündar der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen für schuldig befunden und zu fünf Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Er legte Berufung ein, noch ist das Urteil also nicht rechtskräftig. Über seine Zeit im Gefängnis hat Dündar das Buch „Lebenslang für die Freiheit. Aufzeichnungen aus dem Gefängnis“ geschrieben.

Mangelnder Widerstand gegen Erdoğan

Am „vorwärts“-Stand auf der Frankfurter Buchmesse traf Dündar am Donnerstag auf den türkischen Filmemacher Osman Okkan und den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel. „Die türkische Demokratie war nie eine starke Demokratie“, sagte Dündar, der nur mit Personenschutz überhaupt zur Messe kommen konnte. „Die Türkei als Demokratie, wenn man sie denn so nennen kann, ist vergleichbar mit China und Russland. Momentan ist die Türkei das größte Journalistengefängnis der Welt.“ Seit dem Putschversuch sei es noch schlimmer geworden, es gäbe eine „faschistoide Entwicklung“, die Repressionen nähmen zu. Jeder, der sich gegen Erdoğan wende, gehe das Risiko ein, eingesperrt zu werden. Was ihm aber mehr Sorgen mache, so Dündar, sei „dass viele im Land schweigen und keinen Widerstand leisten.“ Eine schwache Opposition, keine zivilgesellschaftliche Protestkultur sowie eine kontrollierte Presse – laut Dündar drei Gründe für den mangelnden Widerstand.

Von der europäischen und auch der deutschen Politik zeigte Dündar sich enttäuscht. Durch die sogenannte Flüchtlingskrise sei Europa auf die Kooperation der Türkei angewiesen, deshalb sei die Haltung der türkischen Regierung gegenüber oft nicht entschieden und kritisch genug. Thorsten Schäfer-Gümbel betonte die enorme strategische Bedeutung der Türkei, ihre Mittlerrolle zwischen „Kulturräumen, Machträumen und Einflussräumen“. Die innenpolitische Entwicklung in der Türkei sei aber schon lange nicht mehr akzeptabel. Die Frage sei: Wie geht man jetzt mit der Türkei um? Reist man hin, gerade jetzt? Sucht man das Gespräch mit der türkischen Regierung, mit den türkischen Bürgerinnen und Bürgern? Eine Isolation der Türkei, davon ist Schäfer-Gümbel überzeugt, wäre das falsche Signal. Can Dündar sieht es ebenso: „Europa sollte seine Beziehungen zur Türkei nicht abbrechen. Wenn man mit der Regierung spricht, sollte man aber die andere Türkei nicht vergessen. Die Kommunikation auf ziviler Ebene ist sehr wichtig.“

Haltung der Bundesregierung „lauwarm und fragwürdig“

Osman Okkan findet die Haltung der Bundesregierung „lauwarm und fragwürdig“ – ein Vorwurf, den Schäfer-Gümbel so nicht gelten lassen will: Es gebe unterschiedliche Positionen in der Bundesregierung, die im Ergebnis zu einer vermeintlich „lauwarmen Haltung“ führen würden. Er nehme tatsächlich Nichtäußerungen von anderen wahr, so Schäfer-Gümbel. So fehle es oft an einer klaren Haltung, an Positionen. „Der amerikanische Vizepräsident Joe Biden hat sich beispielsweise vor einem Treffen mit Erdoğan mit Herrn Dündars Frau getroffen. Das ist ein klares Signal und das finde ich gut“, sagte Schäfel-Gümbel.

Can Dündar erinnerte sich daran, dass im Gefängnis keine farbigen Stifte erlaubt waren: „Man möchte von uns, dass wir in der Türkei nur schwarze und dunkelblaue Blumen malen. Aber wir müssen zeigen, dass es hier viel mehr Farben gibt. Viele Stimmen sollen nicht gehört werden – wir müssen sie hörbar machen.“ Von der europäischen Politik wünscht Dündar sich mehr Unterstützung, gerade auch für Journalisten und Journalistinnen. Allerdings: „Den Kampf um Demokratie werden wie weiterführen, egal, ob die europäische Politik uns unterstützt oder nicht.“

Can Dündar: Lebenslang für die Wahrheit, Hoffmann und Campe, ISBN: 978-3455504248, 22 Euro zu bestellen u.a. in der vorwärts-Buchhandlung

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