Vorschläge des Umweltbundesamtes

Energiekrise: Wie der Kohleausstieg gelingen kann – sogar schon 2030

Karin NinkKai Doering29. Juli 2022
Dirk Messner: Der Präsident des Bundesumweltamtes im Gespräch mit dem „vorwärts“
Dirk Messner: Der Präsident des Bundesumweltamtes im Gespräch mit dem „vorwärts“
Der Präsident des Umweltbundesamtes Dirk Messner erklärt, warum eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten nur wenig bringt, ein Kohleausstieg sogar bis 2030 machbar wäre und wie er sich eine Anschlussregel für das 9-Euro-Ticket wünscht.

Angesichts der drohenden Gasknappheit wird diskutiert, die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Ist das sinnvoll?

Das ist nur ein sehr kleines Element. Die Rechnungen zeigen uns, wenn wir das täten, wenn wir über den Winter die Atomkraftwerke laufen ließen, dann könnten wir ein bis anderthalb Prozent der Gaskapazitäten, die jetzt in die Erzeugung von Strom gehen, einsparen. Auch rechtlich wäre es schwierig, denn wir müssten entsprechende Sicherheitschecks machen. Das Wirtschaftsministerium prüft das jetzt ja gewissenhaft.

Ist der Kohleausstieg spätestens 2038 durch den Krieg in der Ukraine in Gefahr?

Nein, das können wir hinkriegen. Wir haben jetzt eine Übergangssituation und müssen schmerzhafte Kompromisse machen. Wir müssen Kohle hochfahren, weil uns das Gas auszugehen droht. Wir können ja die Menschen im Winter nicht ohne Wärme dastehen lassen. Dieser Schritt ist zurzeit leider alternativlos. Aber wir werden erleben, dass wir eine Beschleunigung bekommen beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Wenn uns das gelingt in Kombination mit Energieeffizienzsteigerungen – und da sind wir schon besser geworden, weil durch den Ukraine-Krieg alles teurer geworden ist – dann können wir das schaffen und sogar bis 2030 aus der Kohle rausgehen.

Die Europäische Union hat das Aus für Autos mit Verbrenner-Motoren ab 2035 beschlossen. Welchen Effekt hat das für Klima und Umweltschutz?

Das ist im Grunde eine Frage reiner Mathematik. Wenn man bis 2045 in Deutschland klimaneutral sein will, dann darf man nicht nach 2035 noch Verbrenner-Motoren verkaufen. Denn die haben eine Lebensdauer von zehn, 15 Jahren und mehr. Kurz: Wer bis 2045 Klimaneutralität ankündigt, der muss spätestens 2035 aus dem Verbrenner raus.

Das Neun-Euro-Ticket war eher eine spontane sozialpolitische Idee, um Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Meine Zwischenbilanz ist positiv. Viele Menschen sind umgestiegen. Wir haben 26 Millionen dieser Tickets verkauft. Das ist toll. Wir wollen, dass die Menschen stärker den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Insofern: Nachfolgelösungen zu finden, wäre sehr wichtig.

Zugleich müssen wir aber auch die Infrastrukturen des öffentlichen Nahverkehrs, Fern- und Nahverkehr ausbauen, um eine angemessene Qualität zu bieten. Da sind hohe Investitionen notwendig in die Schiene, hohe Investitionen auch in den Städten selbst. Da müssen wir nachlegen.. Wir brauchen gute und günstige Angebote.

Interview mit Dirk Messner

Wie könnte so eine Anschlussregelung aussehen, und ab wann sollte die in Kraft treten?

Aus meiner Sicht sollten wir so schnell wie möglich einen Anschluss finden. Wir sollten keine Lücke entstehen lassen. Sonst könnten wir wieder Menschen verlieren. Die Menschen haben sich jetzt daran gewöhnt und sind eingestiegen in den öffentlichen Verkehr.

Was die Preisgestaltung angeht, liegen ein paar Vorschläge auf dem Tisch. Das Ticket sollte günstig und sozial inklusiv ausgerichtet sein.

Es gibt viele Möglichkeiten, um das Klima zu schützen oder wenigstens zu stabilisieren. All das ist mit extrem hohen Kosten verbunden.  Wie sollen die gestemmt werden?

Da bin ich optimistisch und positiv. Ein wesentlicher Baustein für die Klimaneutralität ist die Transformation des Energiesektors. Da geht’s um die Erneuerbaren Energien, die jetzt ausgebaut werden müssen, und die sind mittlerweile viel günstiger als vor zehn Jahren. Fossile Energieträger, Nuklearenergie, das ist alles deutlich teurer als Wind-Strom und Geothermie.

Zwar sind die Anfangsinvestitionen groß, weil wir jetzt das Infrastruktursystem umbauen müssen, aber die Kostenstrukturen insgesamt zeigen uns, die Erneuerbaren Energien sind auf Dauer die günstigste Variante, Strom und Wärme zu erzeugen und unsere Wirtschaft am Laufen zu halten.

Sie haben im vorigen Jahr eine Verankerung des Umgangs mit dem Klimawandel im Grundgesetz gefordert. Was würde eine solche Grundgesetzergänzung denn verändern?

Ich verbinde damit zwei Aspekte. Der erste Aspekt geht zurück auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz. Danach ist ein stabiles Klima die Grundlage für Freiheitssicherung, für Grundgesetzsicherung und für zukünftige Generationen und deren Lebensstandard.

Um diesen Punkt deutlich zu machen: Wir leben in der Epoche eines Erdsystemwandels, der abgewendet werden muss, und das im Grundgesetz zu verankern, das wäre meine erste Idee. Es hätte einen starken symbolischen Charakter und würde unterstreichen, was das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat.

Der zweite Punkt ist sehr konkret: die Klimaanpassung. Wir werden uns dem Klimawandel anpassen müssen, selbst wenn wir erfolgreich Klimaschutz betreiben und die Temperatur noch unter zwei Grad halten, werden wir Wirkungen des Klimawandels sehen. Wir haben das Ahrtal erlebt im vorigen Jahr. Wir haben enorme Hitzewellen und wir sind erst bei 1,2 Grad globaler Erwärmung. Wenn wir angesichts dieser Entwicklung im Grundgesetz vereinbaren, dass das eine Gemeinschaftsaufgabe des Bundes und der Gemeinden ist, dann unterstützt das die Kommunen. Bisher sind im Wesentlichen für die Anpassungsmaßnahmen auf der kommunalen Ebene die Kommunen selbst zuständig. Das kann zu Überforderung führen.

Was kann Politik tun, um die Bürgerinnen und Bürger bei den dringend notwendigen Einschnitten für den Klimaschutz mitzunehmen?

Wir fordern den Bürgerinnen und Bürgern, auch den Unternehmern im Grunde, genommen einiges ab. Wir sagen: Wir brauchen einen schnellen Wandel. Wir brauchen einen breiten Wandel in allen möglichen Teilen von Wirtschaft und Gesellschaft. Menschen und Organisationen zu motivieren für tiefe, schnelle Veränderungen, das ist nicht voraussetzungslos. Deswegen sind folgende Aspekte ganz wichtig:

Die Menschen müssen verstehen, dass wir ein ernsthaftes Problem haben. Ich glaube, viele Menschen haben das verstanden. Auch die Flutkatastrophe im Ahrtal und die Hitzewelle haben dazu beigetragen.

Der zweite Punkt ist: Wir müssen Lösungen anbieten, die funktionieren. Ansonsten paralysieren wir die Menschen, wenn wir sagen, wir haben ein überbordendes Problem, leider aber keine Lösungen, die gut funktionieren. Das Umweltbundesamt erarbeiten Lösungen. Wir zeigen, wo Dinge schon funktionieren und dass die Lösungen besser und günstiger sind als nichts zu tun.

Drittens müssen die Menschen sehen, dass das gerechte und faire Lösungen sind, an denen wir arbeiten. Wenn der Eindruck entstünde, Klimaschutz verschärft die sozialen Ungleichheiten in unserem Land, dann werden wir nicht weit kommen. Die Gelbwesten-Diskussion, die wir in Frankreich vor zwei, drei Jahren gehabt haben, die war da ein Warnsignal. Wir müssen Klimaschutz und soziale Gerechtigkeitsfragen eng miteinander verbinden.

Viertens gilt: Die Menschen müssen beteiligt werden. Das sehen wir bei all den Windanlagen. Wenn die Kommunen auch finanziell beteiligt werden an den Erlösen, die da generiert werden, die Bürger*innen direkt merken, das ist etwas, was uns zugutekommt, dann funktioniert das auch.

Wenn man das noch verbindet mit der Perspektive Klimaschutz, Umweltschutz, Nachhaltigkeitspolitik stärkt unsere Lebensqualität, es stärkt unser Wohlbefinden. Wenn wir diese Verbindungen stark machen, dann haben wir gute Chancen, dass wir da vorankommen.

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Kommentare

es ist wirklich nicht zu glauben, wie

unbedarft hier solche Märchenschlösser verbreitet werden dürfen. Bei aller guten Absicht , und mit allem geld der Welt. es gibt keine personellen ressourcen, um die Angaben in der erforderlichen Stückzahl zu produzieren, geschweige denn zu installieren und zu warten. Ist das Intewiev gestellt, oder warum wird da nicht nachgehakt. Ich verstehe ja den Wunsch, und ich wünsche mir dasselbe, aber es muss doch auch die Realität berücksichtigt werden. Kohl hat blühende Landschaften versprochen, im Osten, und die ökologischen Verhältnisse dort haben sich ja auch drastisch verbessert, allerdings auf Kosten der Arbeitsplätze. Das können wir auch im ganzen Deutschland haben, keinerlei wirtschaftliche Aktivität mehr, dann stimmts auch mit der Ökologie.
Was dann kommt, sehen wir dann

Zustimmung. Bleibt die Frage

Zustimmung. Bleibt die Frage zu klären, wer in Zukunft denn am meisten vom wirtschaftlichen Niedergang Deutschland/Europas profitieren wird.

Antwort

Bitte halten Sie sich an unsere Netiquette. Nicht prüfbare Unterstellungen und Verdächtigungen, die durch keine glaubwürdigen Argumente oder Quellen gestützt sind, werden gelöscht. Die Redaktion

Schöne Unterstellungen

Nein, das Interview ist nicht gestellt. Aber kann man ja einfach mal so behaupten - jetzt steht hier halt Aussage gegen Aussage. Mal abgesehen davon, dass der Vergleich zu Kohl und der Wiedervereinigung meilenweit am Thema vorbeigeht.

Insofern: Wir behalten uns vor, auch künftig solche Kommentare mit Verweis auf unsere Netiquette zu löschen. Aber einmal wollten wir dann doch deutlich darauf eingehen, wenn Sie der Chefredakteurin des „vorwärts“ unterstellen, sie würde ein Interview „stellen“. Wir werden diese Debatte hier auch nicht führen, egal wie laut im Anschluss möglicherweise gleich von „Zensur“ gesprochen wird.

Beste Grüße
Die Redaktion

ich habe hier nichts behauptet, ich habe lediglich

eine Frage formuliert. das ist etwas anderes als eine Behauptung. Das haben Sie auch erkannt, denn Sie haben ja geantwortet, dahingehend, das dieses Interview nicht gestellt sei.

Sie widersprechen sich

Erst sagen sie, wir haben keine personellen Ressourcen und ein paar Sätze später sagen sie, das alles zulasten der Arbeitsplätze geht. Bitte nochmal überdenken.

Es droht keine Gasknappheit

Denn die Russische Föderation will die gegenwärtig nicht über Nordstream 1 lieferbaren Mengen anstelle dessen über die zwei durch die Ukraine und die Slowakei laufenden Pipelines leiten.

Von der durch Bundesregierung und Bundesparlament nach massivem Druck der US-Regierung, der polnischen Regierung und der ukrainische Regierung nicht in Betrieb genommenen Nordstream 2 ganz zu schweigen.

Wenn hier Solaranlagen und vor allem Grosswindanlagen anstelle einer industriellen Wasserstofftechnik propagiert werden, muss man die dahinter liegenden Interessen offenlegen.

Gegenwärtig ist Deutschland noch eine wissenschaftlich-technisch-industriell führende aber rohstoffarme Industrienation, die auf preiswerte Energie angewiesen ist. Nur so lässt sich Wohlstand erarbeiten.

Angekündigt und angedroht werden den Bürgern aber grosse materielle Knappheiten, erzwungener Verzicht und Wohlstandsvernichtung.

Man sollte tatsächlich mehr Demokratie wagen und die Bürger darüber abstimmen und sie bestimmen lassen, welches Leben sie führen wollen.

Die Bürger benötigen dazu u.a. unabhängige wissenschaftlich-technische Information und Beratung durch Naturwissenschaftler und Ingenieure.

Kohleausstieg

Er kann gelingen: mit russischem Gas, so war doch der Plan. Zur Zeit sehe ich ein riesiges Chaos, das die Bürger verunsichert und den Ruf nach Kohle und Atom hört man um so mehr. In Anbetracht von Energiemangel im Herbst und Winter warnen heute schon Politiker*innen vor Bürgerprotesten, die natürlicherweise prophylaktisch als "rechts" eingeordnet werden, den SPD und Grünliche möchten ja weiterhin als links eingeordnet werden obwohl ihre Politik mit links nichts zu tun hat. Es reicht nicht mit der Regenbogenfahne zu kokettieren wenn es um die existenziellen Belange weiter Kreise der Bevölkerung geht.
Schon vor Jahren mahnte ich (auf diesen Seiten) Energiesparen an als es um Kohle- und Atomausstieg ging. Damals kein Thema, jetzt patriotische Pflicht. Leider kann ich mir kein Schicki-Micky-Elektriky-Auto leisten um zu den Guten zu gehören und werde weiter meinen Verbrenner fahren; werde ich dadurch rechts ? Irgendwie bin der permanenten Diskriminierung durch dieses urbane Millieu leid und überlege schon ob ich mir aus Protest jetzt Rastalocken mache.