vorwärts.de: Die Europäische Union will den Anteil Erneuerbarer Energien bis 2020 auf mindestens 20 Prozent steigern. Dafür wurde jüngst eine Rahmenrichtlinie zur Förderung Erneuerbarer
Energien in Europa verabschiedet. Das Europäische Parlament hat nun sogar gefordert diesen Anteil bis 2050 auf 60 Prozent zu erhöhen. Wie realistisch ist dieses Ziel?
Mechtild Rothe: Zunächst einmal: Ich bin sehr froh, dass wir im Dezember letzten Jahres einen sehr guten Kompromiss auf den Weg bringen konnten, der einen neuen Schub für Europas
Erfolgsstrategie gibt. Damit ist der Kampf für eine nachhaltige Energieversorgung aber noch lange nicht zu Ende. Nun beginnt auf der Ebene der Mitgliedstaaten die Arbeit an den nationalen
Erneuerbare Energien Aktionsplänen. Diese dienen quasi als Fahrplan zur Erreichung der nationalen Ziele für den Anteil Erneuerbarer Energien.
Und auf europäischer Ebene sind wir bereits wieder einen Schritt weiter gegangen. Das Europäische Parlament hat erneut bewiesen, dass es der Schlüsselmotor für den weiteren Ausbau Erneuerbarer
Energien in Europa ist. Denn im Januar hat das gesamte Plenum meinen Antrag unterstützt, der die Gemeinschaft und die Mitgliedsländer dazu auffordert, ein Ziel von 60 Prozent Erneuerbaren
Energien in 2050 anzunehmen.
Die Erfahrung zeigt: Gesteckte Ziele wurden in der Vergangenheit immer wieder übertroffen. So hat sich die EU mit dem Weißbuch zu Erneuerbaren Energien aus dem Jahre 1997 beispielsweise das
Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 eine installierte Kapazität von 40 Gigawatt Windkraft zu ereichen. Das wurde bereits Ende 2005 erreicht! Heute liegt der Anteil europaweit gar bei 65 Gigawatt.
Bei gegenwärtigen Zuwachsraten aller Erneuerbarer Energien Technologien, aber auch angesichts Herausforderungen wie Klimawandel oder Energieversorgungssicherheit, ist ein Anteil von 60Prozent
nicht nur realistisch, sondern auch absolut notwendig. Eine gemeinsame Potentialstudie von NGOs, Industrie und Wissenschaftlern des IPCC unterstreicht die Auffassung, dass wir in Europa bis 2050
einen Anteil von deutlich über 50 Prozent erreichen werden
Das EP fordert zudem ein verbindliches
Ziel für Energieeffizienz: 20 Prozent bis zum Jahr 2020. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es noch mehr als ein Glühbirneverbot. Sind nicht noch strengere Auflagen für die Industrieproduktion,
den Verkehr und auch für Haushaltgeräte nötig?
Ich bin der Meinung, dass wir einen kombinierten und sich sinnvoll ergänzenden Maßnahmenkatalog brauchen, um die enormen Potenziale zu realisieren: Verbindliche und ambitionierte
Effizienzstandards für Gebäude und Produkte genauso wie Energiemanagement in Betrieben, Förderprogramme und vor allem qualifizierte Beratung auf allen Ebenen.
Als Rahmen bedarf es jedoch vor allem auch eines rechtlich verbindlichen Energieeffizienzziels. Denn nach wie vor verschwendet Europa mindestens 20 Prozent seiner Energie. Die unmittelbaren
wirtschaftlichen Kosten unser Unfähigkeit, mit Energie sparsamer umzugehen, werden bis 2020 eine Höhe von jährlich über 100 Milliarden Euro erreichen - bei einem angenommen Preis pro Barrel Öl
von 50 Dollar. Allerdings könnten 20 Prozent bis 30 Prozent der europaweit verbrauchten Energie bereits heute auf wirtschaftliche Weise und mit bereits verfügbaren Technologien eingespart werden
- ohne Einschränkung des Lebensstandards!
Was wir brauchen sind Auflagen und Anreize. Ein sehr gutes Beispiel ist die Richtlinie zur Etikettierung von energieeffizienten Produkten, mit der die mittlerweile sehr bekannten
"Effizienz-Labels" zwischen G und A++ unter anderem auf Kühlschränken eingeführt wurden. Ein enormer Transparenzgewinn für die Verbraucher, die damit selbst entscheiden können, welchen Beitrag
sie zum Klimaschutz leisten wollen.
Begrüßenswert sind daher auch existierende Programme, die den Wechsel von Energieverschwendenden Geräten hin zu Energieeffizenten Geräten fördern. Es muss aber auch zunehmend dazu kommen,
Energieverschwendende Produkte nach und nach vom Markt zu nehmen und damit auch einen Anreiz zur Entwicklung sparsamer Geräte zu geben. Dies sieht die bestehende EU-Ökodesign-Richtlinie vor.
Ich möchte an der Stelle noch einmal betonen: Energieeffizienz ist keine Politik der Askese. Sie ist vielmehr Umwelt, Wirtschafts- und Innovationspolitik in einem. Energieeffizienz gibt
Anreize zu neuen technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und schafft zugleich zukunftsorientierte Arbeitsplätze - auch und gerade bei uns in Deutschland. Von einer effizienteren
Nutzung der Energie profitieren vor allem kleine und mittelständische Unternehmen. Das macht Europa fit für den internationalen Wettbewerb.
Der Anteil der Erneuerbaren Energien steigt stetig. Laut einer aktuellen Studie von TradeWind könnte es aber ab dem Jahr 2020 Probleme bei der Integration von Windstrom geben, wenn die
Netze nicht ausgebaut werden. Sind die Netze in Europa auf den wachsenden Anteil an grüner Energie vorbereitet?
Völlig richtig, die Stromnetze in Europa müssen ausgebaut werden, um eine umfassende und effiziente Versorgung der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Das hängt aber weniger mit dem
Bedarf der Integration eines wachsenden Ökostrom-Anteils zusammen als mit der Notwendigkeit eine einheitliche und verlässliche Netzinfrastruktur aufzubauen.
Für die Erhöhung des Wettbewerbs, die Sicherung der Energieversorgung und die Senkung der Kosten für die Verbraucher ist das absolut notwendig. Allerdings haben wir es mit einer
jahrzehntelangen Vernachlässigung der Netze durch die großen Energieversorger in Europa zu tun. Die Blackouts der vergangenen Jahre in England, Skandinavien, Italien und auch Deutschland haben
dies mehr als deutlich gezeigt.
Die SPD fordert auch deshalb eine Zusammenlegung der vier Übertragungsnetze in Deutschland zu einer nationalen Netz AG mit Beteiligung des Staates. Damit würde unter anderen neuen
Energieanbietern der Zugang erleichtert. Denn meist werden in Europa insbesondere Erneuerbare Energien-Anbieter diskriminiert.
Ich bin deshalb froh, dass auch die neue EU-Rahmenrichtlinie zur Förderung Erneuerbarer Energien wie die 2010 auslaufende EU-Richtlinie zu Strom aus Erneuerbaren Energien die Mitgliedstaaten
dazu auffordert, für einen prioritären oder garantierten Netzzugang von Ökostrom zu sorgen.
Zusätzlich bedarf es auch der Unterstützung des Netzausbaus auf europäischer Ebene. Initiativen wie die grenzüberschreitende Vernetzung im Süden oder im Norden Europas und der Aufbau eines
"Europäischen Supergrid" spielen für einen gemeinsamen europäischen Netzverbund eine entscheidende Rolle.
Aktuell haben wir es mit einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise zu tun. Einige Staaten in der EU stehen fast vor dem Bankrott. Legt man diesen Ländern nicht noch eine zusätzliche
Bürde auf mit der Forderung nach Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz?
Die Krise auf den Finanzmärkten und ihr Durchschlag auf die Realwirtschaft haben uns alle erfasst. Wir müssen diese Krise sehr ernst nehmen: Auch mit den Maßnahmen, die europaweit bereits
ergriffen worden sind, könnten Millionen von Arbeitsplätzen in der EU in 2009 verloren gehen.
Trotz dieser Schwierigkeiten bleibt allerdings die Bedrohung des Klimawandels. Eine Bedrohung im Übrigen, die höhere Kosten für die Gesellschaft bringen wird als die Kosten, die mit der
Wirtschaftskrise verbunden sind, sollten wir jetzt unsere Ambitionen im Bereich Klima- und Energiepolitik zurückstellen.
Der beste Weg, um sowohl die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels als auch die kurzfristigen Auswirkungen der Krise auf den Finanzmärkten zu bewältigen, ist die Investition in
nachhaltige Technologien. Erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind ein exzellentes Beispiel für intelligente Investitionen in eine zukunftsorientierte, nachhaltige Wirtschaft, die Tausende
von Bürgerinnen und Bürgern in Arbeit bringt. Die Erneuerbare Energien Industrie allein beschäftigt mehr als 450.000 Menschen und hat einen Jahresumsatz von 40 Milliarden EUR. Das sind nicht nur
ein paar Zahlen in Statistiken, das ist die Wettbewerbskraft Europas!
Die gegenwärtige Krise müssen wir daher auch als eine Chance begreifen. Die Chance, die Wiederbelebung der Wirtschaft mit dem Umbau unserer Energieversorgung in ein nachhaltiges und
effizientes System zu verbinden. Das Potenzial dazu haben wir, es muss nur genutzt werden.
Interview: Karsten Wiedemann