Interview mit Terrorismus-Experten

IS-Dschihadismus ist extrem kleine Strömung im Islam

Lars Haferkamp17. Dezember 2014
Die Interpretation des Islam durch den IS lehnen 99 Prozent der Muslime ab, sagt Peter Neumann. Auch wegen den „Pegida“-Demonstrationen ist es ihm wichtig, die Vielfalt der muslimischen Kultur zu betonen, um ein gegenseitiges Hochschaukeln der Extremisten zu verhindern.

Herr Professor Neumann, was hat die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ mit dem Islam zu tun, den sie im Namen trägt?

Der IS beansprucht, den Islam zu repräsentieren. Sein Name soll den Anspruch kommunizieren, dass der IS „der islamische Staat“ ist. Wenn man sich aber die islamische Theologie anschaut, erkennt man, dass der IS am Rande eines Randes ist. Er repräsentiert die Minderheit der Dschihadisten innerhalb der Minderheit der Salafisten. 99 Prozent der Muslime weltweit würden sich mit dieser Interpretation des Islam nicht identifizieren. Schwierig wird die Sache dadurch, dass es im Islam keine oberste Autorität gibt, die verbindlich entscheiden könnte, was Islam ist und was nicht, wie es etwa der Papst in der katholischen Kirche kann.

Peter Neumann leitet das Internationale Zentrum zur Erforschung von Radikalisierung, Extremismus und Terrorismus am King's College in London. 2009 erschien sein Buch über "Old and New Terrorism".
Peter Neumann leitet das Internationale Zentrum zur Erforschung von Radikalisierung, Extremismus und Terrorismus am King's College in London. 2009 erschien sein Buch über "Old and New Terrorism".

Wie verhalten sich die von Ihnen genannten 99 Prozent gegenüber der gefährlichen Minderheit der Dschihadisten?

Der IS greift sich lokale Konflikte und instrumentalisiert sie für seine Zwecke. Das gilt zum Beispiel für Syrien und den Irak, hier gibt es ethnische Konflikte und Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten. Weil der IS hier Partei ergreift, wird er für die populär, die von ihm unterstützt werden. Dabei geht aber weniger um Ideologie und Religion.

Sehen Sie bei den Muslimen, die den IS nicht unterstützen, eine überzeugende Distanzierung vom islamistischen Terror?

Ja, und ich denke schon, dass sie glaubwürdig ist. Alle Autoritäten im Mainstream-Islam haben sich gegen den IS positioniert. Das wird aber oft nicht berichtet, weil es als nicht so aufregend oder interessant empfunden wird. Was allerdings manchmal fehlt, ist der Enthusiasmus bei der Distanzierung. Da wird eben auf islamischer Seite nicht zu tausenden gegen den IS demonstriert.

Im Gegenteil: In Deutschland demonstrieren die Salafisten für den IS, aber nicht der Mainstream-Islam gegen den IS-Terror.

Richtig. Diese Kritik ist berechtigt. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Weil viele Muslime mit dem IS nichts zu tun haben wollen, fühlen sie sich davon auch nicht betroffen. Sie sehen keine Notwendigkeit sich von etwas zu distanzieren, das sie nicht teilen. Zweitens haben viele Muslime Schwierigkeiten, sich genau zu positionieren, weil sie auch die regionalen Gegenspieler des IS ablehnen, also das Assad-Regime in Damaskus oder die Führung in Bagdad. Manche fürchten zum Beispiel, wenn der IS weg ist, kommt Assad zurück. Dieser innere Konflikt vieler Muslime wird im Westen oft nicht wahrgenommen.

Der Terror des IS ist auch ausdrücklich gegen den „gottlosen und dekadenten Westen“ gerichtet. Wie groß ist diese Bedrohung für den Westen?

Kurzfristig ist die Gefahr nicht so groß, aber langfristig schon. Um ein Beispiel zu nennen: In den 80er Jahren hat auch der Afghanistan-Konflikt viele ausländische Kämpfer angezogen. Als sie in ihre Heimatländer zurückkehrten, bildeten sich Netzwerke, aus denen später Al-Qaida entstand. Jetzt haben wir in Syrien und im Irak wieder einen Konflikt mit einreisenden Kämpfern aus dem Ausland. Diese Kämpfer sind sehr gefährlich, auch für den Westen, weil sie dem Westen gegenüber grundsätzlich feindlich eingestellt sind. Diese Gefahr ist jetzt vielleicht noch nicht so groß, aber diese Netzwerke können ihre volle Aktivitäten in zehn oder fünfzehn Jahren entfalten. Auch Osama bin Laden war so ein ausländischer Kämpfer. Der Terroranschlag von 2001 geht zurück auf Kontakte, die er 15 Jahre zuvor in Afghanistan geknüpft hatte. Wir stehen hier vor einem Generationenproblem, das sich nicht in wenigen Monaten lösen lässt.

Der wachsende Terror im Namen des Islam wirft in den westlichen Gesellschaften verstärkt die Frage auf, inwieweit Demokratie und Islam überhaupt miteinander zu vereinbaren sind. Der IS selbst sagt ja, sie sind unvereinbar, sie sind Gegensätze.

Die ganz große Mehrheit der Muslime im Westen ist in die demokratische Gesellschaft integriert. Das zeigt, dass Demokratie und Islam miteinander zu vereinbaren sind. Wenn immer wieder gesagt wird, Demokratie und Islam seien nicht vereinbar: Was ist denn die Schlussfolgerung daraus? Sollen wir dann Krieg anfangen mit 1,5 Milliarden Muslimen? Natürlich gibt es Probleme mit der Integration, aber was die Demokratie angeht, sehe ich kein grundsätzliches Problem.

Warum gibt es in kaum einem muslimisch geprägten Land eine funktionierende Demokratie, warum nimmt in fast allen diesen Ländern Islamismus und Terror so rasant zu?

Da würde ich widersprechen: Das größte muslimische Land der Welt, Indonesien, mit über 200 Millionen Einwohnern, ist eines der demokratischsten Länder in der gesamten Region.

Ist Indonesien - bei 1,5 Milliarden Muslimen weltweit - nicht eher die Ausnahme von der Regel?

200 Millionen Menschen sind eine ganze Menge Menschen, das ist keine Ausnahme.

Wir erleben zurzeit in Deutschland, dass sich die Antidemokraten auf der rechten Seite, etwa „Pegida“, und die Antidemokraten auf der islamistischen Seite gegenseitig hochschaukeln. Für wie gefährlich halten Sie das?

Das ist eine ganz große Gefahr. Wir konnten das in den letzten Jahren auch in England beobachten, mit der „English Defense League“, von der sich die „Pegida“ in Deutschland einiges abgeschaut hat. Die Extreme brauchen sich gegenseitig, um sich hochzuschaukeln. Das hat beispielsweise im Norden Englands zu sehr großen Spannungen geführt. Die Gefahr besteht natürlich, wenn es zu einem Terroranschlag von Islamisten kommen sollte, dass diese Spannungen dann explodieren. Deshalb ist es ganz wichtig, diesem Hochschaukeln entgegen zu wirken. Dazu gehört auch, zu zeigen, wie vielfältig die muslimischen Gemeinschaften sind und dass die Salafisten nur eine kleine Minderheit sind.

Viele Menschen können nicht verstehen, warum dutzende junge Männer mit arabischem Migrationshintergrund, die bei uns in Frieden, Freiheit und Wohlstand groß geworden sind, nach Syrien oder in den Irak reisen, um dort Menschen zu töten, die ihrer Meinung nach den falschen Glauben haben. Welche Erklärung haben Sie für dieses Phänomen?

Die meisten dieser jungen Männer haben sich irgendwann der salafistischen Szene angeschlossen. Es handelt sich oft um die zweite oder dritte Einwanderergeneration, die Identitätskonflikte hat. Sie fühlen sich noch nicht richtig zur deutschen Gesellschaft zugehörig, werden manchmal auch abgelehnt. Sie sind in einem Alter, wo sie Antworten suchen. Und der Salafismus bietet ihnen ein attraktives, einfaches Konzept an: Er gibt ganz klare Antworten, alles ist schwarz oder weiß, gut oder böse. Auch die Handlungsoptionen sind klar: Entweder du kämpfst für den Islam und kommst ins Paradies oder du kommst in die Hölle. Dieses Problem haben wir in allen europäischen Ländern mit muslimischen Minderheiten.

Welche Rolle spielen die islamischen Gemeinden im Westen bei der Radikalisierung junger Muslime?

Den islamischen Gemeinden kann man nicht den Vorwurf machen, dass sie die jungen Menschen radikalisieren würden. Das Problem ist eher, dass sie keine attraktiven Angebote haben für Jugendliche auf der Suche nach Sinn und Identität im Leben. Ihnen fehlen auch junge, charismatische Persönlichkeiten, die anziehend auf die Jugend wirken. Die Mainstream-Gemeinden werden dominiert von einer älteren Generation, die oft auch nicht deutsch spricht und mit der Lebenswirklichkeit jungen Menschen nichts anzufangen weiß. Das ist ein Problem und das muss angegangen werden.

Der IS – auf dem Weg zum Terrorstaat

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Kommentare

Dschihadismus

Was tut der IslamischeStaat anders als die Vereinigten Staaten von NordAmerika ???
Die USA schueren auch ueberall GlaubensKriege.Der USA-Glaube ist Geld+Macht,dafuer ist alles erlaubt