Impulspapier

Wie drei sozialdemokratische Parteien die EU verbessern wollen

Kai Doering10. Mai 2022
SPD-Politiker Norbert Walter-Borjans und Udo Bullmann: Jetzt muss die Stunde Europas sein.
SPD-Politiker Norbert Walter-Borjans und Udo Bullmann: Jetzt muss die Stunde Europas sein.
Europas Moment ist jetzt: Die SPD und ihre Schwesterparteien wollen die EU neu aufstellen.
Europas Moment ist jetzt: Die SPD und ihre Schwesterparteien wollen die EU neu aufstellen.
Der Krieg in der Ukraine lässt Europa zusammenrücken. Diese Chance wollen die sozialdemokratischen Parteien aus Italien, Spanien und Deutschland nutzen – und schlagen weitreichende Reformen vor. Es geht sogar um Grundprinzipien in der EU.

„Es besteht zurzeit eine starke Dynamik zur Unterstützung des europäischen Projekts – ein europäisches Momentum.“ Das stellen die sozialdemokratischen Parteien aus Italien, Spanien und Deutschland – die PD, die PSOE und die SPD – in einem gemeinsamen Impulspapier fest. Als Ursache sehen sie den Angriff Russlands auf die Ukraine, der „auch ein Angriff auf das europäische Modell“ sei. Für die sozialdemokratischen Schwesterparteien folgt daraus: „Angesichts der aktuellen Bedrohung, müssen wir mit Nachdruck die eigenen Werte durch Regeln fördern und mit gutem Beispiel vorangehen.“

Das Europaparlament zum Zentrum der Demokratie machen

In dem fünfseitigen Papier formulieren die drei Parteien deshalb konkrete Punkte, die sie verändern wollen, um die Europäische Union zu stärken. So wollen sie etwa das Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen der Mitgliedsstaaten durch eine qualifizierte Mehrheit ersetzen. Die Blockade von Vorhaben durch einzelne Regierungen soll damit beendet werden. Auch soll die EU künftig über eigene Einnahmen verfügen, um unabhängiger von den Mitgliedsstaaten zu werden. Und: „Das Europäische Parlament muss zum eigentlichen Zentrum der europäischen Demokratie werden und dazu mit vollständigen parlamentarischen Rechten ausgestattet werden.“

Da für alle diese Reformen eine Änderung der Europäischen Verträge notwendig ist, soll ein Europäischer Konvent einberufen werden. Dieser soll auch die Vorschläge der Bürger*innen aufgreifen und umsetzen, die sich an der Konferenz zur Zukunft Europas beteiligt hatten. Diesen waren am Montag an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen übergeben worden.

Barley: Wir sind bereit, Europa zu gestalten

„Die Krisen der letzten Jahre haben es klar gezeigt. Und die Bürgerinnen und Bürger haben bei der Konferenz zur Zukunft Europas deutlich gesagt: Wir wollen mehr Europa“, sagt Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europaparlaments und Europa-Beauftragte des SPD-Parteivorstands. Deshalb sei jetzt der richtige Zeitpunkt, die EU weiterzuentwickeln. „Wir bekennen uns dazu, Europa wehrhafter gegen die Feinde seiner offenen Gesellschaft von innen und außen zu machen und mehr europäische Demokratie zu wagen“, so Barley. „Europas Moment ist jetzt. Wir sind bereit, es zu gestalten.“

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Kommentare

Guter Wille

An diesem scheint es nicht zu fehlen. Allerdings muß auch die Neoliberale Ausrichtung der EU (Lissabonvertrag) diskutiert und in Frage gestellt werden dürfen. Solange Konzernen mehr Macht eingeräumt wird als gewählten Parlamenten steht es nicht gut um die Demokratie. Die EU kann und darf aber auch nicht ein Anhängesel der USA/NATO sein und die Pläne eine eigene EU Armee zu schaffen (das war zu Trumps Zeiten, und der kann wieder kommen) um selbstständig Interventionskriege zur Rohstoffbeschaffung zu führen (ist in Mali gerade schief gegangen) halte ich ebenfals für verfehlt. Und solange die EU eine Konzernunion ist und keine Sozialunion stehe ich ihr kritisch gegenüber.

Europäisches Momentum gestern und heute

1972:"Überleben wird die Menschheit nur, wenn es ihr gelingt, dem Wirtschaftswachstum Grenzen zu setzen, die Natur zu schützen, äußerst sparsam mit den natürlichen Ressourcen und nicht regenerierbaren Brennstoffen umzugehen, das soziale Gefälle zwischen Nord und Süd rigoros einzuebnen und die allgemeine und vollständige Abrüstung herbeizuführen" (Sicco Mansholt, EU-Kommissar).
„Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören, denn sie bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg, durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen; reizen diese an, sich einander in Menge der Gerüsteten, die keine Grenzen kennt, zu übertreffen, und, indem durch die darauf verwandten Kosten der Friede endlich noch drückender wird als ein kurzer Krieg, so sind sie selbst Ursache von Angriffskriegen, um diese Last loszuwerden.“ ((Immanuel Kant, "Zum ewigen Frieden").
2022:Nichts von alledem! Das Papier beschwört diffuse Werte und die Illusion technokratischer Machbarkeit, benennt aber nicht die Herausforderungen, vor denen "wir" stehen. Wir? Für Mansholt und Kant war das die Menschheit. Das "wir" im Papier bezieht sich nur auf eine EU, deren Zusammenhalt ohne Feinde zu Staub zerfiele.

Das Papier selbst ist, um es

Das Papier selbst ist, um es mit einer Redewendung Wolfram Eilenbergers zu beschreiben, eine rhetorische und politische Verzweiflungstat: "Wir haben in Wahrheit keine tragbaren Lösungen für die Fragen, vor denen wir derzeit stehen. Wir haben nicht einmal die treffenden Begriffe zur Beschreibung des Problemhorizonts. Wir begreifen nicht, dass unsere Lebensform nicht fortsetzbar ist" schreibt er (ZEIT online,2.5.21).
Schon der erste Absatz des Papiers ist zum Verzweifeln: "Der Angriff auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf das europäische Modell". Die Angriffe auf Jugoslawien und den Irak waren, die türkischen Angriffe auf Kurden sind es offenbar nicht? Begründung? Keine.
Kämpfen "die Ukrainerinnen und Ukrainer" heute für die selben Werte wie Millionen im Lauf der europäischen Geschichte? Welche genau? Die SS-Runen auf den Uniformern der Asov-Kämpfer laden zur polemischen Reflektion ein.
Dieser Satz auch: "Europa wird sich stets für Multilateralismus und die Lösung von Streitigkeiten über Gespräche und nicht durch Gewehre einsetzen". Auch die USA? China und Russland aber nicht? Joe Bidens Antrittsrede und die letzten Sicherheitskonferenzen belegen diese Fiktion eher nicht.

Von der Vorherrschaft zur Vernunft

Das Papier behauptet nun einen russischen Vorherrschaftsanspruch und beschweigt den US-amerikanischen. Europa müsste beide ablehnen und selbst abrüsten, wenn es für die Stärke des Rechts an Stelle des Rechts des Stärkeren einträte. Jenseits der Sonntagsrede ist dieses Europa aber im Begriff, seinen Kindern und Enkeln neue Erbfeindschaften aufzunötigen, zu deren endgültiger Überwindung es einst angetreten ist. Die Zeitenwende ist seine Bankrotterklärung.
Die Friedensfrage ist die Eine, die ökologische eine Andere. „Das europäische Projekt zielt darauf, Wachstum, Wohlergehen und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verknüpfen“. Das ist in Europa bislang gescheitert, für die übernutzte Welt ist es auch künftig illusorisch. Mansholt war das klar, die Progressiven heute sind aber Meister der Verdrängung.
Auch die simple Unterscheidung in demokratische und autokratische Staaten trägt nicht in eine „nachhaltige Zukunft“, solange die europäischen Demokratien nicht bewiesen haben, dass sie eine Einebnung der globalen sozialen Unterschiede überstehen würden.

Von all dem abgesehen, enthält das Papier auch vernünftige Forderungen, denen, denen die Grundlagen aber fehlen.