vorwärts.de: Frau Kemfert, welche Krise ist teurer, die Wirtschaftskrise oder die Klimakrise?
Claudia Kemfert: Beide Krisen sind sehr teuer, die derzeitige Wirtschaftskrise macht aber
auch deutlich, dass wir uns weitere Krisen nicht leisten dürfen und können. Nach der Wirtschaftskrise wird uns aber rasch eine andere Krise erreichen, wenn wir nicht rechtzeitig umsteuern:
die Energiekrise. Denn insbesondere Öl wird immer knapper und teurer und die Wirtschaftskrise verstärkt das Problem aus zwei Gründen: der Ölpreis ist aufgrund der Finanzkrise drastisch
gefallen.
Um das Ölangebot ausreichend zu erweitern, müssen umfangreiche
Investitionen getätigt werden. Viele Ölförderungsstätten, wie beispielsweise in der Tiefsee oder Permafrostboden, werden jedoch erst bei einem Ölpreis von über 80 Dollar pro Barrel
wirtschaftlich. Zudem führt die Finanzkrise dazu, dass nicht ausreichend Kapital in die Ölförderung fließt.
Wenn die Wirtschaftskrise überwunden sein wird und die Wirtschaft wieder wächst, wird auch die Ölnachfrage wieder wachsen und das Ölangebot wird dann nicht mehr ausreichen, daher kann Öl schon
sehr bald knapp und teuer werden. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass diese Knappheit schon im Jahr 2013 auftreten kann und die Energiepreise dann explodieren.
Somit müssen wir heute die Weichen in die richtige Richtung stellen und möglichst rasch wegkommen von den fossilen Energien und auf eine CO2-freie, sichere und bezahlbare Energieversorgung und
Mobilität umstellen. Dann werden wir auch die dritte Krise bewältigen können: die Klimakrise. Wir müssen somit drei Krisen mit einer Klappe schlagen: die Wirtschafts-, Energie- und Klimakrise.
Die aktuelle Wirtschaftskrise bedroht viele Jobs in Deutschland und Europa. Kann der Klimaschutz neue Jobs schaffen oder behindern zu strenge Klimaauflagen das Wachstum?
Der Klimaschutz ist die Lösung und der Weg aus dem Problem, denn Klimaschutz schafft Wachstum und Arbeitsplätze. In der Klimaschutzbranche arbeiten schon heute 1,8 Millionen Menschen, wir
rechnen damit, dass sich diese Zahl bis zum Jahr 2020 auf 2,3 Millionen Menschen erhöhen kann, wenn der Weltmarkt für Klimaschutz- angefangen von Recycling, Wasseraufbereitung, Material- und
Produkteffizienzverbesserungen bis hin zur Herstellung alternativer chemischer Produkte als Ersatz für Öl und erneuerbare Energien und Anbieter alternativer Antriebstechnologien in erster Linie
von dieser Entwicklung. Denn ohne Zweifel werden die Anbieter erneuerbarer, CO2-freier und sicherer Energieträger gegenüber klimaschädlichen Brennstoffen die Nase vorn haben.
Doch je mehr Verbraucher Klimaschutzgüter nachfragen werden, desto mehr Sektoren werden ihre Weichen umlegen. Täglich mehrt sich das Angebot an Klimaschutzprodukten aus dem Finanzbereich, der
Textil- und Bekleidungsbranche oder der Lebensmittelindustrie. Selbst der Automobilbereich zeigt sich immer kreativer: Große Energieversorger kooperieren neuerdings mit deutschen
Automobilherstellern und bieten neben sparsamen Fahrzeugen auch neue Antriebstechniken an.
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten werden derzeit Milliarden zur Ankurbelung der Wirtschaft auf. Reichen diese Mittel für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft aus, wie er nun immer wieder
gefordert wird?
Sicherlich könnte ein noch größerer Beitrag für die neuen Märkte ausgegeben werden. Zwar wendet Europa ca. 15 Prozent seiner gesamten finanziellen Mittel zur Behebung der Konjunkturkrise
für die "grünen" Märkte auf, andere Länder jedoch wie beispielsweise China, die ca. 30 Prozent und Korea, die nahezu 80 Prozent der Aufwendung nur für grüne Investitionen aufwenden, zeigen, dass
diese Regierungen sich sehr große Marktpotentiale
versprechen. Und das ist gut so, denn je mehr Länder und Unternehmen auf
der Welt gezielt in den Klimaschutz investieren, desto preisgünstiger werden die Technologien.
Ich hätte mir gewünscht, dass auch Europa mehr Gelder für den ökologischen Umbau bereitstellt. Dennoch ist es ein erster guter Anfang. Denn insbesondere die Ausgaben für die
Energieeffizienzverbesserung, der energetischen Sanierung von Gebäuden und
dem Ausbau der Infrastruktur sind wichtig, um Energie einzusparen und mehr
erneuerbare Energien einzubringen.
Braucht es einen "New Green Deal" auf EU Ebene?
Europa hat ja bereits seit 2005 ein Energie- und Klimapaket auf den Weg gebracht, welches sich zum Ziel gesetzt hat, den Anteil erneuerbarer Energien bis zum Jahre 2020 auf 20 Prozent zu
erhöhen, die Energieeffizienz deutlich zu verbessern und die Treibhausgase um 20 Prozent zu verringern.
Zusammen mit den einzelnen Konjunkturprogrammen geht es in die richtige Richtung, und ist eine gute Ausgangslage für weitere Entwicklungen. Europa und Deutschland sind im Vergleich zu anderen
Ländern sehr gut aufgestellt, und benötigen keinen expliziten "New Green Deal".
So makaber es klingt: in der Wirtschaftkrise lassen sich die Emissionsziel viel leichter
erreichen, daher ist ein Aussetzen von Klimaschutzinstrumenten auch unsinnig. Aber es muss natürlich darum gehen, dass man Emissionsminderungen auch in wirtschaftlichen Aufschwungzeiten
erreicht, also eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und dem Verbrauch fossiler Energien erreicht.
Daher ist es so wichtig, dass die EU auch in der Wirtschaftskrise an diesen Zielen festhält, denn insbesondere die Unternehmen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen und langfristig politisch
stabile Signale. Derartige Zielsetzungen sind weltweit einmalig und stellen die Weichen in die richtige Richtung. Die USA folgen nun der EU auf diesem Weg und immer mehr asiatische Länder
beschließen schon heute eine Ökologisierung der
Wirtschaft.
Claudia Kemfert ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität Berlin und leiterin der Abteilung Energie, Umwelt und Verkehr am Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung.
Interview: Karsten Wiedemann