
Dirk Wiese, was ist für die SPD die wichtigste Änderung am Infektionsschutzgesetz?
Einer der wichtigsten Aspekte ist, dass die Situation nicht mehr mit der Situation vor einem Jahr vergleichbar ist. Wir können keine flächendeckenden Lockdown-Maßnahmen oder Schulschließungen mehr auf den Weg bringen, weil 70 Prozent der Bundesbürger geimpft sind und schwerwiegende Grundrechtseinschränkungen daher nicht mehr verhältnismäßig. Diejenigen, die geimpft sind, sind anders zu beurteilen als diejenigen, die ungeimpft sind. Mit 2G+-, 2G- und 3G-Regelungen wollen wir das öffentliche Leben für diejenigen so weit wie möglich offenhalten, die sich bewusst entschieden haben sich zu impfen und damit für sich und andere Verantwortung übernehmen. Das ist aus meiner Sicht richtig und sicher eine andere Beurteilung als noch vor einem Jahr. Aber wir müssten eigentlich bei den Impfungen schon viel höher liegen, das ist ärgerlich.
Parallel zu den Gesetzesänderungen wird auch die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ auslaufen. Mit Blick auf die aktuellen Infektionszahlen ist die epidemische Lage doch aber noch gar nicht vorbei?
Die Feststellung der epidemischen Lage ist ein rechtlicher Rahmen. Der hat bestimmte Maßnahmen erst möglich gemacht. An diesem Rahmen wurde aber auch kritisiert, dass er die Entscheidungskompetenz an vielen Stellen auf die Exekutive verlagert hat, und dass der Bundestag nicht in dem Maße mitgeredet hat wie er eigentlich als gewähltes Parlament sollte.
Deswegen lassen wir das jetzt auslaufen. Das bedeutet aber nicht, dass die Pandemie zu Ende ist. Wir holen die wichtigsten Entscheidungen in den Deutschen Bundestag zurück. Auch durch die Länderöffnungsklausel, die wir jetzt auf den Weg bringen, geben wir den Ländern die Möglichkeit nachzuschärfen. Aber auch nur, wenn das Landesparlament zustimmt. Diese demokratische Rückkopplung halte ich für sehr wichtig.
Droht damit wieder ein „Flickenteppich“ an Regelungen?
Das Infektionsgeschehen ist ja nunmal regional unterschiedlich. Ich muss nicht dieselben scharfen Maßnahmen im Westen von Rheinland-Pfalz anwenden wie in einigen Regionen in Bayern oder Sachsen. Das würde auch für wenig Verständnis sorgen bei denjenigen, die geimpft sind und Vorkehrungsmaßnahmen getroffen haben. Deswegen halte ich das Vorgehen, dass die Länder letztendlich vor Ort entscheiden, in diesem Zustand der Pandemie für richtig.
Dass die Länder sich einheitlicher verabreden können, ist aber ebenso richtig. Die meisten ziehen mit der 2G-Regelung ja jetzt auch nach. Hamburg oder Rheinland-Pfalz haben frühzeitig präventiv reagiert, sie haben ihren Instrumentenkasten bereits genutzt, dafür sprechen auch die Zahlen dort.
Bayern ist leider das Negativbeispiel. Da hat der Ministerpräsident nur laut getönt, was der Bund alles machen müsse und er selbst hat nichts von dem gemacht, was er hätte tun können. Deswegen ist für die Situation in Bayern Markus Söder verantwortlich.
Aber reicht das aus, was jetzt ins Infektionsschutzgesetz geschrieben werden soll? Oder muss man jetzt nicht schon über neue Maßnahmen und Bedingungen sprechen?
Ausschließen kann man das an vielen Stellen sicherlich nicht und es gibt auch nicht das eine Instrument, das dafür sorgt, dass morgen die Inzidenz wieder runter geht. Ich halte den Instrumentenkasten auf Bundesebene, den wir den Ländern zur Verfügung stellen, jetzt für richtig. Und er wird auch der Situation gerecht.
Das Wichtigste was aber jetzt passieren muss ist: impfen, impfen, impfen. Wir müssen alles dafür tun, dass die Erstimpfungen steigen und Boostern in der Fläche ist das, was wir jetzt brauchen.
Warum sind jetzt eigentlich Regelungen möglich, die vor einem Jahr noch abgelehnt wurden – beispielsweise 3G am Arbeitsplatz oder in den Zügen?
3G im Nah- und Fernverkehr ist etwas, was damals der bisherige Verkehrsminister Andreas Scheuer abgelehnt hat. Es gab auch Bedenken von Verkehrsunternehmen, ich halte es aber trotzdem für richtig, dass das jetzt als Ordnungswidrigkeit behandelt wird. Natürlich wird man das nicht flächendeckend kontrollieren können, sondern nur stichprobenartig wie beim Schwarzfahren. Trotzdem ist es richtig.
Was die Regeln am Arbeitsplatz angeht: Da gab es einen intensiven Austausch auch mit den Gewerkschaften und man hält es nun in der aktuellen Situation für vertretbar
Mit den aktuellen Infektionszahlen ist der Verlauf für die kommenden Wochen bereits vorgezeichnet: Es werden mehr Menschen im Krankenhaus aufgenommen werden, mehr Menschen werden sterben. Sehen Sie trotz dieser düsteren Perspektive einen Aspekt, der Hoffnung macht?
Die überwiegende Zahl der Bürgerinnen und Bürger verhält sich sehr verantwortungsvoll. Viele reduzieren ihre Kontakte jetzt wieder, die Menschen gehen achtsam miteinander um.
Mit den Maßnahmen, die wir am Donnerstag auf den Weg bringen, werden die Infektionszahlen natürlich nicht sofort wieder runtergehen. Das wird ein paar Wochen dauern. Wir werden vermutlich in diesem Winter mit höheren Infektionszahlen leben müssen.
Das hohe Risiko für die Situation in den Krankenhäusern geht von den Ungeimpften aus. Deswegen: Impfen, impfen, impfen.