Wenn andere Sanktionen fordern und unliebsame Politiker ausladen, setzt sich Frank-Walter Steinmeier ins Flugzeug. Der Mann, den manche den „Außenminister Europas“ nennen, sucht das Gespräch, vermittelt, baut Brücken, lässt sich auch von Rückschlägen nicht beirren und arbeitet an einer Neubestimmung der deutschen Außenpolitik.
Am Ende seines Vortrags erzählt Frank-Walter Steinmeier ein afrikanisches Märchen. Er sieht es als Gleichnis für die Außenpolitik. Ein Affe geht an einem Fluss spazieren. Im Wasser sieht er einen Fisch. Der arme Fisch, er wird ertrinken, glaubt der Affe und fängt den Fisch. Der Fisch zappelt in seinen Händen. Wie schön, denkt der Affe, es geht ihm besser. Natürlich stirbt der Fisch und der Affe denkt: "Wäre ich früher gekommen, ich hätte ihn retten können." Wir lernen: Auf eine falsche Analyse folgt falsches Handeln – mit tödlichen Folgen.
Steinmeier nennt als Beispiel Syrien. Da habe der Westen zunächst angenommen, es sei ein arabischer Frühling, wie in anderen Ländern. In Wirklichkeit handele es sich um einen Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran um die Vorherrschaft im mittleren Osten. Das alles erzählt Steinmeier auf einer Veranstaltung in Kiel, zu der der Landesverband der schleswig-holsteinischen SPD unter dem Titel "Friedenspolitik heute" eingeladen hat.
Henry Kissingers Wahrheiten
Steinmeier hält es mit dem früheren US-Außenminister Henry Kissinger, den er mit den Worten zitiert: "Foreign policy is perception", was im Deutschen in etwa bedeutet, die Kunst der Diplomatie bestehe darin, die Welt mit den Augen der anderen zu sehen. Steinmeier geht es um die richtige Analyse, aus der sich kluges Handeln ergibt. In Kategorien wie Stärke oder Schwäche zu argumentieren hält er hingegen für irreführend.
Die Veranstaltung findet an einem historischen Datum statt. Am 28. Juni hundert Jahre zuvor wurde Franz Ferdinand erschossen, der Thronfolger der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Gleich zu Anfang seiner Rede nimmt Steinmeier Bezug auf das Ereignis und seine Folgen. Den Ersten Weltkrieg nennt er "ein Versagen von Außenpolitik und Diplomatie". Die Lehre aus der Vergangenheit formuliert er so: "Diplomatie darf nie aufhören, Wege aus der Eskalation zu bahnen." Dazu gehöre es, miteinander zu reden und nach Lösungen zu suchen, selbst wenn der Ruf nach klarer Kante und starken Worten immer lauter werde. "Man muss es ertragen, dass manche darüber lachen, wenn man immer wieder neu ansetzt und zugeschüttete Gesprächskanäle wieder öffnet."
Welt ohne Ordnung
Der Außenminister hat sich damit eine schwierige Aufgabe gesetzt. Seit dem Fall der Mauer und dem Ende der Blockkonfrontation hat sich das Machtgefüge verändert. Steinmeier: "Wir leben in einer Zeit, in der die Welt ihre alte Ordnung verloren hat und noch auf der Suche nach einer neuen ist." Diese Suche werde aus verschiedenen Gründen so bald nicht beendet sein:
Neue wirtschaftlich starke Staaten und Regionen in Asien, Afrika und Lateinamerika wollten mitbestimmen und mit gestalten. Die Welt sei enger vernetzt, erkennbar zum Beispiel am Gasstreit der Ukraine mit Russland, der auch die europäische Energieversorgung treffen könne. Die Krisen – sei es in der Ukraine, sei es im mittleren Osten – rückten, so Steinmeier, dichter an Europa heran. Auseinandersetzungen innerhalb von Staaten hätten die klassischen Kriege zwischen Nationalstaaten abgelöst.
Weg von der Seitenauslinie
In diesen turbulenten Zeiten würden sich viele Augen auf Deutschland richten, das wirtschaftlich stark sei, politisch stabil und von dem deshalb mehr erwartet werde, als politisch an der "Seitenauslinie" zu stehen, so Steinmeier. Und spätestens hier wird es kompliziert. Denn zwischen den Erwartungen aus dem Ausland und der Bereitschaft im Inland klafft ein großer Graben, wie Umfragen des Außenministeriums ergeben haben. "Haushoch und unerreichbar" nennt der Außenminister diese Erwartungen aus dem Ausland und zitiert zwei: "Lead Europe to lead the world" (Europa führen, um die Welt zu führen), „Russland europäisieren und Amerika multilateralisieren". Demgegenüber stehen die Einstellungen der Deutschen, von denen 60 Prozent die Frage: "Soll Deutschland sich international mehr engagieren?" mit "Nein" beantworten.
Steinmeiers eigene Position lässt sich etwas verkürzt so beschreiben: militärische Zurückhaltung ja, Heraushalten, nein. „Aktive Außenpolitik“ nennt er das und das bedeutet: Immer wieder Brücken bauen, damit man aufeinander zugehen kann. Steinmeier gibt damit auch einen ersten Einblick in das, was er eine „kritische Selbstprüfung“ der deutschen Außenpolitik nennt. Den Prozess hat er bei seinem Amtsantritt angestoßen, und er soll etwa ein Jahr dauern.
Er sagt auch, wovon er nichts hält: "Gespräche verweigern, um andere zu bestrafen, führt nur dazu, dass man nicht mehr miteinander redet." Und so fliegt der Mann, den einige den "Außenminister Europas" nennen, wenn es sein muss, mehrmals die Woche in die Ukraine, um zu vermitteln und nennt es – ganz der Diplomat – einen "guten Schritt", wenn OSZE-Beobachter frei gelassen werden oder Russlands Präsident Wladimir Putin sein Parlament auffordert, die Ermächtigung zu einer Intervention in der Ukraine zurückzunehmen.
Antrag zum SPD-Parteitag
Die schleswig-holsteinische SPD begleitet die Diskussion um die Außenpolitik mit einem eigenen Papier für den Landesparteitag im September in Lübeck. Sein Titel lautet "Friedenspolitik heute" und es soll in den kommenden Wochen in der Partei diskutiert werden. "Friedenspolitik steht im Epizentrum der sozialdemokratischen Werteorientierung", so der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Ralf Stegner auf der Veranstaltung. Zusammengefasst ist auch hier die Position: "Der Diplomatie den Vorrang geben" und eine "Kultur der Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen" pflegen, so Stegner.