
Ein wenig „Lampenfieber“ hatte Nadja Lüders vor der Premiere durchaus. Die Generalsekretärin eröffnete am Samstagvormittag den ersten digitalen Parteitag der NRWSPD, nachdem im vergangenen Jahr zwei Termine für eine Präsenzveranstaltung aufgrund der Corona-Pandemie hatten abgesagt werden müssen. Letztlich verlief der Parteitag technisch reibungslos. Vor allem aber: Thomas Kutschaty, der neue Landeschef, erhielt ein überzeugendes Votum und die inhaltliche Neuausrichtung der Partei wurde mit breiter Mehrheit verabschiedet. Ein Signal des Aufbruchs.
90,5 Prozent für Thomas Kutschaty
Es seien die „spannendsten zwei Minuten seines Lebens“ gewesen, bekannte Thomas Kutschaty sichtlich erleichtert, nachdem kurz zuvor die Abstimmung zur Wahl des neuen Landesvorsitzenden freigegeben worden war. Mit überzeugenden 90,5 Prozent der Stimmen hatten die 442 Delegierten den 52-jährigen Essener zum neuen Chef des mitgliederstärksten SPD-Landesverbandes gewählt. Und Kutschaty ist sich seiner Verantwortung durchaus bewusst. Er werde „bis in die letzte Pore und Haarspitze hinein“ für einen Erfolg der NRWSPD kämpfen, erklärte er. Der Landesvorstand hatte den ehemaligen NRW-Justizminister bereits im Januar zu Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2022 nominiert.
Zuvor hatte Kutschaty in einer durchdachten und souverän vorgetragenen Rede ein umfassendes Programm entwickelt. Dem Beitrag habe man angemerkt, „dass er mit NRW auf einer Wellenlänge“ liege, wie es die zugeschaltete Parteivorsitzende Saskia Esken formulierte. Und in der Tat: Thomas Kutschaty, der auch die SPD-Landtagsfraktion führt, sprach Klartext und nannte ohne Umschweife die Herausforderungen unserer Zeit. Zugleich entwickelte er konkrete Lösungsansätze. Mit den aktuellen Umfragewerten könne sich die Partei keinesfalls zufriedengeben. Man müsse darüber reden, wie es besser werden könne. Und dafür habe er einen Plan.
Bezahlbarer Wohnraum darf keine Glückssache sein
Sozialdemokratie bedeute für ihn, so Kutschaty, „aus Hoffnung Wirklichkeit zu machen“. Man solle nicht in erster Linie Fragen, wie man eine Wahl gewinnen könne. Entscheidend sei zu wissen, warum und für wen man Wahlen gewinnen wolle. Die SPD dürfe sich nicht damit abfinden, dass in NRW 6000 Lehrer*innen- und 15.000 Erzieher*innenstellen unbesetzt seien. Bezahlbarer Wohnraum dürfe nicht zum „Glücksfall“ werden und Menschen sollten nicht trotz einer Beschäftigung zum Sozialamt laufen müssen, um ihre Existenz zu sichern. Kutschaty trat für eine Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge ein. „Tarifflucht darf sich nicht lohnen“, sagte er.
„Startklar“, so lautete das Motto des Parteitages. Und so präsentierten sich auch die namhaften Gäste, darunter auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der in die aus einer Kongresshalle in Neuss übertragenen Veranstaltung zugeschaltet wurde. Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Wahlprogramms der SPD für die Bundestagswahl unterstrich Scholz, dass Wandel zwar geboten sei. Dieser müsse aber gerecht gestaltet werden. „Das kommt nicht von allein, wie die Konservativen sagen. Man muss etwas dafür tun,“ ergänzte er.
Staatliche Hilfen für den Umbau der Stahlindustrie
Der Zusammenhalt in der Gesellschaft, so Scholz, dürfe nicht gefährdet werden. Daher benötige es Respekt und Anerkennung insbesondere für die Menschen, die gerade auch in der Corona-Pandemie Besonderes geleistet hätten. Und das müsse auch über eine bessere Bezahlung deutlich werden. Norbert-Walter Borjans ergänzte, dass der Staat gerade auch in der jetzigen Zeit in vielerlei Hinsicht gefragt sei und deshalb solide finanziert werden müsse. „Daran müssen sich alle beteiligen. Die Vermögenden können sich nicht vom Acker machen,“ ergänzte er.
Viel Raum nahmen in Kutschatys Rede auch die Ausführungen zum Umwelt- und Klimaschutz ein. Klimaschutz bedeute Fortschritt, sagte er. Sein Anspruch sei es, dass ökologische Spitzentechnologie an Rhein und Ruhr produziert werde. Das sichere Arbeitsplätze und auch Wohlstand. Er forderte auch staatliche Hilfen für den ökologischen Umbau der Stahlindustrie. Der Klimawandel sei eine Bedrohung und er werde einen Umbruch erforderlich machen. Aber dieser müsse und dürfe nicht mit sozialen Verwerfungen einhergehen.
„Die Zukunft gehört den Mutigen.“
In seiner sehr authentischen Rede, in der er auch immer wieder persönliche Erfahrungen und biographische Aspekte einfließen ließ, dankte Kutschaty auch seinem Vorgänger Sebastian Hartmann, der auf eine erneute Kandidatur verzichtet hatte. Kutschaty bekräftigte, dass er einen Zukunftsrat einberufen wolle. Viele Weichenstellungen stünden an und man es gelte Organisationen und Fachleute auch von außerhalb der Partei einbinden. Zugleich müsse die Partei vor Ort und im Netz aktiver werden. Er verkündete das Projekt „100.000 Kontakte“. Die Partei müsse ein offenes Ohr für die Anliegen der Menschen haben. Die Devise sei: „klicken und klingeln“.
Letztlich rief der frischgebackene Parteivorsitzende die Genossinnen und Genossen zu Zuversicht und Geschlossenheit auf. Und er fügte hinzu: „Die Zukunft gehört nicht den Verzagten und Angstmachern. Sie gehört den Mutigen.“