Sozialer Dienst

Dienstpflicht: Warum das soziale Jahr freiwillig bleiben sollte

Renate Faerber-Husemann20. August 2018
FSJlerin an einer Montessorischule
Pluspunkte für Freiwilligkeit: Neben einer angemessenen Bezahlung sollten für Freiwilligendienste Pluspunkte für artverwandte Studiengänge vergeben werden.
Die Löcher in sozialen Berufen sollten nicht durch ein verpflichtendes soziales Jahr gestopft werden. Ein bestimmter Anreiz könnte Freiwilligendienste attraktiver machen.

Ist das nun ein typisches Sommerlochthema? Diese Diskussion um eine Neuauflage von Wehrdienst und Zivildienst. Die Bundeswehr winkt schon ab. Eine moderne Armee braucht gut ausgebildete Spezialisten, nicht junge Leute, die mehr oder weniger willig in den Kasernen ein Jahr abreißen. Ähnliches gilt für den zivilen, den sozialen Bereich: Mädchen und Jungen sollen also für ein Taschengeld die Löcher stopfen, die im ambulanten und stationären Pflegebereich immer größer werden. Und damit würden sie vielleicht auch noch ungewollt zu Lohndrückern, weil sich durch ihren Einsatz die schon lange notwendigen Reformen weiter hinauszögern lassen.

Schärfung des sozialen Gewissens

Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich halte ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr, ob im In- oder Ausland, für eine gute Sache. Gerade den heute oft überbehütet aufwachsenden jungen Menschen tut es gut, zu erleben, wie die andere Hälfte der Menschheit lebt. Sie erfahren, wie dank ihres Einsatzes der Alltag von nicht mehr mobilen alten Menschen oder überforderten Familien erträglicher werden kann. Das macht sie stolz und schärft ihr soziales Gewissen. Meine Tochter hat durch das freiwillige soziale Jahr ihren Beruf gefunden. Mein Sohn ist durch den Zivildienst im ambulanten Pflegebereich zu einem politischen Menschen geworden, hochsensibel für Ungerechtigkeiten.

Und nun kommt das große Aber: Es hat schon seine Gründe, dass die Skepsis gerade bei den erschöpften, unterbezahlten und überlasteten professionellen Helfern groß ist. Seit Jahren kämpfen die Beschäftigten in diesen Bereichen für bessere Löhne und gegen Arbeitsbedingungen, die sie physisch und psychisch an ihre Grenzen bringen. Sie fordern weniger Überstunden, mehr Weiterbildung, Aufstiegsmöglichkeiten, Gehälter, die ihrer verantwortungsvollen Arbeit entsprechen. Jugendliche Helfer auf Zeit anlernen zu müssen, dürfte da auf wenig Begeisterung stoßen.

Übernehmen, wozu die Zeit fehlt

Das spricht nicht grundsätzlich gegen den Einsatz Freiwilliger in Krankenhäusern oder Pflegeheimen, wenn deren Aufgaben genau definiert werden. Um es an einem Beispiel klar zu machen: Sie könnten, wozu Krankenschwestern und Pflegern die Zeit fehlt, geduldig beim Essen helfen – auch wenn das eine Stunde dauert – und damit vielleicht eine Magensonde verhindern. Sie könnten Patienten, gebrechlichen Menschen, Behinderten, Familien in Nöten das schenken, was besonders kostbar ist: Zeit und die Bereitschaft, zuzuhören.

Dafür aber braucht man keine Dienstpflicht. Der Wunsch, zwischen Schule und Studium oder Ausbildung etwas für die Gesellschaft zu tun, ist auch heute schon groß. So groß, dass es bei weit mehr als 100.000 Freiwilligen pro Jahr an sinnvollen Einsatzmöglichkeiten fehlt, wie immer wieder von den zuständigen Verbänden beklagt wird. Das ließe sich sicherlich ändern. Denn Aufgaben, die das Leben vieler Menschen leichter machen können, gibt es genug.

Sinnvolle Debatte

Freiwilligendienste, die für alle Beteiligten zum Gewinn werden, müssten allerdings professioneller werden. Dazu gehört auch eine Bezahlung, die mehr als ein Taschengeld ist, das von den Eltern aufgestockt werden muss. Dafür sollten zudem Pluspunkte für ein artverwandtes Studium vergeben werden.

Wenn nun über die Bedingungen dieses der Gesellschaft geschenkten Jahres neu verhandelt wird, dann hat die Debatte dieses Sommers vielleicht doch einen Sinn gehabt. Auch unter folgendem ganz wichtigen, viel zu selten bedachten Aspekt: Heute wird darüber geklagt, dass sich die Milieus immer weniger mischen, dass die Mittelstandskinder ebenso unter sich bleiben wie die Verlierer der Gesellschaft. Es wird höchste Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Einer von vielen Ansätzen könnte der Ausbau der freiwilligen sozialen Dienste sein. Kostenlos wird der aber nicht zu haben sein. Und eine Billigkonkurrenz für die am Limit arbeitenden Profis darf er keinesfalls werden.

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Kommentare

Warum das soziale Jahr freiwillig bleiben sollte

Frau Faerber-Husemann hat einen ausgezeichneten Artikel geschrieben.
Ihr ist inhaltlich voll zuzustimmen!

Repression als Initial ? Besser Projektarbeits-Markt !!

Merkwürdig das gerade aus den C-Parteien immer öfter zu repressiven Massnahmen gegriffen werden will oder gegriffen wird um gesellschfatliche Ziele zu erreicehn.Man stelle sich Pfarrer vor, die ihre Schäfchen in die Kirche prügeln, oder Ministerpräsidenten die ihre Verwaltung zum Kreuzaufhang verpflichten ! Aha, jetzt also Dienstpflicht als Reisser-Thema !
Das eigentliche geselschaftliche Problem liegt ja nicht darin dass nicht genug Menschen freiwillig sich für die geselslchaftliche Belange einsetzen, sondern dass es insgeamt an Einsatzmöglichkeiten mangelt und gerade Überregulierung in vielen Bereichen ehrenamtlichen Einsatz behindert und in vielen Fällen sogar verhindert !
Gelegenheit für unsere SPD zum überzeugenderen "Gegenschlag" bei diesem Thema auszuholen (um dem Nahles-Slogan näher zu kommen) !
Warum also nicht endlich einen Projektarbeits-Markt initiieren.

Dienstpflicht

Die Wehrpflicht/Dienstpflicht gibt es laut Grundgesetz nur für Männer; also ist ein solcher Vorschlag schon mal verfassungswidrig ! Bevor man allerdings fragt woher bekommt man die Pflichtigen sollte man zuerst mal klären wofür man sie braucht (Um andere Länder zu überfallen und zu besetzen ?!?). Der Mangel in den Pflegebreufen ist bekannt - sollte man da nicht qualifiziertes Personal ausbilden und anständig bezahlen ? Private Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser von börsennotierten Konzernen (Deutsche Wohnen) darf es nicht geben !

FSJ/BFD als soziale Integration und Inkulturation von Migranten!

Annegret Kramp-Karrenbauers Vorschläge zur allgemeinen Dienstpflicht bzw. für Flüchtlinge schreien danach, richtig gedeutet zu werden. Falsch ist es, wenn sie eine verfassungswidrige Dienstpflicht i. S. einer Zwangsarbeit fordert. Dies wäre nur eine neoautoritäre Bevormundung von jungen und bereitwilligen Menschen, die dem Staat ansonsten [siehe MiLoG] völlig egal sind. Nicht anderes sähe dies bei Flüchtlingen u. a. Migranten aus. Der Nachwuchsmangel bei THW und Feuerwehr trotz sowohl FSJ und BFD dort zeigt die Integrationsmöglichkeiten auch für Zuwanderer[innen]. Die SPD könnte jedoch so klug sein und für eine gestaffelte Bundesfreiwilligendienst werben. Einmal für 24 Monate, was gleichzeitig als Berufsausbildung anerkannt wird. Im Gesundheitsbereich und in der Kinderbetreuung gibt es ja hier einen großen Bedarf, aber auch einen sechzig monatlichen Dienst [Berufsausbildung inkl.], der z. B. .bei Migranten, nach dessen Absolvierung eine zügige Einbürgerung wegen erfolgreicher sozialer Integration und Inkulturation vorsieht. Die Unionschristen und Christsozialen müssen dann Farbe bekennen, ob sie im 21. Jh. angekommen sind, oder in einer rosaroten merkelfreien Blase schweben wollen?