Digitale Agenda

Deutscher Erfindergeist im Niederbayerischen

Sarah Schönewolf26. Februar 2015
Zusammenarbeit zwischen Mensch und Computer
Ein Teil des Zukunftsprojekts der Bundesregierung ist auch die zunehmende Zusammenarbeit zwischen Menschen und Computer, wie hier am Institut für Nanoelektronik an der Technischen Universität in Hamburg.
Mit der Digitalen Agenda will die Bundesregierung Deutschland in den nächsten vier Jahren zum digitalen Wachstumsland Nummer eins ausbauen. Wie Innovation im kleinen Niederbayern schon gelingt, zeigt ein Besuch mit Staatssekretärin Brigitte Zypries.

Entgegem dem Trend in der Europäischen Union: Der deutschen Wirtschaft geht es gut. Die Exporte waren im vergangenen Jahr so hoch wie nie und auch der Deutsche Aktienindex erreicht stetig neue Höhen. Ohne Zweifel: Die Deutschen sind produktiv. Was ihnen aber fehlt, ist Erfindergeist.

Dem ‚Innovationsindikator 2014‘ zufolge fällt die deutsche Wirtschaft im Innovationsvergleich deutlich hinter Ländern wie der Schweiz (Platz 1) und Singapur (2) auf den sechsten Platz zurück und auch in Skandinavien und Belgien wird mehr Neues geschaffen als in der Bundesrepublik. Damit Deutschland zu den führenden Innovationsnationen aufschließen kann, müssen „die Investitionen in Forschung und Entwicklung gesteigert werden“, so das Ergebnis des am Mittwoch vorgestellten Jahresgutachtens der Expertenkommission für Forschung und Entwicklung

Doch woran mangelt es (in) deutschen Köpfen? Ist es der Mut zum Scheitern, den etwa NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in ihrer Regierungserklärung Anfang Februar einforderte und von dem der FDP-Vorsitzende Christian Lindner in seiner Wutrede über die Digitalisierung sprach?

Passau kann digital

In Passau zumindest mangelt es nicht an der Lust zum Neuen. Dem Regionenranking des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung zufolge gehörte Passau 2012 mit Platz 24 von 402 Standorten zu den gründungsaktivsten deutschen Städten. Die Start-up-Szene der niederbayerischen Dreiflüssestadt ist lebendig – und zwar in Bereichen, die man eher in Hauptstadtmetropolen wie Berlin oder San Francisco verortet: im Digitalen.

Crealytics, ein Softwareunternehmen, das internationale Kunden bei der Suchmaschinenwerbung berät, ist in der ostbayerischen Universitätsstadt ebenso zuhause wie „Mymuesli“. Die junge Passauer Firma bekam 2013 den Deutschen Gründerpreis in der Kategorie „Aufsteiger“ verliehen. „Sie zeigen, wie die Massenproduktion von individualisierten Produkten funktioniert und sind damit ein Musterbeispiel für Industrie 4.0“, sagt die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries über die Frühstückscerealienproduzenten.

Zukunftsprojekt Industrie 4.0

„Industrie 4. 0“ ist Schlagwort und Zukunftsprojekt der Bundesregierung. „4.0“ – das steht für die vierte industrielle Revolution, die durch die zunehmende Verknüpfung von digitalem und industriellem Produzieren vorangetrieben wird. Als Zukunftsprojekt erhalten Firmen staatliche Unterstützung für jene Produktionsweisen, die als innovativ und zukunftsweisend angesehen werden. Dazu gehören intelligente und flexible Logistiksysteme, die Möglichkeit der Serienproduktion von individualisierten Produkten oder auch die ‚Smart Factory’, die Fabrik, in der sich die Produktion durch miteinander kommunizierende Systeme ohne menschliche Hilfe selbst organisiert.

So wie in der Produktionsstätte von „Mymuesli“: Hier wird die individualisierte Müslibestellung aus dem Internet mittels Knopfdruck in einen Barcode übersetzt, der auf die große zylindrische Müslidose aufgeklebt wird. In der Produktionshalle läuft diese Dose dann an 80 Zutatenbehälter vorbei. Der Barcode wird gescannt und die entsprechende Menge an Hasel-, Walnüssen oder Schokostückchen hinzugefügt. „Gummibärchen und Karotten kamen nicht so gut an. Die haben wir wieder aus dem Sortiment genommen“, erzählt Max Wittrock, einer der drei Firmengründer, Brigitte Zypries beim Besuch der Produktionsstätte.

Digitales Wachstumsland Nummer eins

Gemeinsam mit zwei Kommilitonen der Uni Passau hat Wittrock 2007 „Mymuesli“ gegründet. Das Unternehmen mit derzeit 175 Mitarbeitern, das auf die Produktion in und Waren aus der Region setzt wächst. „Wir sind zufrieden“, sagt Wittrock, der genaue Zahlen nicht nennen mag. Dennoch, ob er heute die Firma wieder so gründen würde, weiß er nicht. „Die EU-Regelungen zur Nahrungsmittelindustrie sind gerade für Start-ups mit ihren kleinen Margen nicht praxistauglich“, beklagt er. Ob Zypries da was ändern kann? Die frühere Justizministerin ist skeptisch und verweist auf den wichtigen Schutz für Verbraucher.

Selfie mit Brigitte Zypries
Obligatorisch bei dem Besuch eines "digitalen Unternehmens": Das Selfie mit dem Passauer Bundestagsabgeordneten Christian Flisek, Brigitte Zypries, dem Passauer Oberbürgermeister Jürgen Dupper, Unternehmensgründer Max Wittrock und dem österreichischen Verkehrsminister Alois Stöger.

Dabei ist es durchaus das Anliegen der gebürtigen Hessin, Start-ups noch stärker zu unterstützen. Im Wirtschaftsministerium ist Zypries zuständig für Informationstechnologie (IT). Sie leitete in den Koalitionsverhandlungen mit der Union die Arbeitsgruppe zur Digitalen Agenda, die im August 2014 verabschiedet wurde. Deren Ziel lautet  „Deutschland soll in den kommenden vier Jahren digitales Wachstumsland Nummer eins in Europa werden.“

Passau ist eben nicht Berlin

Gelingen soll das unter anderem mit Hilfe des Zukunftsprojektes Industrie 4.0. Das ist aber nur ein Baustein: „Die Digitale Agenda der Bundesregierung bezieht sich auf alle Lebensbereiche. Neben dem Umbau der Industrie geht es auch um Telemedizin, neues Lernen, digitale Assistenzdienste für das Alter, autonomes Fahren und vieles mehr. Ich finde es toll, dass die SPD die digitale Gesellschaft dieses Jahr zum Thema macht“, sagt Zypries.

 Doch wie erreicht man das digitale Wachstumsland konkret? Zum Beispiel indem man direkt bei den Betroffenen nach den Stolpersteinen fragt: Am Nachmittag trifft sich die Staatssekretärin im prunkvollen Passauer Rathaussaal mit 15 Gründerinnen und Gründern zum Gespräch. Sie fragt nach: „An welchen Stellschrauben können wir drehen, was brauchen Sie, um Ihr Potenzial auszuschöpfen?“ Es sind viele regionale Baustellen, die angesprochen werden und die dann deutlich machen, dass die Umsetzung der Digitalen Agenda in Passau doch etwas anderes bedeutet als in der Hauptstadt.

Wie begeistert man für Niederbayern?

 Wenn es etwa darum geht, kreative Köpfe für die Firma zu gewinnen, kämpfe Passau mit anderen Voraussetzungen als Berlin, kritisiert ein Firmengründer. „Sobald die Leute da sind, sind sie zufrieden. Aber sie dazu zu bewegen, nach Passau zu bekommen, ist ein Problem.“ Dass die Internetverbindungen noch nicht schnell genug sind, ein anderes. Daneben gibt es aber auch eine ganze Menge Kritikpunkte, die sich in ganz Deutschland finden lassen: fehlende Vorbilder für Unternehmensgründungen etwa und damit auch den Mut zur Selbstständigkeit und auch zum Scheitern.

Zypries fasst zusammen: „Vom Risikokapital über Mitarbeitergewinnung bis zu den Kommunikationswegen – wir müssen in all diesen Bereichen besser werden.“Dennoch gelte: „Es gehört zu einem Teil der Wahrheit, dass das Glas in den USA halb voll ist und bei uns eher halb leer.“

 In diesem Sinne ist der positive Blick auf das Erreichte – gerade auch in Passau – vielleicht auch einer der Punkte, der in die Digitalen Agenda aufgenommen werden sollte. Zypries zumindest versprüht den notwendigen Optimismus: „Was die Digitalisierung unserer Wirtschaft angeht, haben wir in Deutschland beste Voraussetzungen: Unsere Unternehmen sind in vielen Bereichen Weltspitze, dazu haben wir eine exzellente Hochschullandschaft und hervorragend ausgebildete Fachkräfte. Jetzt geht es darum, mutig zu sein und den digitalen Wandel als Chance zu begreifen.“ Dazu gehöre auch, neue Wege zu gehen. Dass dies gelingen könne, habe ihr der heutige Tag im innovativen Passau gezeigt.

 

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Kommentare

Ängste vor der Veränderung und Energieverbrauch im Festhalten

Erst einmal herzlichen Dank für diesen erfrischenden Artikel.

Der digitale Wandel, der sich spielerisch in unserem Privatleben schon vollzogen hat, steht im technischen Mittelstand noch in den Kinderschuhen und das hat aus meiner Sicht verschiedene Gründe. Ein paar dieser Gründe möchte ich hier aber zur Diskussion stellen.
- Die unterschwellige Generationswechsel- oder Nachfolge- Problematik blockiert Unternehmen
- Die Psyche des Menschen, Angst vor Veränderungen zu haben und dies besonders im lebenserhaltenden Bereich
- Fehlende Infrastruktur zur Realisierung des Wandels von „analogen“ in „digitale“ Systeme.
- Die zum Teil undurchsichtigen oder aus Unkenntnis zu hohen Einstiegskosten für eine Digitalisierung
- Fehlende Kreativität, wie die bestehenden Produkte einen Nutzen unter Industrie 4.0 liefern könnten
Viele mittelständische Firmen stecken in einer Generationswechsel - Sackgasse. Ich bezeichne es deswegen als Sackgasse, da in dem Prozess des Generationswechsels Innovationen und Veränderungen eingefroren werden, um für die letzten Jahre Stabilität erzeugen zu können. Weiterhin werden oft die Anstrengungen, auf die letzten Tage sich derartiger Herausforderungen und Risiken auszusetzen gescheut. Natürlich darf dabei auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Veränderung gerne an den kommenden Geschäftsführer übergeben wird, damit er das Unternehmen nach seinen Vorstellungen gestalten kann.
Bei allen Veränderungen der technischen Art ist die Herausforderung nur vordergründig die Technik. Vielmehr ist es der Mensch, der sein gewohntes Umfeld verlassen muss, der die eingeschwungenen Prozesse und Leitplanken über Bord werfen und so an Sicherheit verliert. In seinem angestammten Umfeld wird aus einem Seniorexperten der Lehrling. Natürlich sind dass alles spannende und sicherlich auch zu meisternde Herausforderungen. Ich glaube jedoch, dass ohne den Menschen individuell in seinen Sicherheitsbedürfnissen mitzunehmen, wird die im Unternehmen vorhandene Energie eher zum Festhalten, als für Verändern eingesetzt. So verhindert die nicht ausgesprochene Angst den internen Wandel auf dem Weg zu digitalen Prozessen.
Mit freundlichen Grüßen
Olav Birlem