Teilhabe im Netz

Das Demokratie-Versprechen des Netzes einlösen

Gesche Joost08. Oktober 2014
Experimentell und spielerisch engagieren sich junge Aktivisten heute jenseits von Parteistrukturen themenbezogen und vernetzt. So kann es gelingen, ein großes Versprechen des Netzes einzulösen: mehr Demokratie.

Eine der großen politischen Herausforderungen ist es heute, eine inklusive digitale Gesellschaft zu gestalten – an der alle teilhaben können. Die Spaltung, die heute „Onliner“ von „Nonlinern“ trennt, müssen wir überwinden. Auf der einen Seite diejenigen, die heute Morgen online Nachrichten gelesen haben, über die neusten Nachrichten twittern, mit einem Car-Sharing Service ins Büro gefahren sind und über ihr Smart Home System noch geschaut haben, ob die Fenster und Türen zu Hause zu sind. Auf der anderen Seite diejenigen, die sich gar keinen Computer leisten können, denen die digitale Bildung fehlt oder die keinen Zugang zum schnellen Netz haben. Die Spaltung verläuft nicht nur zwischen alt und jung, sondern mitten durch unsere Gesellschaft.

Von der Macht sozialer Netzwerke

Teilhabe ist das, was wir ermöglichen müssen. Das Internet war schon in den 1990ern mit einem großen Demokratie-Versprechen verbunden – jeder und jede kann seine Meinung – mit großer Reichweite – äußern, Gleichgesinnte suchen und politische Entscheidungsprozesse anstoßen, sich unabhängig von lokalen Strukturen einbringen. Heute sehen wir – nicht erst seit Edward Snowden – auch die Schattenseiten dieser Entwicklung, wenn massenhafte Überwachung unsere Privatsphäre zunichte macht, sich radikale Islamisten über das Internet verbünden oder wenn Kinder und Jugendliche im Netz gemobbt werden. Wir müssen die positiven Seiten stärken und den Risiken begegnen, Lösungen entwickeln.

Politische Teilhabe hat sich durch das Netz verändert – und darauf müssen die politischen Akteure reagieren! Die Proteste in der Ukraine im letzten Jahr, die als „Euro-Maidan“ bekannt wurden, nutzten maßgeblich soziale Netzwerke, um sich zu organisieren, um Menschen zu aktivieren, in dem Fotos von unerschrockenen Krankenschwestern neben blutenden Demonstranten gezeigt wurden. Twitter wurden von Präsident Erdogan im März diesen Jahres zeitweise abgeschaltet, da er eine zu starke Kritik an seinem Kurs fürchtete. Facebook ist in China verboten – das zeigt, wie mächtig heute neue Formate der politischen Teilhabe und Meinungsfreiheit sind und wie sehr wir für ihren Schutz eintreten müssen. 

Politisches Engagement jenseits von Ortsvereinen und Parteistrukturen

Politisches Engagement findet durch das Netz neue Formen. Ein Beispiel dafür ist die Initiative „Code for Germany“ – eine Programmier-Initiative der Open Knowledge Foundation. Idee ist es, dass in ganz Deutschland gemeinsam mit den Verwaltungen vor Ort öffentliche Daten genutzt werden, um Bürgerservices zu entwickeln – und zwar mit freiwilligen Programmiererinnen und Programmierern. Da entsteht in Ulm ein interaktiver Stadtplan, auf dem sich Eltern über freie Kita-Plätze informieren können und endlich nicht mehr mühselig telefonisch nach einem Platz für ihr Kind suchen müssen. Da entsteht ein U-Bahn-Plan, auf dem man sehen kann, welche Stationen barrierefrei sind und wo es öffentliche und barrierefreie Toiletten gibt – das ist ziemlich nützlich. In Hamburg existiert ein Stadtplan, der zeigt, in welchen Gegenden zu wenige Spielplätze vorhanden sind, in München ein Plan, wo man den nächsten öffentlichen Defibrillator zu finden ist. Das sind alles politische Projekte – es geht um Transparenz, um Gemeinschaft, um Gerechtigkeit. Hier arbeiten Verwaltung und Programmierer Hand in Hand – um eine offene Verwaltung zu gestalten (open government). Ziel ist es, dass Bürgerinnen und Bürger gemeinsam mit der Verwaltung Stadt gestalten und Bürgerservices entwickeln – in beide Richtungen. Es geht um Teilhabe und Transparenz.

Heute sind neue Formate der politischen Teilhabe notwendig und politische Akteure müssen vom dem lernen, was sich derzeit entwickelt. Diese Formate bringen neue Aspekte in die Debatte, in dem sie nicht nur Diskussionen anregen, sondern gleich an Lösungen arbeiten. Hacking Politics zerlegt ein traditionelles Politikverständnis und gestaltet experimentell, spielerisch und offen neue Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. Mit diesen Initiativen zeigen junge Aktivisten, was ihr Verständnis von politischer Teilhabe ist – jenseits des Ortsvereins, jenseits von Parteistrukturen – dezentral, themenbezogen, vernetzt und als Community organisiert. Teilhabe bedeutet daher, nicht nur vielfältige Zugänge zu gestalten, sondern auch von neuen Formaten zu lernen, um die politische Landschaft vielfältiger zu gestalten. Eine inklusive digitale Gesellschaft bedeutet nämlich genau das: Neue Formen der Teilhabe erproben, die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft zur Grundlage nehmen, und damit ein großes Versprechen des Netzes einlösen – das nach mehr Demokratie.

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