
„Wissen ist Macht“ – das ist eine altbekannte Weisheit. Die Herrschenden waren zu allen Zeiten darauf bedacht, ihre Macht nicht zu teilen. Herrschaftswissen hat man das genannt, und im Gegenzug hielten sie das Volk in Unwissenheit und damit gefügig.
Gegen diese Haltung wandten sich im 18. Jahrhundert die Protagonisten*innen der Aufklärung um Denis Diderot, die erstmals eine „Enzyklopädie“ erschufen, eine Sammlung des „Wissens der Welt“. Im 19. Jahrhundert waren es die Bildungsvereine der Arbeiterbewegung, die nicht länger hinnehmen wollen, dass Wissen ein Privileg des bourgeoisen Bildungsbürgertums bleiben sollte. Im 20. Jahrhundert eröffneten die Erfinder des Internets um Tim Berners Lee uns allen den direkten Zugang zum Wissen dieser Welt – und leider auch zum Unwissen, womit es immer wichtiger wurde, das eine vom anderen unterscheiden zu können! Dass zum Ende des 20. Jahrhunderts die Wikipedia entstanden ist, eine neue, offene, lebendige und für alle zugängliche Enzyklopädie, das ist eine logische und eine wunderbare Konsequenz aus dieser Geschichte!
Das Wissen des 21. Jahrhunderts liegt in den Daten
Die Wikimedia-Stiftung hat sich von Anfang an auch mit dem Thema offener Daten beschäftigt, denn das Wissen des 21. Jahrhunderts liegt in den Daten, wie wir sie täglich hundert- und tausendfach erzeugen. Daten sind digitale Spuren unseres Lebens. Sie protokollieren, was wir kaufen, wohin wir gehen, was wir denken und wann wir schlafen. Viele dieser Daten sind personenbezogen, das heißt, sie sind direkt mit unserer Identität verbunden. Doch auch Maschinen, Autos, Ampeln erzeugen Daten, die keinen solchen Personenbezug enthalten. Personenbezogene Daten wiederum können anonymisiert, also von der direkten Verbindung zum Individuum getrennt werden.
Doch wie ist es um den Zugang zu diesen Daten bestellt? Was das betrifft, sind wir in das finstere Zeitalter der Voraufklärung zurückgefallen. Der exklusive Besitz großer Datenschätze ist ein heiß umkämpftes Terrain. Denn wer die Daten besitzt, der bestimmt, wofür sie eingesetzt werden.
Daten können genutzt werden, um Krankheiten zu heilen oder um Risikopatienten von Versicherungsleistungen auszuschließen. Man kann mit ihrer Hilfe Verkehrsströme steuern oder die politische Meinungsbildung lenken. Die Entscheidung über solche Fragen darf nicht in der Hand einiger Weniger bleiben – das widerspricht allen unseren demokratischen Prinzipien.
Die Datenmacht demokratisieren
Deshalb muss die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert wieder das tun, was sie auch schon im 19. und 20. Jahrhundert getan hat: Sie muss die Machtfrage stellen. Wir müssen Datenmacht demokratisieren und in den Dienst der Allgemeinheit stellen.
Während die Verwendung personenbezogener Daten durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt wird, gibt es für nicht personenbezogene Daten bislang so gut wie keine Regeln – mit all den negativen Folgen, die Regellosigkeit für Freiheit, Marktwirtschaft und Allgemeinwohl bedeutet. Das wollen wir ändern.
Wir wollen, dass Unternehmen, aber auch staatliche Institutionen ihre nicht-personenbezogen Daten – und nur die! – in Zukunft teilen, damit Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mehr Wissen und Mehrwerte daraus erzeugen können.
Daten vermehren sich, wenn man sie teilt
Manche sagen, Daten seien das Öl des 21. Jahrhunderts. Wir halten das aus vielen Gründen für eine grundfalsche Analogie. Einer der Gründe lautet: Daten verlieren durch das Teilen nicht ihren Wert. Im Gegenteil entstehen durch das Teilen und den Austausch darüber neue Daten, neues Wissen.
Eine Datenkultur des Teilens eröffnet der Wissenschaft einen Schatz, mit dessen Hilfe sie Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme finden kann. Unternehmen können offene Daten für neue Produkte und Geschäftsideen nutzen. Aus neuen Geschäftsideen entstehen neue Jobs und neuer Wohlstand.
Hier setzt die neue Datenstrategie der Bundesregierung an. Sie wird das Teilen von nicht-personenbezogenen Daten in Zukunft massiv fördern.
Am Anfang stehen Datenkooperationen und Datenpools für Umweltschutz, Gesundheitsfürsorge und Mobilität. So dienen Fahrzeugdaten in Zukunft nicht nur der Planung der nächsten Wartung, sondern sie können auch für eine bessere Verkehrssteuerung oder eine Mobilitäts-App genutzt werden. Die Daten eines Baumkatasters stehen dann nicht nur dem Gartenamt zur Planung des Baumschnitts zur Verfügung, sondern sie können auch Allergikern dabei helfen, ein allergiefreundliches Wohnumfeld zu finden.
Dateneigentum ist der falsche Weg
Lange haben wir um diese Datenstrategie gerungen, haben kluge Expert*innen in einer Datenethikkommission versammelt und dann lange debattiert. Im letzten Halbjahr unserer Legislaturperiode gehen wir jetzt damit auf die Ziellinie – zusammen mit dem zweiten Open-Data-Gesetz, das die Behörden des Bundes weiter als bislang verpflichtet und hoffentlich auch befähigt, ihre Daten offenzulegen.
In ihrer Datenstrategie erkennt die Bundesregierung als Ganzes an, dass ein Eigentum an Daten der falsche Weg wäre und dass der Datenschutz kein Hemmnis für die Datennutzung darstellt und schon gar keinen Widerspruch. Im Gegenteil ist der Datenschutz eine unabdingbare Voraussetzung für eine offene Datenkultur, die nur durch Vertrauen und durch klare Regeln entstehen kann.
Wir Sozialdemokrat*innen wollen mehr
Dabei enthält die Datenstrategie bei weitem nicht alles, was die Sozialdemokratie für eine fortschrittliche und gerechte Datenpolitik für erforderlich hält. So sind wir davon überzeugt, dass es auf sogenannten „datengetriebenen Märkten“ mit ihrer Neigung zu Monopolen eine Datenteilungspflicht geben muss. Beispiele für solche Märkte sind die Plattformökonomie im Handel (z.B. Amazon), Mobilitätsplattformen (z.B. Uber) oder Suchmaschinen (z.B. Google). Anreize reichen hier für einen fairen Wettbewerb auf Dauer nicht aus.
Und auch das Recht auf echte digitale Selbstbestimmung für Bürger*innen und Verbraucher*innen ist eine klare sozialdemokratische Forderung. Wenn wir ein Handy oder eine App benutzen möchten, fragen uns die Programme zwar, ob wir mit dem Sammeln von Nutzungsdaten einverstanden sind. Doch eine echte Wahl haben wir fast nie. Denn wer damit nicht einverstanden ist, kann die Hard- oder Software eben nicht oder nur eingeschränkt nutzen.
Wir wollen selbst bestimmen, was mit unseren Daten passiert
Wir wollen Menschen deshalb in die Lage versetzen, frei und präzise über unsere Daten zu bestimmen. Mit einem „feinkörnigen“ Zugriffsmanagement können wir selbst bestimmen, welche Daten mit welcher Verwendungsperspektive genutzt werden dürfen. Wir wollen endlich selbst darüber bestimmen, was mit unseren Daten passiert. So beispielsweise mit der Corona-App: seit Oktober können Erkrankte über die Corona-Warn-App auch in einem Tagebuch ihre Symptome mitteilen. Damit helfen sie der Erforschung dieser neuen Erkrankung und der Präzision der Warnung, die von ihrem Handy an Kontaktpersonen rausging. Aber es ist absolut verständlich, dass das nicht jeder und jede möchte. Deswegen durfte es keine Bedingung sein, um die App zu nutzen. Diese Regel sollte für alle Apps gelten.
Die Datenstrategie der Bundesregierung ist ein guter erster Schritt – und sie bietet viele Anknüpfungspunkte für die nächste, sozialdemokratisch geführte Bundesregierung. Wir Sozialdemokrat*innen haben einen Plan, um die Datenmacht und Datennutzung in die Hände der demokratischen Gesellschaft zu legen und die Datenökonomie nachhaltig und sozial zu gestalten.
Aus Daten wird Fortschritt gemacht! Wenn es nach uns geht: Fortschritt für die Vielen, nicht nur für Wenige.